7056592-1991_20_10.jpg

Begegnungen mit alten Lehrern

19451960198020002020

Eine Erinnerung.

19451960198020002020

Eine Erinnerung.

Werbung
Werbung
Werbung

Erst unlängst sah ich ihn die Straße herabkommen, und ich war ziemlich erstaunt darüber, weil mir doch jemand irgendwann erzählt hatte, daß er sich schon nicht mehr unter den Lebenden befände. Seine früher so strengen Gesichtszüge schienen nun verwaschen und hatten unter den Jahren sichtlich gelitten, desgleichen seine ganze Haltung. Gebeugt und etwas abwesend ging er seines Weges, eine englische Sportmütze auf dem Kopf.

Vor weit über zwanzig Jahren war er einmal mein Zeichenlehrer gewesen. Fast hätte er es damals erreicht, mir eine meiner Lieblingsbeschäftigungen gründlich auszutreiben. Zeichenlehrer pflegen in der Hierarchie der Gefürchteten an sich weit unten zu rangieren, aber er hatte es stets geschafft, als der Tyrann der Schule dazustehen. Schon wenn wir in säuberlichen Zweierreihen vor dem Zeichensaal auf den ein wenig dandyhaften Mann warten mußten, herrschte absolute Lautlosigkeit, und körperliche Züchtigungen in „seiner" Doppelstunde waren an derTagesordnung. Allerdings brachte er uns auch was bei, wenn's gelegentlich auch brüllend geschah. Daß er einmal eines meiner Bilder nicht nur lobte, sondern schließlich in der Aula ausstellen ließ, daraufbin ich absurderweise heute noch ein bißchen stolz.

Und die lange Reihe der gefürchteten Mathematikprofessoren? Diese trugen für mich kaum mehr individuelle Züge, denn ich muß gestehen, daß dem gerade auf diesem Gebiet restlos Unbegabten die Schule als die Folterkammer der Sozialisation oder Enkulturation - je nachdem -erschienen ist, und Folterknechten eignet eben etwas Wesenloses.

Besonders das Gymnasium also habe ich beinahe gehaßt, und die gewohnte Kameraderie unter den Mitschülern konnte dies alles nicht aufwiegen, im Gegenteil. Die schönsten Stunden waren zumeist doch nur die Fehlstunden, die natürlich einer mehr oder weniger phantasievollen Entschuldigung bedurften.

Erinnern Sie sich noch?

Trifft man also unverhofft - noch dazu zu den unmöglichsten Gelegenheiten - einmal wieder auf seine alten Lehrer, wird man oft der Versuchung nicht widerstehen können, sich sozusagen auszuweisen, seinen Namen zu nennen: „Erinnern Sie sich nicht an mich, ich war doch 1970 in Ihrer 7c ..." Für gewöhnlich folgt darauf ein verständiges Nicken des sich lang schon in Pension befindlichen Professors - und er rückt mit einem falschen Namen heraus. Aber man sollte sich über solche Gedächtnisverluste keine besonderen Gedanken machen, haben wir doch zum Beispiel unserem Deutschprofessor, einem Kriegsversehrten noch dazu, durch unsere unfaßliche Herzlosigkeit des öfteren die Tränen in die Augen getrieben. Einen Philosophielehrer schlugen wir gar vollends in die Flucht - in Richtung Direktion.

Vor ein paar Jahren traf ich meinen ehemaligen Oberstudienrat aus Naturgeschichte im Spital; er war sehr viel schwerer krank, als man es ihm mitteilen wollte. Dennoch oder gerade darum fiel er mir fast um den Hals (er hatte mich natürlich nicht erkannt), gewährte mir gleich das Du-Wort, woraus sich dann ausgedehnte Spaziergänge im dortigen Anstaltspark ergaben, während denen er mit bemerkenswerten Internas über die einstige Kollegenschaft aufzuwarten wußte. Auch war er ein großer Mineraloge vordem Herrn, und damit hatte er mich schon als Schüler ziemlich entnervt. Daß er daneben - und nunmehr sozusagen außer Dienst - auch eine wirklich geistvolle und cheva-leske Natur war, erfuhr ich eben erst um diese Zeit, als wir beide krankheitshalberzusammentrafen. Sehrvereinsamt, starb er bald darauf an seiner Todeskrankheit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung