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Beginn einer großen Dogmendämmerung

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Nach dem Schiffbruch, den -nicht nur in Österreich - die Idee der Verstaatlichung erlitten hat, erscheint eine Privatisierung sicher „notwendig und sinnvoll". Wundermittel ist sie auch keines.

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Nach dem Schiffbruch, den -nicht nur in Österreich - die Idee der Verstaatlichung erlitten hat, erscheint eine Privatisierung sicher „notwendig und sinnvoll". Wundermittel ist sie auch keines.

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In der Wolle gefärbte Sozialisten können am 14. September ihren Ohren nicht getraut haben, sagte doch da Minister Viktor Klima, obschon der sozialdemokratischen Regierungsfraktion zuzurechnen, als Studiogast in „Zeit im Bild" wortwörtlich: „Ich bin ein Freund der Privatisierung."

Gerade in der Wolle gefärbte Sozialisten würden auch den Einwand nicht gelten lassen, daß sich der Minister, wenn ihm, wie er ebenfalls sagte, „eine Privatisierung auf mehreren Ebenen des Konzerns notwendig und sinnvoll erscheint", mit Otto Bauers berühmten Satz: „Niemand verwaltet Industriebetriebe schlechter als der Staat" hätte rechtfertigen können: Anders als diejenigen, die ihn besonders gerne zitieren, wissen Sozialisten genau, daß sich dieser Satz bei Otto Bauer beide Male (in „Der Weg zum Sozialismus" und in „Die Vergesellschaftung der Großindustrie") in einem Kontext findet, der den Vater des Austromarxismus davor bewahren sollte, von Privatisie-rungs-Propagatoren als Kronzeuge angeführt zu werden: Die vom Staat schlecht verwalteten Industriebetriebe wollte Otto Bauer keineswegs in privater Hand sehen, sondern von einem aus Belegschafts- und Konsumentenvertretern zusammengesetzten Gremium geführt wissen...

Hat also endlich die Dogmendämmerung eingesetzt?

Hineininterpretieren könnte man das nicht bloß in die generelle Bereitschaft Minister Klimas, den Anteil des Bundes „deutlich unter die jetzigen 100 Prozent zu reduzieren", sondern speziell auch in die (späte) Erkenntnis, daß eine Privatisierung „auf mehreren Ebenen des Konzems" notwendig und sinnvoll ist, hatte doch bisher die SPÖ stur an der Sekyra-Doktrin festgehalten, daß das „Going public" ausschließlich den Austrian Industries als Gesamtkonzern vorbehalten bleiben müsse.

Ausweglose Situation

Nicht minder stur hatte allerdings die ÖVP auf ihrer Gegendoktrin beharrt, statt dessen mit den Branchen-Holdings an die Börse zu gehen. Der sich jetzt abzeichnende Brückenschlag - die Privatisierung auf mehreren Ebenen des Konzerns - könnte allerdings zu spät kommen:

Ob nach der jetzt verordneten Abmagerung zu „AI kompakt" überhaupt noch Platz ist für Branchenholdings als quasi Zwischengeschoß, darf füglich bezweifelt werden.

Warum bedarf es in Österreich aber immer erst einer schier ausweglosen Situation, damit die wirtschaftliche Vernunft eine Chance hat gegen das Beharren auf einem ideologischen Dogma?

Schon in der Geburtsstunde der verstaatlichten Industrie hatte es der Beschlagnahme dieser Betriebe als „deutsches Eigentum" und des Um-standes, daß sich 1946 in Österreich keine potentiellen privaten Eigentümer gefunden hätten, bedurft, damit die ÖVP über ihren ideologischen Schatten sprang und dem (ersten) Verstaatlichungsgesetz zustimmte -ein „Sündenfall", für den sie in der Folge damit Buße zu tun meinte, daß sie der Weiterentwicklung der verstaatlichten Unternehmen Prügel vor die Füße zu werfen versuchte (kein Vordringen in den Finalbereich, keine „Vertöchterung" von Privatbetrieben).

1986 bedurfte es dann eines Jahresverlustes von 12,6 Milliarden (und der budgetären Unmöglichkeit, ad infinitum weiters Kapital zuzuschießen), damit die SPÖ über ihren ideologischen Schatten sprang und zwei Dogmen preisgab: das Beharren auf lOOprozentigem Staatseigentum und die Arbeitsplatzgarantie. Das Reparaturprogramm für die vermeintlich unsinkbaren Schiffe ließ das Schrumpfungstempo des inländischen Beschäftigtenstandes der Verstaatlichten von 2,27 Prozent pro anno in der ersten, auf 7,43 Prozent pro anno in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hinaufschnellen.

Dasselbe wiederholt sich jetzt: Mußte wirklich das Ergebnis von plus 2,1 Milliarden Schilling im Jahre 1991 in minus 2,5 Milliarden Schilling im ersten Halbjahr 1992 umkippen, damit das schon 1986 bekundete, aber bald bereute Einverständnis mit Privatisierungsmaßnahmen im Bereich der verstaatlichten Industrie aufhört, ein Lippenbekenntnis zu sein?

Vielleicht gerade noch in der Lö-welstraße, aber wohl kaum in den Sektionslokalen ist ja bedauert worden, daß die triste Börsensituation die Austrian Industries der Einlösung des Versprechens enthoben hat, den Zeichnern der Al-Optionsanleihe auch wirklich Aktien zu überlassen...

Bevor jedoch die ÖVP ein Triumphgeheul anstimmt über das Umschwenken der SPÖ auf ihre Privatisierungslinie, sollte sie aber vielleicht folgende Überlegungen anstellen:

Nach dem Schiffbruch, den - nicht nur in Österreich - die Idee der Verstaatlichung erlitten hat, erscheint, um mit Minister Klima zu sprechen, eine Privatisierung sicher „notwendig und sinnvoll". Ebensowenig wie die Verstaatlichung ist aber auch die Entstaatlichung ein Wunderheilmittel für marode Betriebe; das überwiegend positive Gesamtergebnis der Privatisierung zuerst in Großbritannien und jetzt in den ehemaligen Ostblockländern resultiert zum Teil bloß daraus, daß sich überhaupt nur für sanierungsfähige Unternehmen (oder deren Aktien) private Interessenten auftreiben lassen.

Würde das totale Privateigentum genauso dogmatisiert wie früher das totale Staatseigentum, wäre schon die nächste Dogmendämmerung vorprogrammiert...

Der Autor ist Wirtschaftspublizist und Herausgeber der „Finanznachrichten".

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