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Bei Nacht und Nebel

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In der Nacht vom 13. auf den 14. April des Jahres 1950, in der Zeit zwischen 23 Uhr nachts und 2 Uhr früh, läutete es an den Pforten vieler Klöster in der Tschechoslowakei. Wenn der Bruder Pförtner trotz der ungewöhnlichen Stunde nicht sehr rasch öffnete, wurde das Tor auch gewaltsam aufgebrochen; denn einigermaßen ungewöhnlich waren auch die Gäste: Polizisten in Uniform, Angehörige der Miliz in blauen Overalls, bewaffnet mit Maschinenpistolen und Handgranaten und Geheimpolizei in Zivil.

War das Tor einmal aufgebrochen, wurde vor jeder Zelle des Klosters ein Mann postiert, öffnete der Bewohner der Zelle nicht sofort auf das Klopfen, drang der Beamte in die Zelle ein, um sofort den Ofen zu inspizieren, ob nicht soeben noch eine staatsgefährdende Schrift verbrannt worden sei. Dann wurden die Ordensleute in einen größeren Raum, zumeist den Speiseaal, zusammengetrieben, und ein Geheimpolizist erklärte den Ordensleuten den Grund der Aktion: „Durch Beschluß der Regierung der Volksrepublik der Tschechoslowakei wird dieses Kloster beschlagnahmt und alle Mitglieder des Hauses werden an einen anderen Ort gebracht.“

Die Nacht-und-Nebel-Aktion der Behörden kam zwar überraschend, überraschte aber die Ordensleute nicht. Sozusagen als „Rechtfertigung“ der Aktion hatten die Behörden rund zwei Wochen vorher einige Ordensobere verhaftet und in einem Schauprozeß vom 31. März bis zum 5. April 1950 zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. In der Kampagne gegen die Orden wurden die Klöster als „Zentren der Spionagetätigkeit“ denunziert, es wurde über angebliche Waffenverstecke in den Ordenshäusern berichtet. Daß es nicht allein um ein paar Ordensobere ging, sondern um die Existenz der Orden überhaupt, wurde spätestens im Lauf dieser Pressekampagne klar.

Das „Amt für kirchliche Angelegenheiten“, von den Kommunisten zur Vertretung der kirchlichen Interessen gebildet, stimmte in den Chor der Beschuldigungen ein, und seine Vertreter nahmen selbst an der geheimen Aktion in jener Nacht teil.

Nachdem man den Ordensleuten den Grund der Störung zur ungewohnten Stunde erklärt hatte, durften sie in ihre Zellen zurückgehen — allerdings nicht allein, sondern jeder in Begleitung eines Polizisten. Unter den aufmerksamen Augen seines Bewachers mußte jeder Ordensmann innerhalb weniger Minuten wichtige persönliche Dinge einpacken. Spätestens bei der neuerlichen Versammlung der Ordensleute im Anschluß daran wurde ihnen das Geld — sofern sie welches hatten — abgenommen. Verschiedentlich wurden die Männer von den Polizisten durchsucht.

Dann brachte man die Ordensleute vor ihr Kloster, wo ein Lastwagen oder ein Bus und weitere Polizisten warteten. Trotz der späten Stunde war die Umgebung des Klosters, um jedes Aufsehen zu vermeiden, hermetisch abgeriegelt. Die Vorsteher der Klöster wurden zumeist zurückgehalten und — nachdem ihre Mitbrüder weggeführt worden waren — einem scharfen Verhör durch die Geheimpolizei unterzogen. Nach Abschluß des Verhörs, in dem die Polizisten hauptsächlich nach versteckten Wertsachen fragten, wurden die Oberen, nachdem sie alle Schlüssel ausgehändigt hatten, an einen eigenen Ort gebracht: in das Kapuzinerkloster von Pezi-nok. Dieses Kloster wurden von den Behörden in ein „Strafkloster“, in ein strenges Konzentrationskloster unter scharfer militärischer Bewachung, umgewandelt.

Im Anschluß an die Beschlagnahme und Konfiskation der Klöster wurden die Häuser von der Geheimpolizei sehr genau durchsucht — und nicht selten „fanden“ die Polizisten auch, was sie suchten: anti-kommunistische Schriften, Sendeanlagen, Waffen. Desgleichen behauptete die Propaganda, in den Klöstern große Warenlager, Lebensmittel und Wein gefunden zu haben. Von der kommunistischen Propaganda wurde jedoch verschwiegen, daß die „gefundenen“ Waffen zuvor von der Polizei selbst in den Klöstern versteckt worden waren. Nicht erwähnt wurde auch, was mit den Lebensmitteln der Mönche weiter geschah. Sie verschwanden spurlos.

Die Ordensmänner kamen in „Konzentrationsklöster“, wie Svatny Benadik, Padolinec und Bac. Das Amt für kirchliche Angelegenheiten stellte zu der gewaltsamen Umsiedlung der Ordensleute lediglich fest, sie seien in „größere und geräumigere Klöster gebracht“ worden. Die konfiszierten Klöster wurden von den Behörden in Büros, Studentenheime, Polizeikasernen und ähnliches umgewandelt.

Von dieser „ersten Welle“ in der Nacht vom 13. auf den 14. April 1950 waren fast alle größeren männlichen Ordensgemeinschaften betroffen, darunter die Jesuiten, Franziskaner, Salesianer, Redemptoristen, Prämonstratenser und Dominikaner. Der Umsiedlung durch die Behörden entgingen nur jene, die in der unmittelbaren Pfarrseelsorge tätig waren, ein persönlich gutes Verhältnis zu örtlichen Funktionären hatten oder in jener denkwürdigen Nacht aus irgendeinem Grund nicht zu Hause waren.

Anfang Mai wurden die noch verbliebenen Ordenshäuser konfisziert, die letzten Orden aufgelöst, darunter die Piaristen, Kapuziner und Laza-risten. Nach offiziellen Angaben — die wirklichen Zahlen dürften noch weit höher liegen — wurden im Zuge der gesamten Aktion in der Slowakei rund 740 Ordensleute aus insgesamt 89 Häusern vertrieben, in Böhmen und Mähren mehr als 1200 Ordensleute aus 137 Klöstern.

Mit.der Deportation der Ordensmänner wurden die geistlichen Schwestern nicht nur ihrer Beichtväter und geistlichen Führer beraubt, es kündigte sich damit auch ein Schlag gegen die weiblichen Orden in der Tschechoslowakei an. Am 28. August wurden die Provin-zialoberinnen zusammengerufen und informiert, daß die Schwestern umgesiedelt werden würden. Der Ankündigung folgte in den frühen Morgenstunden des 30. August die Tat. Wie einige Monate zuvor die Ordensmänner, wurden nun die Ordensfrauen „umgesiedelt“, wobei die älteren von den jüngeren getrennt wurden.

Kurz vor der Konfiskation der Klöster und der staatlich verordneten Umsiedlung der Ordensfrauen zählte man auf dem gesamten Staatsgebiet der CSSR rund 10.500 Ordensfrauen in 720 Klöstern. Viele von ihnen, darunter Lehrerinnen und Professorinnen, arbeiteten nach dem 30. August als Fabrikarbeiterinnen oder in der staatlichen Landwirtschaft. Ein Hauptarbeitsgebiet der Ordensfrauen blieben Tätigkeiten, für die sich niemand sonst fand, wie die Betreuung der körperlich und geistig Behinderten.

Zur Zeit des „Prager Frühlings“ wurden auch für die Orden die allgemeinen Erleichterungen spürbar. Die Auflösung der männlichen Orden wurde für ungesetzlich erklärt. Erste Versuche, das Wirken der Orden wiederherzustellen, blieben jedoch in Ansätzen stecken oder gingen zusammen mit dem „Prager Frühling“ unter.

Heute sind die Ordensmänner entweder in der Pfarrseelsorge tätig oder amtsbehindert. Auch den Ordensfrauen wurde im Jahr 1968 verstärkt die Rückkehr zu früheren Tätigkeiten möglich. Die Schwestern begannen zum Teil in der Pfarrseelsorge zu wirken, vereinzelt kauften sie mit ihrem eigenen Geld die Klöster zurück, die man ihnen 1950 weggenommen hatte. Mit dem politischen Klima verschärfte sich jedoch auch wieder der Kampf gegen die Ordensgemeinschaften. Die weiblichen Orden wurden gezwungen, die Mitglieder, die 1968 — nach der Aufhebung des langen Aufnahmeverbots — in die Orden eingetreten waren, wieder nach Hause zu schik-ken. Innerhalb der letzten Jahre wurden den Ordensfrauen die zurückgekauften Ordenshäuser erneut weggenommen, die Frauen selbst wieder in Konzentrationsklöster „umgesiedelt“. Auch die Arbeit in der Pfarrseelsorge, ja auch in Krankenhäusern wird heute den Schwestern unmöglich gemacht. Durch den Aufnahmestopp sind die Orden sehr überaltert und von Staats wegen zum langsamen Aussterben verurteilt

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