6873059-1978_32_13.jpg
Digital In Arbeit

Beim Nachtmahl Herzinfarkt…

Werbung
Werbung
Werbung

Die beiden Galapremieren der Salzburger Festspiele, Levines und Pon- nelles „Zauberflöten“-Inszenierung und der allzu unwienerische, unerotische „Rosenkavalier“ unter Dohnanyi und dem vor kurzem verstorbenen Günther Rennert, sind vorbei. In Salzburgs Betriebsamkeit und Starrummel herrscht wieder Festspielalltag. Man geht zur Tagesordnung über. Neue kostspielige Projekte für 1979 werden bereits gewälzt: Karajans ,,Aida“-Premiere mit Jose Carreras, Mirella Freni und Piero Cappuccilli, für Dr. Karl Böhm zum „85er“ eine neue „Ariadne auf Naxos“ in Dieter Doms Regie; den Erfolgs-„Titus“ von Ponnelle und Levine und die „Zauberflöte“ wird man Wiedersehen und auch Karajans und Ponnelles „Figaro“, der kurz pausierte. Für einige Zeit aufs Eis gelegt werden hingegen „Don Giovanni“ (Böhm-Ponnelle) und „Salome“ (Karajan). „Don Carlos“, seit Jahren glanzvoll besetzter Festspiel-Dauerbrenner, wird den budgetknappen Osterfestspielen zugeschoben und im Mai 1979 auch noch an der Wiener Staatsoper untergebracht (damit endlich alle geschäftlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind). Und aus der Festspielplanung abgestoßen wird die barocke Oper „II Sant’Alessio“, die monströse Ausstattungsklamotte, mit der selbst ein so interessanter Regisseur wie August Everding - gemeinsam mit Ponnelle - als „August im Pech“ die Erfolgsleiter hinunterrutschte.

Daß man 1979 um die „Don Giovan- ni“-Produktion jedenfalls nicht viel klagen wird, ist sicher. Ponnelle hat das Dramma giocoso zwar heuer neu durchdacht und manche der peinlichen Gags entfernt: Giovanni reitet jetzt nicht mehr auf Grabdenkmälern. Die Armee turtelnder (Fellini-)Damen, die anGiovanni szenenlang zupften, ist auf drei gespenstisch erschöpfte Wesen geschrumpft. Donna Anna darf endlich wieder Dame sein und ohrfeigt niemanden mehr, Elvira muß offenbar auch nicht mehr ins Kloster- oder trug sie 1977 ohnedies nur vorübergehend Ponnelles Herbst-New-Look im Nonnenstil?

Allerdings, Giovanni stirbt nach wie vor beim Nachtmahl an einem recht untheatralischen Herzinfarkt… Heuer offenbar obendrein an Langeweile, weil Ponnelle sein Regiekonzept zwar entrümpelte und viele Gags gestrichen hat, aber die Leerläufe durch keine neuen Einfälle auffrischte.

Immerhin konnte man trotz dieser Pleite verbuchen, daß unter Dr. Böhms intensivem Zugriff Sherrill Milnes diesmal einen fulminanten Giovanni sang. Temperamentvoll, jeder Zoll ein Verführungsartist, bei dem dieses Gewerbe nicht bloß Renommeesache bleibt, sondern spürbar mit psychischen Zwängen und mythischen Motiven verkettet ist. Die übrige Besetzung konnte man ohnedies nur vergessen.

Anders hingegen Richard Strauss’ „Salome“, die heuer dank Karajans und Hildegard Behrens Engagement zu einem Triumph sondergleichen wurde. Daß da im szenischen Arrangement manches zu wenig durchdacht blieb, störte kaum. Hildegard Behrens hat sich mit dieser Aufführung ihren Platz in der ersten Garnitur weltberühmter Salome-Sängerinnen gesichert. Sie füllt diese laszive Figur und die ganze Produktion mit einer Ausstrahlung und Leidenschaft, die Beklemmung auslösen. Die Laune der kleinen Prinzessin, den Mund des Propheten Jochanaan zu küssen, steigert sie zur Gratwanderung zwischen Leben und Tod, an deren Ende nur der Absturz möglich ist. Der Todesrausch. Und Karajan verdichtet den Ausdruck musikalisch bis zur äußersten Anspannung, zum Taumel, in dem flimmernden Goldstaub, klirrende • Juwelen, das Keuchen und Gieren der Oscar-Wilde-Figuren klanglich einswerden. Eine Meisterleistung des Sängerensembles und der Wiener Philharmoniker, die inzwischen auch auf Platte verewigt wurde.

Das Konzertangebot der Festspiele kommt heuer nur langsam ins Rollen:

Ungewöhnlich vor allem, daß am Anfang keine großen Galaabende plaziert waren, sondern zwei - für ein solches Festival der Luxusklasse in jeder Hinsicht eher dürftige - Konzerte des ORF-Symphonieorchesters, in denen sich Leif Segerstam mit Schönbergs „Pelleas“ und Weberns „Passacaglia“ und der Hannoveraner George A. Al- brecht mit Bartöks „Herzog Blaubart“ und Apostels „Requiem“ herumschlugen. Aufputz des Segerstam- Konzerts war allerdings die Uraufführung des neuen Violinkonzerts von Hans Werner Henze. Gespielt von Gi- don Kremer.

Henze, der sich auch hier als treuer Adept klassischer Ästhetik ausweist, hat es „II Vitalino Raddoppiato“ genannt und weist damit auf das Vorbild, den Bologneser Meister Tommaso Vitali (1663 bis 1745). Aus dessen Schaffen zitiert er die berühmte Chaconne. Er modifiziert sie geschickt um und bestrickt sie mit raffinierten Geigenranken. Für Henze, der sich der barok-

ken Technik des „Doubles“, also der variierten Wiederholung, schon früher bedient hat, ist dieses „Doublieren“ des alten Themas eine Herzenssache. Erinnerungen an Jugendtage, ein Thema wird mit italienisch-sinnlichem Überschwang ausgekostet und mit schönen Bildern beladen. Und es ist ihm ein feingliederiges, ungemein sanft und samtig klingendes Werk gelungen, goldrichtig für die empfindlichen Ohren des Festspielpublikums, das sich gibt, als ob die neue Musik nach Avantgardetagen Pause machte und sich im Museum umsähe (wie das schon Strawinski gern getan hat).

Daß dieses Violinkonzert zu einem Bombenerfolg werden mußte, konnte man fast Voraussagen. Gidon Kremer hatte daran wesentlichen Anteil. Sein Spiel kehrte die kostbare Eleganz hervor, trug die Duftnote dieses Henze- Schaumbads in barockem Wohllaut.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung