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Beispiel für Österreich?

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In den nächsten Tagen wird sich der Nationalrat erstmalig mit dem Volksbegehren zum Schutz des Lebens“ befassen. Die politischen Parteien werden sagen müssen, ob sie die derzeitige Abtreibungsgesetzgebung für gut befinden und mit der heutigen Praxis zufrieden sind — oder ob sie zu Modifikationen im Sinn des Volksbegehrens bereit sind.

Kardinal König hat in einem Interview festgestellt, daß die Katholiken voll und ganz hinter dem Volksbegehren stehen; daß man aber auch prüfen sollte, wie andere europäische Länder — etwa Frankreich — die Abtreibung regeln. In einem Leitartikel hat FURCHE-Chefredakteur Hans Magenschab das „französische Modell“ als einen denkbaren Weg des Kompromisses vorgeschlagen — weil es in Frankreich gelungen ist, tausende abtreibungswillige Mütter von ihrem Vorhaben wieder abzubringen. (Siehe auch den Bericht unseres Korrespondenten Rudolf Lewandowski in FURCHE 9/76).

Nunmehr nehmen die Klubobmänner Heinz Fischer (SPÖ), Stephan Koren (ÖVP) und FPÖ-Abgeord-neter Tassilo Broesigke zum „französischen Modell“ Stellung.

Die Absicht, die das französische Gesetz Nr. 75 — 17 vom 17. Jänner 1975 über den absichtlichen Abbruch der Schwangerschaft hat, werden bereits in den beiden Artikeln des ersten Absatzes klar. Diese beiden Absätze seien deshalb in deutscher Übersetzung hier zur Gänze wiedergegeben:

„Artikel 1: Das Gesetz garantiert die Ehrfurcht vor jedem menschlichen. Wesen vom ersten Augenblick seiner Existenz an. Von diesem Prinzip kann nur in zwingenden Fällen

und unter den vom vorliegenden Gesetz definierten Umständen abgewichen werden.

Artikel 2: Während einer Periode von fünf Jahren, beginnend mit der Veröffentlichung dieses Gesetzes (also probeweise) sind die im Strafgesetzbuch festgehaltenen Sanktionen suspendiert, wenn der freiwillige Abbruch der Schwangerschaft vor dem Ende der zehnten Schwangerschaftswoche durch einen Arzt in einem öffentlichen Krankenhaus oder in einem staatlich kontrollierten Pri-va'.sanatorium im Sinne der Bestimmungen des .Codex der öffentlichen Gesundheit' durchgeführt wird.“

Es folgen nun Bestimmungen,

unter welchen Umständen die Suspendierung der Straffolgen probeweise in Kraft treten soll. Artikel 162-1 bestimmt, daß die betreffende Frau sich in „detresse“ befinden muß. Das französische Wort „detresse“ steht dem deutschen Wort „Verzweiflung“ näher als dem deutschen Wort „Not“.

• Artikel 162-2 bestimmt, daß der Arzt, der den Abbruch in einem öffentlichen Krankenhaus oder einer staatlich kontrollierten Privatklinik durchführen soll, die betreffende

Frau vorerst über alle Risiken medizinischer Art aufklärt und ihr klarmacht, welche Folgen der Abbruch für den Fall künftiger Schwangerschaften halben kann. Der Arzt muß ferner ein Dossier über den Fall anlegen. Er muß der betreffenden Frau alle Rechte aufzählen, die ihr zustehen, ebenso alle Hilfen und Vorteile, die die französische Familiengesetzgebung allen Müttern gewährt, den ehelichen sowohl wie den unehelichen, die Hilfen und Vorteile, die den Kindern gesetzlich garantiert werden und die Möglichkeiten, die für eine Adoption des künftigen Kindes durch Dritte offenstehen. Der betreffenden Frau ist eine

Liste mit den Adressen aller erreichbaren zuständigen Organisationen einzuhändigen.

• Artikel 162-4 bestimmt, daß die betreffende Frau sodann eine Familienberatungsstelle aufzusuchen hat oder eine der anderen ihr zur Verfügung gestellten Adressen, wo sodann über die Vorsprache der Frau Protokoll zu führen und die Tatsache zu bescheinigen ist, daß die Frau tatsächlich vorgesprochen hat. Für die hier eingeschalteten Familienberatungsstellen und sonstigen Organisationen gelten im Falle des Zuwiderhandelns die bisherigen Strafsanktionen im vollen Ausmaß. Wann immer dies möglich ist, hat die Frau nicht allein, sondern in Begleitung ihres Gatten oder auch des Kindesvaters (das Gesetz spricht von

einem „Paar“ und nicht von einem Ehepaar) die Beratungsstelle aufzusuchen.

• Artikel 162-5: Besteht die Frau immer noch auf ihrem Entschluß, muß ihr der Arzt eine diesbezügliche schriftliche Bestätigung abverlangen. Er darf diese Bestätigung jedoch nicht vor Ablauf einer Woche nach der ersten Vorsprache der betreffenden Frau entgegennehmen.

• Artikel 162-8 bestimmt, daß kein Arzt gezwungen werden kann, einen Abbruch durchzuführen. Er hat die betreffende Frau schon bei der ersten Vorsprache über seinen diesbezüglichen Standpunkt zu informieren.

In der Folge werden die für den Arzt geltenden Vorschriften mutatis mutandis auf Hebammen, Sanitäter, ärztliches Hilfspersonal usw. ausgedehnt. Im übrigen haben alle Krankenanstalten, öffentliche oder private, das Recht, Schwangerschaftsabbrüche abzulehnen. Eine Krankenanstalt, die den Abbruch dennoch durchführt, hat die Frau übrigens eingehend über alle Möglichkeiten der Empfängnisverhütung aufzuklären.

• Im Absatz 2 des Gesetzes erklärt Artikel 162-12 den Schwangerschaftsabbruch in allen Stadien der Schwangerschaft für straffrei, wenn zwei Ärzte nach genauer Untersuchung und ärztlichem Konsilium festgestellt haben, daß die Fortsetzung der Schwangerschaft für die Frau Todesgefahr oder schwerste Beeinträchtigung der Gesundheit bedeuten würde, bzw. wenn sie festgestellt haben, daß der nasciturus von einer eindeutig als unheilbar zu bezeichnenden schwersten Schädigung be-

troffen ist. Einer der beiden herangezogenen Ärzte muß in einer öffentlichen Krankenanstalt oder in einer öffentlich kontrollierten Privatklinik angestellt sein.

• Der dritte Absatz des Gesetzes enthält strenge Vorschriften für Krankenanstalten und Privatkliniken. Die Zahl der dort durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche darf ein Viertel sämtlicher in der gleichen Anstalt durchgeführten Eingriffe nicht übersteigen. Zuwiderhandeln hat die Schließung der Krankenanstalt oder der Klinik zur Folge.

• Unter Strafsanktion gestellt sind ferner alle Personen, die an einem erfolglosen Schwangerschaftsabbruch beteiligt sind, mag dieser Schwangerschaftsabbruch durch das vorliegende Gesetz auch zugelassen sein.

Schließlich stehen unter Strafsanktion physische und juristische Personen, die Propaganda für Medikamente, Gegenstände oder Methoden machen, die für einen Schwangerschaftsabbruch bestimmt sind, oder die auch nur für Anstalten Propaganda machen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.

• Artikel 13 dieses Absatzes stellt fest, daß der Schwangerschaftsabbruch auf keinen Fall eine Methode der Geburtenbeschränkung sein kann. Er verpflichtet die Regierung vielmehr, alle notwendigen Maßnahmen zur weitestgehenden Aufklärung der Bevölkerung über Familienplanung zu ergreifen. Die Beratungsstellen und sonstigen Institutionen, die nunmehr ausgebaut werden sollen, werden neuerlich aufgezählt.

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