7016623-1988_28_10.jpg
Digital In Arbeit

Beispiel Neuberg

Werbung
Werbung
Werbung

Rund 1600 Einwohner hat der am Fuße der Schneealpe idyllisch gelegene Ferienort Neuberg an der Mürz, in dem vom 15. Juli bis 7. August — heuer zum zwölften Mal — die „Neuburger Kulturtage“ stattfinden. Im gotischen Münster, in Refektorium und Dormitorium der ehemaligen Zisterzienserabtei aus dem 14. Jahrhundert musizieren auch heuer wieder renommierte Künstler wie Stefan Vladar, Roswitha Randaeher, Heidi Litschauer, Howard Arm an und Erich Kleinschuster, vermitteln erfahrene Pädagogen in- und ausländischen Musikstudierenden ihre Fähigkeiten und Erkenntnisse.

Gundula Janowitz, künftige Operndirektorin in Graz, gibt am 31. Juli eine „Lieder stunde“, die — ebenso wie das Festkonzert am 30. Juli—mit einem gemütlichen Beisammensein bei Brot und Wein beschlossen werden soll.

Den Neuberger Veranstaltern geht es also nicht nur um künstlerische Höhepunkte und um fachlich hochstehende Fortbildungsseminare für Studenten. Ihnen ist es gleichzeitig um jene Atmosphäre der kulturellen Neugier und künstlerischen Aufgeschlossenheit zu tun, die nicht notwendigerweise eine einschlägige Vorbildung voraussetzt. Künstler, Studierende, Gäste und Ortsansässige, ihrer Herkunft und ihrem Alter nach verschieden, sollen Kontakte knüpfen und miteinander ins Gespräch kommen.

Darüber hinaus könnten beispielsweise eingeschworene Fans alter Musik ihr Interesse an Jazz-Workshops entdecken, Musiker sich mit moderner bildender Kunst konfrontieren. Der gebürtige Neuberger Heinrich J. Pölzl zeigt im Stiftsdormitorium seine Werke. In einer,.Kinder- und Familien-Kunstwerkstatt“ könnenz Eltern gemeinsam mit ihren Kin-dern künstlerisch selbst aktiv werden—musizieren, tanzen, ma-len, filmen. 1

Natürlich stand auch bei dem 1976 zunächst von einigen engagierten Idealisten ins Leben gerufenen Kulturfest der Gedanke an die „Krisenregion Obersteiermark“ Pate, natürlich erscheinen die Ankurbelung des örtlichen Fremdenverkehrs („Neuberg, wo man noch Zeit zum miteinander Reden hat“) und die Steigerung des kulturellen Selbstwertgefühls für die Bewohner wichtig.

Das vielfältige Programm und die erfrischende Herzlichkeit der Veranstalter wecken den Wunsch nach „Kulturgenuß einmal anders“. Und lassen grundsätzliche Überlegungen zu den sommerlichen Kulturfestivals zwischen Salzburg und Perchtoldsdorf, zwischen Spittal an der Drau und Mörbisch aufkommen. Überlegungen zum Programm dieser Veranstaltungen ebenso wie zu den angesprochenen Publikumsschichten, zu Aufführungsorten, zur erhofften fremdenverkehrsfördernden Wirkung, zu den mehr oder weniger umfangreichen Subventionen — und Überlegungen dazu, was am Beginn aller dieser Festivals stand.

Ob Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt im Salzburg der zwanziger Jahre, ob Gidon Kremer und Pfarrer Josef Hero-witsch im burgenländischen Lokkenhaus — begeisterte Künstler, aufgeschlossene Lokalpatrioten und mit besonderem Flair ausgestattete Aufführungsorte bieten Einheimischen und auswärtigen Gästen Aufführungen, die sie anderswo nicht in dieser Form erleben können.

Auf Opern- und Theaterbühnen, auf Konzertpodien, auf Brettern jeglicher Art werden höchsten Ansprüchen genügende künstlerische Leistungen vollbracht. Die Frage der Umwegrentabilität taucht auf, kommunalpolitisches Interesse beginnt einen Kreislauf in Gang zu setzen, der immer mehr an Eigendynamik gewinnt. Subventionen des Bundes, der Länder, der Gemeinden, Unterstützungen von Sponsoren tragen das ihre dazu bei. Es finden sich Verbündete in den Schallplattenherstellern, in TV-Stationen und Filmfirmen. Programme und ausführende Künstler werden nach der Vermarktbarkeit bestimmt.

Auf der Strecke bleibt die Freude des Anfangs, verloren geht die unbefangene Heiterheit, in der künstlerische Darbietungen — auch ohne hundertprozentige Perfektion — Ausführende und Zuhörende/Zusehende zur verschworenen Gemeinschaft werden lassen. Jene Möglichkeiten zur menschlichen Begegnung, quer über Bildungsvoraussetzungen hinweg, sind nicht mehr gegeben, durch die auch neue Publikumsschichten gewonnen werden. Selbstverständlich brauchen die meisten Kulturfestivals ihre eingefleischten Fans, die auch das Jahr über Konzert-, Opern- oder Theaterbesucher sind—aber nicht nur sie.

Häufig war der Reiz eines bestimmten Spielortes wesentlich ausschlaggebend für das Zustandekommen eines sommerlichen Festivals — Spielort, Werk und Ausführende sollten ein ganz spezifisches Ensemble büden, seinen unverwechselbaren Charme ausmachen. Aus Rentabilitätsgründen wurden und werden Auffüh-rungsorte adaptiert und domestiziert — wetterfest gemacht. Gerade die Veranstalter kleinerer Festivals sind damit finanziell überfordert.

Zwischen Neusiedlersee und Bodensee sollten jene sommerlichen Kulturfeste unser aller Interesse finden, die Kenner und Neugierige vereinen und — unabhängig von den Maßstäben professioneller Rezensenten — vor allem Freude an den dargebotenen Werken vermitteln. Wenn sie dabei noch das örtliche Ambiente einzubeziehen verstehen, sollte ihr kulturpolitischer Stellenwert nicht geringgeschätzt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung