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Bekenntnis zur Elite-Ausbildung

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Mit Beginn des Schuljahres in England wurden jene Gruppen wieder laut, die im Frühsommer dieses Jahres die Abschaffung des privaten Schulsektors in Großbritannien gefordert haben. Es handelt sich bei diesen Rufern aber lediglich um sehr kleine Minoritäten, die am linken Rand der Labour-Partei angesiedelt sind. Und dabei ist das Spektrum der einzigen nahezu britischen Linkspartei so breit, daß es auch eine Trotzkisten-Organisation mit eigenen Sekretariaten und Publikationsserien einschließt.

Allerdings sollte die Kritik der „Unrechtmäßigkeit” der Existenz oder zumindest der staatlichen Subvention des privaten Bildungssektors nicht überhört werden, da es sich doch um eine der sonst unumstrittenen Institutionen des Vereinigten Königreichs handelt, vergleichbar mit der Monarchie, dem Unterhaus, dem Tennis in Wimbledon oder den kleinen Stehkneipen mit dem oft handgezapften Bier.

Der Bildungsweg in England ist bezüglich der Zusammenfassung der Schüler nach Altersblöcken unserem Schulsystem sehr ähnlich. Hier aber endet bereits mit Österreich Vergleichbares. Die Sekundärstufe, für das Alter ab dem Ende der Volksschule bis zu einem möglichen Universitätseintritt, ist in der Form wie das deutsche System gestaltet. In einer allgemeinen Mittelschule, von etwa elf bis sechzehn Jahren, werden die Schüler mit einer großen Anzahl von Gegenständen konfrontiert, ohne allzuviele Wahlmöglichkeiten zu haben.

Die Abschlußprüfungen dieser 'Schulstufe, die „O-Ievels” - Normalstufe -, sind schriftlich, wobei die Schüler individuell Fächer und auch deren Anzahl wählen können. Hierbei fällt allerdings schon eine wesentliche Entscheidung für den weiteren Weg des jungen Menschen. Es hängt von der Zahl der Fächer und von den erzielten Resultaten ab, ob eine weitere Ausbildung möglich ist, und vor allem wo. (Wird der Eintritt ins Berufsleben direkt vorgenommen, was bei der überwiegenden Mehrzahl der ,,0-levels”-Absolventen der Fall ist, kommt es auch noch darauf an, in welchen Fächern positive Resultate erzielt wurden.)

Das Wo der Ausbildung ist nämlich in den meisten Fällen wichtiger als die Noten. Da das englische Schulsystem auf der Gesamtschule - mit wenigen Ausnahmen gehen alle Gleichaltrigen in denselben Schultyp - aufbaut, wobei Schulleitern viel mehr Gestaltungsfreiheit gelassen wird als in Österreich, pflegen viele Schulen einen bestimmten Charakter. Dieser kann sich in der Art der Erziehung, der Ausstattung mit Lehrmitteln, der Höhe der Anforderungen oder der Rekrutierung der Schüler aus bestimmten Bevölkerungsschichten ausdrücken.

Viele der Privatschulen, von denen es eine große Zahl gibt und die oft konfessionell, sehr oft katholisch, geleitet werden, stellen hohe geistige Ansprüche und bieten neben einer hervorragenden umfassenden Erziehung viele Möglichkeiten zu gesellschaftlichen Aktivitäten. In den sportlichen, politischen, Debattier- oder Forschungs-Clubs, auf die, und die Beteiligung der Schüler daran, die Schulen großen Wert legen, wird Reife, gesellschaftliches Zusammenleben gelernt.

Die Zeit dazu ist bewußt die Freizeit, da es sich um außerschulische Aktivitäten handelt, die aber meist von der Privatschule - sie kann mit Internat pro Jahr bis zu (umgerechnet) 200.000 Schilling kosten - großzügig finanziert werden. Man muß dabei bedenken, daß viele dieser Schulen Internate sind, da sie meist auf dem Land liegen - mit vielen Sportanlagen umgeben. Sonst käme es zu unzumutbaren oder unmöglichen Schulwegen, während dadurch auch eine Totalerziehung ermöglicht und gewährleistet wird.

Aufgenommen wird man in solchen Schulen auf Grund der Noten der Volksschule, einer Aufnahmsprüfung und einem Gespräch mit einem Mitglied der Direktion. Stipendien sind vorhanden, meist von der Schule selbst, allerdings ist die finanzielle Situation nicht so gestaltet wie an der Universität, wo jeder Student zumindest die Studienkosten, auch für Elite-Institute, vom Staat ersetzt bekommt, was einerseits den Instituten die Eigenständigkeit bewahrt, aber gleichzeitig finanzielle Barrieren für den Studenten aus dem Weg räumt. Für die (gute) sekundäre Erziehung ihrer Kinder haben die Eltern große Opfer zu bringen.

Der zweite Teil der Mittelstufe, zwei Jahre, sind intensiver Beschäftigung mit drei oder mehr Gegenständen gewidmet, was einerseits viele „Maturanten” mit einem wesentlich höheren fachlichen Niveau als bei uns die Universität beginnen läßt, anderseits aber auch eine Einschränkung der Fächerwahl beim Studienbeginn mit sich bringt.

Der Abschluß der Oberstufe, die „A-levels” - fortgeschrittene Stufe -, bedeutet lediglich die theoretische Möglichkeit zum Universitätsbesuch. Denn der Absolvent hat sich mit seinen Zeugnissen der letzten Jahre und den Noten der „A-levels” um einen Universitätsplatz zu bewerben.

Jede Universität stellt ja nach ihrer wissenschaftlichen Qualität für jedes der gelehrten Fächer ein Minimum an „A-levels”-Zahl und Noten als Vorbedingung, daß ein Maturant überhaupt zu einem Gespräch eingeladen wird. Allerdings sind die englischen Noten aussagekräftiger als die österreichischen, da in Großbritannien die Prüfungsarbeiten zentral pro Schulbezirk bewertet werden.

Obwohl dieses System hart aussieht und es zum Teil auch ist, wird es allgemein akzeptiert, da die Auslese gerecht ist und auch so empfunden wird. Selbst von denen, die durch den Rost gefallen sind. Die von ihnen gegebene Begründung lautet einfach „Ich war eben nicht gescheit genug” und beinhaltet ein bewunderndes Aufschauen zu den Elite-Instituten und den von ihnen Aufgenommen, aber ohne Neid.

Was Österreich für die laufende Schuldiskussion von Großbritannien lernen könnte, wären die Tatsachen, daß ein auf Eliteheranbildung bedachtes System nicht ungerecht sein muß -dafür aber sicherlich gut und relativ billig für das Land ist - und die Gesamtschule nicht Schulen gleicher (schlechter) Qualtität bedeuten muß. Und ferner, daß nicht nur Noten, selbst wenn sie vergleichbar sind, ausschlaggebend sein müssen für die Feststellung einer Eignung zu weiterer Ausbildung, kündbare Lehrer viel mehr leisten, und mehr Gestaltungsfreiheit für Lehrer auch für Schüler größeres Interesse an der Schule und am Lernen mit sich bringt.

THOMAS M. BUCHSBAUM. dzt.

CAMBRIDGE

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