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Belastungsdokument eine Fälschung?

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Dieser Artikel war längst vordem 16. Mai geschrieben, als Kardinal Lekai den Priestern Bulänyi und Kovacs in Naggamaros die Konzelebration verweigerte, worauf. Hunderte Jugendliche die Messe verließen ...

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Dieser Artikel war längst vordem 16. Mai geschrieben, als Kardinal Lekai den Priestern Bulänyi und Kovacs in Naggamaros die Konzelebration verweigerte, worauf. Hunderte Jugendliche die Messe verließen ...

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Die ungarische Bischofskonferenz hat anläßlich ihrer heurigen Frühjahrssitzung neuerlich an den bereits zu wiederholten Malen gemaßregelten Basisgemeinden Kritik geübt. In der Ausgabe vom 21. März 1982 ist in der ungarischen katholischen Wochenzeitung „Uj Ember” wie folgt zu lesen: „Die Konferenz muß mit Besorgnis feststellen, daß György Bulänyi, Mitglied des Piaristenordens, sowie einige Seelsorger, die sich ihm angeschlossen haben, in unserem Lande irrige Glaubenslehren verbreiten und im Zusammenhang damit in Kreisen ihrer Anhänger eine von der bisherigen weitgehend abweichende Kirchendisziplin einzuführen wünschen.” Und weiter:

„Unter den Gläubigen wächst in zunehmendem Maße eine gewisse Unruhe, denn allenthalben hört man von solchen verwirrenden Lehren. Es ist uns seit Jahren bekannt — und die ganze Kirche Ungarns leidet mehr und mehr darunter —, daß einige unter dem Deckmantel erleuchteter Reformer sich unter Nichtachtung der Hierarchie gegen die kirchliche Obrigkeit auflehnen; ihr Vorgehen stellt für die Kirchendisziplin eine Bedrohung dar.”

Zwei Wochen nach der Veröffentlichung dieser ungewöhnlich scharf formulierten Erklärung erschien am 4. April 1982 in der gleichen Zeitung ein namentlich nicht gekennzeichneter Artikel, um die Katholiken Ungarns darüber aufzuklären, was die Bischof skonf erenz als „verwirrende Lehren” bezeichnet und „deren Hintergrund, deren bereits seit langen Jahren anhaltender Werdegang und die unmittelbare Vorgeschichte nur einem kleinen Teil der Gläubigen bekannt ist.”

Wie aus den Ausführungen hervorgeht, wurde György Bulänyi am 5. Dezember 1981 von vier Professoren über seine theologischen Ansichten befragt. Bulänyi hatte damals ersucht, ihm die Fragen schriftlich vorzulegen, die er dann seinerseits ebenfalls schriftlich beantwortete. Bulänyi hatte — auf mehrfachen Rat hin — deswegen auf der schriftlichen Form beharrt, weil ihm dies als die einzige Möglichkeit erschien, eine korrekte Abwicklung und objektive Uberprüfbarkeit der Fragen und Antworten zu gewährleisten. Aber trotz all seiner diesbezüglichen Bemühungen gelang es ihm schließlich doch nicht, eine schriftliche Abwicklung des Verfahrens durchzuziehen — und er wurde auch prompt verurteilt.

Völlig unerwartet taucht dann plötzlich ein neues Dokument auf, das in dem Verfahren von ausschlaggebender Bedeutung ist. In „Uj Ember” war dazu folgendes zu lesen: „Kurz darauf erschien ein im Vervielfältigungsverfahren hergestelltes Blatt unter dem Namen ,Uj forräs' (Neue Quelle) — welches in einer Abhandlung über den Gehorsam verschiedene von der kirchlichen Lehre abweichende Ansichten vertritt. Der Autor ist zwar namentlich nicht genannt, doch geht aus Punkt 41 des Schreibens eindeutig hervor, daß es sich um György Bulanyi handeln muß.”

Das geheimnisvolle Auftauchen der obengenannten „Neuen Quelle” spielt in dem den Bischöfen vorgelegten Gutachten der Professoren eine wichtige, gleichzeitig aber auch etwas sonderbare Rolle: Das Schreiben enthält Aussagen, die als „Ergänzungen” zu verschiedenen in den Schriften Bulänyis geäußerten Überlegungen gewertet werden könnten. Diese „Ergänzungen” weisen Aspekte auf, die mit der kirchlichen Lehre im Widerspruch stehen und sind somit weitgehend geeignet, sowohl die Anklageerhebung seitens der Bischöfe als auch das verurteilende Gutachten seitens der Professoren zu rechtfertigen.

Die Frage nach der Urheberschaft dieser mysteriös aufgetauchten „Neuen Quelle”, die der Verurteilung so überaus gelegen kommt, ist somit von entscheidender Bedeutung. So gesehen erscheint es auch nicht ganz unwesentlich, daß „Uj Ember” in seiner Berichterstattung die Autorenschaft Bulänyis nicht behauptet, sondern nur als Folgerung vermutet. Wie aus dem Betroffenen nahestehenden Kreisen verlautet, bestreitet Bulänyi entschieden, der Verfasser des Schreibens zu sein.

Objektiv betrachtet mutet es jedenfalls seltsam an, daß eine Person ausgerechnet während der gegen sie laufenden Untersuchung speziell ein solches Schreiben verfassen sollte, in dem sie freiwillig all das „ausplaudern” sollte, gegen das sie sich während der Befragung unbestreitbar verwahrte. Ist die „Neue Quelle” also eine Fälschung? Und wenn ja, wer ist der Urheber bzw. der Verfasser?

. Leider ist nunmehr zu befürchten, daß der Druck auf die beanstandeten kirchlichen Basisgemeinden noch zunehmen wird.

Der Autor ist Leiter des Ungarischen Kirchensoziologischen Instituts in Wien.

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