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Belastungsprobe

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Die Konsolidierung des österreichischen Cartellverbandes (ÖCV), die anläßlich der letzten Hauptversammlung im Juni 1973 in Wien stattfand, trägt — so versichern Verbandsfunktionäre — bereits erste Früchte. War es doch das Ziel der Jahresversammlung gewesen, interne Querelen, persönliche Streitigkeiten sowie hochgespielte „ideologische“ Gegensätze weitgehend zu bereinigen. Gegensätze, die aus einer in der Vergangenheit allzu starken Fixierung auf die österreichische Volkspartei resultieren, wodurch auch der CV nach der Wahlniederlage 1971 wesentlich betroffen wurde und sich im semesterlangen Suchen nach einer „Linie“ aufzureiben drohte.

Eine Klausurtagung der ÖCV-Spitzenfunktionäre formulierte sinngemäß, daß der ÖCV auf Grund seiner, von der Tagespolitik unabhängigen Prinzipien, sein Selbstverständnis in der Verwirklichung dieser Prinzipien sehen müsse, wodurch sich zwangsläufig eine „Repolitisierung“ des Verbandes und seiner Mitglieder ergeben wird.

Nun ist der CV keinesfalls zu einem monolithischen Meinungsblock geworden, was insbesondere die letzten Hoohschülerschaftswah-len bewiesen haben. Selbstverständlich — so wird versichert — „ist im CV ebenso Platz für einen Franz Praimmer wie für einen Peter Ketzer“. Nicht jedoch würde geduldet werden, daß Meinungsverschiedenheiten auf einem Niveau und in einer Form ausgetragen werden, wie es in der Vergangenheit zuweilen geschehen ist.

Spannungen gibt es noch Immer zwischen „konservativen“ Kreisen sowie den eher „fortschrittlich“ denkenden CVem, wobei dieser Gegensatz nicht unbedingt mit der Trennung in Studierende und alte Herren zusammenfällt.

Inwieweit Toleranz und Meinungsvielfalt — wie sie die CV-Zeit-schrift „Academia“ pflegen will — Gemeingut des Verbandes geworden sind, wird sich nicht zuletzt an einer Frage entscheiden, mit der möglicherweise demnächst alle Katholiken Österreichs konfrontiert werden können: die mögliche Kandidatur Außenminister Rudolf Kirchschlägers für das Amt des Bundespräsidenten. Kirchschläger ist bekanntlich Mitglied des CV-nahen Mittelschüler-Kartellverbandes (MKV) und praktizierender Katholik. Mit seiner Kandidatur hätte das österreichische Volk die greifbare Chance, erstmals in der Zweiten Republik einen Präsidenten zu wählen, der in religiösen Dingen die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert.

Oder aber wird die Tatsache, daß eine SPÖ, die nicht zuletzt auch die Reform des 144 ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung durchgeboxt hat, diesen Rudolf Kirchschläger unter Umständen als Kandidat aufstellen wird, für Österreichs Katholiken maßgebend sein, gegen diesen Kandidaten zu stimmen? Immerhin ist Kirchschläger Regierungsmitglied und trägt als solches auch Verantwortung für Regierungsvorlagen.

Offen ist auch die Frage, wie die ÖVP auf eine Kandidatur Kirchschlägers reagieren wird. In der letzten Ausgabe der .,Academia“ schrieb der eher liberale Alexander Vodopivec, daß die ÖVP mit Aufstellung eines Gegenkandidaten in ein offenes sozialistisches Messer laufen würde: „Die zweite, andere Möglichkeit, die angesichts dieser Konstellation sicherlich die politisch klügste wäre, bestünde darin, auf die Aufstellung eines Gegenkandidaten zu verzichten, sich jeder Wahlempfehlung, aber auch aller Versuche zu enthalten, an sogenannten überparteilichen Komitees teilzunehmen, und damit die sozialistische Aktion ins Leere laufen zu lassen.“

Diese Frage wird nicht nur die Gemüter der Parteistrategen, sondern auch jedes einzelnen Österreichers bewegen; für den CV (aber auch den MKV) kann die Situation pikant werden. Sollte sich die ÖVP entschließen, doch einen Gegenkandidaten aufzustellen, der ebenfalls einem der beiden Verbände angehört, dann könnte dies nicht nur für den einzelnen CVer, sondern auch für den Gesamtverband eine schwere Belastungsprobe darstellen. Eine ähnliche Situation gab es schon einmal, im Jahre 1963, als neben Adolf Schärf Julius Raab und Karl Kim-mel (als Kandidat der EFP) kandidierten, die beide CVer waren.

Nicht zuletzt wird es auch am politischen Verhalten Kirchschlägers liegen, inwieweit es ihm gelingt, das Vertrauen jener Kreise zu gewinnen, die der SPÖ reserviert bis ablehnend gegenüberstehen. Anläßlich der Wiener Dandtagswahlen, als Kirch -schläger im 9. Wiener Bezirk den sozialistischen Kandidaten öffentlich unterstützte, obwohl der ÖVP-Kan-didat dieses Bezirks MKVer war, meinte Kirchschläger, daß sich an seiner Position gegenüber der SPÖ wie auch dem MKV nichts geändert haibe und ein Austritt aus dem MKV für ihn nicht in Frage komme.

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