7048809-1990_44_13.jpg
Digital In Arbeit

Beleidigt Turrini?

Werbung
Werbung
Werbung

Peter Turrinis neues Theater­stück „Tod und Teufel" wird am 10. November im Wiener Burgthea­ter uraufgeführt. Es hat sich schon herumgesprochen, daß dieses Stück eine wahre Fundgrube ist für Men­schen, die gerne beleidigt sind. Ich versuche hier nachzuweisen, daß die Beleidigten in die falsche Grube gefallen sind.

Beleidigt fühlen können sich anspruchsvolle Burgtheaterbesu­cher, nennt doch Peter Turrini selbst sein Werk „eine Kolportage". Ein „Sachwörterbuch für Literatur" Gibt zum Stichwort „Kolportage­roman" folgende Auskunft: „Meist anonyme, auf billige Spannung und Sensation berechnete, literarisch wertlose Massenprodukte, die durch Hausierer an anspruchsloses Publikum verkauft werden."

Natürlich ist die Benennung „Kolportage" eine Unterspielung, eine Tarnung, und zwar eine großartig gelungene. Das Element „Spannung" ist voll vorhanden. Der Leser ist wirklich gespannt, „wie es ausgeht". Sensation ist gleichfalls vorhanden: ein drogenabhängiger bisexueller Pfarrer, Seitenblicke auf die „oberen Zehntausend", Mord und Totschlag.

Die Sensation wird gelegentlich auch zum Thema - in der Gestalt eines zynischen Reporters, dem seine „Kolportagegeschichtehüber Mörder und ihre Opfer" angeblich anwidern: „Ich habe ein Buch dar­über geschrieben. Die Wahrheit über den Sensationsjournalismus. Eine beinharte Abrechnung."

Das Merkmal „literarisch wert­los" aus der Definition trifft aber nicht zu. Im Gegenteil. Schon rein sprachlich ist dem Autor eine Mei­sterleistung gelungen, beispielswei­se in der Art, wie jeder in diesem Stück seine eigene, charakteristi­sche Sprache spricht.

Also, alles nur Literatur und keine Angst vor Peter Turrini?

Aus nicht-literarischen Gründen werden andere beleidigt sein, spä­testens nach der vierten Szene. Hier kommt es zu einem mehr als nur angedeuteten homosexuellen Kon­takt zwischen dem Pfarrer Bley und dem Nachtlokalschlepper, „dem schönen Wolf". Beleidigte Wort­meldungen über die Schamlosig­keit des Stückes sind zu erwarten.

Nun ist Schamlosigkeit wohl ein Merkmal unserer Gesellschaft über­haupt. Ehrfurcht ist nicht unsere Stärke. In den Medien werden auch die intimsten Handlungen des Menschen, sein Weinen, sein Beten und so weiter auf den Markt ge­bracht. Schamlos ist die Art, wie durch Waffenhandel mit Menschen­leben gespielt wird. Das zeigt Peter Turrini auf: ein Waffenhändler als Menschenfresser. Wer Scham nicht auf Sexualität beschränkt, wird eher betroffen als beleidigt sein.

Wer sich nur ein wenig in der Literatur auskennt, wird auch des­wegen betroffen, aber nicht belei­digt sein, weil ihm die Drastik moderner Literatur bekannt ist. Moderne Literatur ist oft nicht „schön".„Die Schönheit hat sich das Gesicht verbrannt", meint der niederländische Dichter Lucebert. So auch bei Turrini: drastisch die Sprache, die Darstellung, die Schauplätze: ein letztklassiges Sexlokal, eine Schnapsbude unter der Stadtbahn.

Gesucht wird nicht Schönheit, sondern Wahrheit, gefunden wird das Geheimnis des Menschen. In einer Schnapsbude oder in der So­zialwohnung einer Alkoholikerin leuchtet sie auf, die menschliche Seele, ihre Suche nach Erbarmen.

Am wenigsten können deswegen aufrichtige Christen beleidigt sein, sondern sie müßten sich wiederer­kennen.

Der Weg von Pfarrer Bley wird zum Vergleich mit dem Weg Jesu. Turrinis Stück endet mit einer Kreuzigungsszene. Bley nennt dann auch seinen Vornamen: Christian.

Am Anfang ist die Wüste, das Schweigen des Pfarrers, das dem Schweigen der „negativen Theolo­gie" sehr ähnlich ist, jenem Schwei­gen vor der Unaussprechbarkeit des Geheimnisses. Demgegenüber steht das Geplauder des Bischofssekre­tärs. „Bischofssekretär" steht hier wohl für jenen kirchlichen Men­schentyp, der auf alle Fragen eine Antwort hat und darum nicht ein­mal die Frage hören muß.

Der Bischofssekretär, Pater Manzetti, ist eine der drei Gestal­ten des Teufels in diesem Stück. „Man könnte glauben, der Teufel hätte von mir Besitz ergriffen. Wenn ich nicht genau wüßte, daß ich ein Mann Gottes bin." Als Schlepper eines Sexlokals und als Waffen­händler begegnet Pfarrer Bley wie­der dem Verführer.

Pfarrer Bley sucht die Sünde. Diebstahl und das Treiben im Sexlokal berühren ihn als Sünde nicht allzusehr. Er findet das wirkliche Verbrechen in der Welt des Waf­fenhändlers. Da ist die wirkliche Obszönität, die Sünde, und ist als solche zu benennen.

Aber, so bei Turrini, auch die Vergebung ist zu erflehen. Einer wegen Diebstahls entlassenen, zur Alkoholikerin gewordenen ehema­ligen Billa-Kassiererin wird diese Verzeihung zuteil. Sie behauptet, zu Unrecht gekündigt zu sein - die Kassa habe gestimmt, man müsse nur nachrechnen. Pfarrer Bley tut das. Er ist der erste. „In acht Jahren hat niemand nachgerechnet. Er ist der erste Mensch, der nachgerech­net hat. Er ist ein Heiliger."

In einer Schnapsbude wird der Frau ihre Würde zurückgeschenkt. Sie heißt Magda und wird die Mag­dalenafigur auf dem Weg des Pfarrers, der zur freiwilligen Kreuzi­gung führt. Gerade diese Kreuzi­gung hindert Pfarrer Bley einem anderen Menschen Hilfe zu leisten. „Jetzt hätte ich gerne eine Hand frei." Ein Schluß, der eine mehrfa­che Deutung offenläßt. Die Festle­gung des Nachwortes von Klaus Siblewski. „Wer Hilfe leisten will, soll nicht in Symbole flüchten", ist mir etwas zu eindeutig.

Natürlich ist in Turrinis Stück dessen Verbitterung gegenüber der Kirche zu spüren. Und nicht nur gegen sie. Das Stück selbst ist aber nicht als Beleidigung abzutun. Es ist Anklage, Aufschrei, Protest. Und hinter den Worten ist wohl auch jenes Rufen aus der Tiefe vernehm­bar, von dem die Psalmen sprechen.

Joop Roeland OSA ist Rektor der Ruprechts­kirche in Wien und Geistlicher Assistent des Literarischen Forums der Katholischen Aktion.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung