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Belvedere: Mit Schiele in den ersten Stock

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Gleichzeitig den Anforderungen eines modernen Museums zu entsprechen und den Anliegen der Denkmalschützer in Lukas von Hildebrands prächtigem Barockschloß Rechnung zu tragen - vor dieser schwierigen Aufgabe steht jeder Leiter der Österreichischen Galerie im Belvedere.

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Gleichzeitig den Anforderungen eines modernen Museums zu entsprechen und den Anliegen der Denkmalschützer in Lukas von Hildebrands prächtigem Barockschloß Rechnung zu tragen - vor dieser schwierigen Aufgabe steht jeder Leiter der Österreichischen Galerie im Belvedere.

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Dem Belvedere, in dem seit 1920/ 21 die Österreichische Galerie eine Heimstatt gefunden hat, steht eine glückliche Zukunft bevor. Um rund 200 Millionen Schilling aus der Museumsmilliarde wird nun nach Jahren sträflicher Vernachlässigung die von Lukas von Hildebrand erbaute Doppelanlage saniert. Außerdem wird der während des zweiten Weltkrieges errichtete Bunker vor dem Oberen Schloß wieder reaktiviert und als Depot für etwa 4.000 Bilder etabliert. Nicht zuletzt werden auch die Exponate, von denen manche Abteilungen einen beachtlichen Prozentsatz zeigen können, andere aus Platzmangel wieder wenig, neu aufgestellt. Jedenfalls werden die am meisten besichtigten Objekte, nämlich die Werke von Klimt, Schiele und Kokoschka, vom zweiten in den ersten Stock wandern.

Ob ein aus baupolizeilichen Gründen erwogener zweiter Stiegenaufgang geschaffen wird, ist dagegen nach wie vor nicht ausdiskutiert. Doch sind unter dem seit ersten Jänner 1992 zum interimistischen Leiter der Galerie bestellten Gerhard Frodl die Fronten nicht mehr verhärtet. Frodl will den Standpunkt des Denkmalamtes überdenken und nach einer Lösung suchen, die den Sicherheitsvorschriften entsprechen, ohne daß deshalb die seinerzeit unter Thronfolger Franz Ferdinand durchgeführten Umgestaltungen preisgegeben werden müssen. Das Belvedere ist, wie die Denkmalpfleger stets vor Augen führen, mehr als eine Kunstgalerie. Es verkörpert nahezu drei Jahrhunderte europäischer Geschichte.

Bauherr des architektonischen Meisterwerkes mit einem in Terrassen gegliederten und durch Freitreppen verbundenen französischen Garten war bekanntlich der Feldherr, Diplomat und Kunstmäzen Prinz Eugen von Savoyen. Das Untere Schloß, ebenerdig und von intimerem Charakter, umfaßte die Wohn- und Schlafräume, die Orangerie, den Marstall und die Menagerie. Das Obere Schloß, eingespannt in vier überkuppelte Pavillons, diente zumal mit seiner grandiosen Sala terrena und dem Marmorsaal der Repräsentation. Das Untere Schloß barg die Antikensammlung des Hausherrn, das Obere einen Teil der Bibliothek, mathematische Instrumente sowie je eine Sammlung niederländischer und italienischer Gemälde des 16. und 17. Jahrhunderts.

Nach dem Tod des Prinzen Eugen im Jahr 1736 verkaufte Victoria, die Nichte und Haupterbin, die antiken Statuen an den Dresdner Hof und die Bilder an den König von Sardinien. Die Menagerie löste sie auf. Kaiser Karl VI. erwarb gegen Leibrente die Bibliothek und die graphische Sammlung. Viele Tiere gelangten in die kaiserliche Menagerie im Neugebäude.

Maria Theresia wollte zu Beginn ihrer Regierungszeit das Schloß kaufen, scheiterte aber am exorbitant hohen Preis. So wählte Maria Theresia Schönbrunn zu ihrer Sommerresidenz. Erst 1752 kam eine Einigung zustande, derzufolge die Kaiserin gegen eine Leibrente sowohl das Stadtpalais als auch die beiden, nun stark ramponierten Schlösser am Rennweg und am Linienwall, dem heutigen Gürtel, erhielt. Ihnen gab sie den Namen Belvedere.

1770 fand zu Ehren der Hochzeit von Maria Theresias jüngster Tochter Maria Antonia mit dem Dauphin von Frankreich im Oberen Schloß und Garten ein Maskenfest statt. Unter Joseph II. wurde das Belvedere generalsaniert. Im Oberen Schloß wurde die kaiserliche Gemäldesammlung, nach Schulen geordnet, ausgestellt. Im Erdgeschoß zeigte man antike und moderne Skulpturen. Im Unteren Belvedere wurden die Porträts der Mitglieder des Kaiserhauses und Bilder mit Schlachtenszenen untergebracht. In den Wirren der französischen Revolution fand die Tochter Ludwig XVI., Marie Therese Charlotte, hier Unterschlupf.

Ab 1779 war der Park für die Öffentlichkeit zugänglich. 1809 entwendeten die Franzosen 400 Gemälde aus dem Belvedere, mußten sie aber nach dem Frieden von Schönbrunn beziehungsweise der Schlacht von Waterloo wieder retournieren, das Schloß wurde restauriert. Die aus Schloß Ambras in Tirol nach Wien verlagerte Sammlung Ferdinands von Tirol verblieb in der Galerie. 1826 wurden der Galerie Werke österreichischer Maler aus der Zeit einverleibt.

1888 begann die Übersiedlung der kaiserlichen Sammlungen vom Belvedere ins Kunsthistorische Museum am Ring. Das Obere Schloß wurde Residenz des Thronfolgers Franz Ferdinand, wobei der Außenbau unverändert blieb. Nichtsdestoweniger wurden Gas- und Wasserleitungen, Dampfheizungen, elektrische Beleuchtung, sanitäre Anlagen, Aufzüge, Telegrapheneinrichtungen und Sprachrohre eingebaut. Dort, wo neben der Haupttreppe eine Nebenstiege in den ersten Stock führte (und nun abermals führen soll), wurde für seine morganatische Ehefrau Sophie, geborene Gräfin Chotek, ein Bade-und Ankleidezimmer im Jugendstil eingerichtet.

Nach der Ermordung des Thronfolgerpaares mußten dessen drei Kinder ausziehen. 1917 zog der Bruder Kaiser Karls, Erzherzog Maximilian, hier ein. 1918 ging das Schloß in Staatsbesitz über. 1920/21 konstituierte sich im Belvedere die „Österreichische Galerie" mit Werken des österreichischen Barock und des 19. Jahrhunderts.

1938/40 wurden im Oberen Schloß die neuen Grenzen zwischen der Slowakei, Ungarn und Rumänien bestimmt. 1940/41 kam es ebendort zur Unterzeichnung der BeitriVerklärungen Ungarns, Bulgariens und Jugoslawiens zum Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan.

1943/44 wurden die Museumsbestände verlagert. Unter dem Gartenbassin des Oberen Belvedere baute man einen großen Bunker. Auf dem Dach brachte man einen Beobachtungsturm an, im Park stand eine Flakbatterie. 1944/45 wurden das Obere und Untere Schloß sowie der Park von Bomben schwer getroffen.

Bald nach Kriegsende wurde die Gesamtanlage instandgesetzt. In der Orangerie wurde das Museum mittelalterlicher Kunst und im Unteren Belvedere das Österreichische Barockmuseum untergebracht. Im Oberen Schloß fand die Galerie des 19. und 20. Jahrhunderts eine Bleibe.

Im Marmorsaal des Oberen Belvedere wurde am 15. Mai 1955 der Österreichische Staatsvertrag unterzeichnet.

In den siebziger und achtziger Jahren nahmen zwar die Besucherzahlen stetig zu (an Spitzentagen bis zu 2.500 Personen), aber mit der Sammeltätigkeit von Gegenwartskunst sowie dem Bauzustand der Gebäude ging es gefährlich bergab.

Jetzt sind die Gesimsfiguren, von denen immer wieder Köpfe, Arme und Beine herabgefallen sind, mit Netzen abgesichert. Sie werden künftig voraussichtlich durch Kopien ersetzt. Das Denkmalamt hat Probefärbelungen in zwei Beige-Schattierungen durchgeführt. Die Fenstersanierung ist im Gange. Und das Obere Schloß ist bereits teilweise eingerüstet.

Im Frühjahr 1992 soll bereits der Bunker als ein zentrales Depot zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt möchte Gerhard Frodl nach Freiwerden des Museum des 20. Jahrhunderts im Schweizergarten dieses Gebäude für die Galerie dazugewin-nen.

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