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Beneidenswerter Jubilar

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In vier Jahren, 1977, wird die Benediktinerabtei Kremsmünster in Oberösterreich ihr 1200jähriges Bestehen feiern können. Nach der Erzabtei St. Peter in Salzburg und dem Stift St. Florian in Oberösterreich ist Kremsmünster das älteste heute noch bestehende Stift Österreichs.

Schon rühren sich fleißige Hände, um Kirche und Konvent und die sonstigen Gebäude des Stiftes auf Hochglanz herzurichten. Schon wurden die Kunstschätze des Stiftes vielfach neu aufgestellt, um zum Zeitpunkt des Jubiläums aller Welt gezeigt werden zu können. Schon werden die Programme für die Festfeierlichkeiten konzipiert. Doch sind dies vielfach äußerliche, wenn auch nicht zu unterschätzende Dinge. Wichtig ist, daß Österreich überdenkt, was es diesem Kloster und vielen seiner Brüder zu verdanken hat. Und welche Rolle Kremsmünster und alle anderen großen Stifte in der Zukunft spielen werden.

In vier Gründungsepochen entstanden Österreichs Klöster und Stifte:

• im 10. Jahrhundert (St. Peter, Kremsmünster, St. Florian, Mondsee), i

• in der Zeit vom 11. bis zum 13. Jahrhundert (die Mehrzahl aller Abteien und Stifte Österreichs),

• im 13. Jahrhundert (Dürnstein, St. Dorothea, Neukloster in Wiener Neustadt),

• im 19. Jahrhundert (Wiederbesiedlung von St. Paul in Kärnten, Seckau in der Steiermark, Mehrerau in Vorarlberg).

In vier Epochen war die Existenz der Stifte Österreichs aufs schwerste gefährdet:

• in der Völkerwanderungszeit,

• in der Reformation,

• durch den Josephinismus,

• durch den Nationalsozialismus, der fast alle „Gaue“ Österreichs „klosterrein“ werden ließ.

Von der großen Anzahl von Stiften, die Österreich besaß, sind immerhin noch 31 übriggeblieben, die alle Katastrophen überdauerten. Darunter befinden sich allein 14 Benediktinerklöster, fast acht Prozent aller Benediktinerklöster der Welt.

Kremsmünster selbst wurde 777 vom bayrischen Herzog Tassilo aus dem Geschlecht der Agilolfinger ge-

gründet. Erinnerung an diese Zeit sind der weltberühmte Tassilo-Kelch, die Tassilo-Leuchter und der Codex millenarius, ein Kodex in ka-rolingischer Minuskel, der seinen Namen einem Ausruf des Wiener Nuntius Garampi verdankt, der beim 1000jährigen Jubiläum im Jähre 1777, als man ihm den Kodex zeigte, ausrief: „ecce codex vere millenarius.“

Den Stiften verdankt das katholische Österreich unendlich viel: Im 10. Jahrhundert erfolgte durch sie im wesentlichen die Christianisierung des Landes und die Grundlegung einer eigenen Kultur; im 12. Jahrhundert die Vertiefung des religiösen Lebens durch den Kampf gegen Simonie und Priesterehe; im

15. Jahrhundert durch die „Melker Reform“ — eine Reformbewegung, die vom Kloster Melk ausging — eine neuerliche Uberwindung inzwischen aufgetretener Schäden; im

16. Jahrhundert die Rettung vor dem Untergang der Kirche Österreichs durch innere und äußere Feinde: gegenüber den Türken durch die ungeheuren materiellen Opfer, die die Stifte für die Finanzierung des Abwehrkampfes brachten, gegenüber der Reformation, die das Land überflutete, durch die Rekatholisierung, die von den Stiften ausging; in der Zeit des Barocks durch ihren heute

noch so glanzvoll sichtbaren Beitrag zur Kultur dieser Epoche; in der Zeit des Josephinismus durch ihren entscheidenden Beitrag zum Aufbau einer Pfarrseelsorge. Auch in der heutigen Zeit ist die Bedeutung der Stifte Österreichs ähnlich groß wie in der Zeit des 10. oder 12. Jahrhunderts. Viele Probleme, die in der heutigen Zeit die Menschen in der Kirche verwirren, tangieren die Stifte nicht. Die Einsamkeit, die heute ein allgemein menschliches Problem ist und unter der die Priester besonders leiden, berührt die Mitglieder der Konvente kaum.

Durch ihre Zugehörigkeit zu einem Stift fühlen sie sich geborgen und umhegt wie durch die Zugehörigkeit zu einer großen Familie. Das Problem des Zölibates spielt in den Stiften keine Rolle. Wer immer in einen Orden eintritt, hat von vornherein sich für das Zölibat entschieden, das einen integrierenden Bestandteil des mönchischen Lebens

bildet. Der Pluralismus in der Kirche, von dem heute soviel gesprochen wird, hat in den Abteien schon immer existiert. Und ebenso die Demokratisierung des kirchlichen Lebens, von der heute ebensoviel gesprochen wird. Der Abt oder Propst einer Abtei benötigt für viele Erlässe die Zustimmung des Kapitels oder wenigstens eines Ausschusses. In den Augustiner-Chor-herrenstiften wird der Dechant von den Chorherren gewählt und nicht vom Propst ernannt. Anordnungen des Propstes bedürfen vielfach der Gegenzeichnung des Dechants. Stifte sind perfekte konstitutionelle Monarchien. Jeder Mönch oder Chorherr hat das Bewußtsein, daß er bei Entscheidungen seines Klosters nicht nur mitreden kann, sondern sogar soll. Zu guter Letzt hat die Mischung von klösterlichem Leben, praktischer Seelsorge, Befassung mit Wissenschaft und Unterricht, die sich in den österreichischen Stiften herauskristallisierte, ein weites Feld der Betätigung für alle Mitglieder der einzelnen Stifte geschaffen.

Am Vorabend des 1200jährigen Jubiläums der Abtei Kremsmünster befinden sich somit viele österreichische Stifte in einem beneidenswert guten Zustand. Vor allen Dingen auch der Jubilar, das Stift Kremsmünster selbst, dessen Konvent 91 Mitglieder umfaßt, darunter 3 Kleriker und 5 Novizen. 20 Patres unterrichten als Professoren am Gymnasium, 45 wirken in der Seelsorge. Davon 37 in den eigenen Stiftspfarren, 5 Patres in Mariazell und 3 in Barreiras in Brasilien. Während überall über Personalmangel geklagt wird, so manche Pfarre nur noch schwer besetzt werden kann, Laien heute vielfach priesterliche Funktionen, wie Religionsunterricht, übernehmen müssen, ist der Nachwuchs in Kremsmünster so gut und zahlreich, daß das Stift Mariazell übernehmen konnte und sogar die Möglichkeit besaß, eine Mission in Brasilien zu eröffnen.

Die Zeiten, die über die Kirche hereingebrochen sind, sind wirr. Um

so mehr bedarf sie der Inseln, wo weiterhin eine Ruhe herrscht, nicht eine Ruhe des Todes, sondern die Ruhe des Geistes, und wo das Lob Gottes ungebrochen gefeiert wird.

Von diesen Inseln aus wird, wie schon so oft in der Geschichte Österreichs, vielfach die Gesundung des Lebens beginnen. Die Rolle, die die Abtei Kremsmünster hiebei spielt, wird, wie immer in seinem 1200jäh-rigen Bestehen, eine sehr große sein.

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