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Bereiten „wirquot; den Dritten Weltkrieg vor ?

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Es war an dem Tag, an dem das dänische Blatt „Politiken" auf Seite 4 ganz unten zweispaltig meldete, daß mindestens 35 Flüchtlinge in einem Lager in Uganda Selbstmord begangen hätten: Damit das wenige Essen, das es im Lager noch gab, für die Kinder übrig bliebe.

An diesem Tag, an dem „Politi-ken's" Schlagzeilen nicht den Flüchtlingen gehörten, sondern einem „Fischkrieg" und billiger Weihnachtsbutter, an diesem Tag, an dem die übrigen Zeitungen Dänemarks kein Wort über den Tod in Uganda schrieben, an diesem Tag erschien die Kopenhagener Tageszeitung „Information" mit einer zwölf seitigen Beilage.

Es war nicht eine jener einträglichen Sonderbeilagen über Autos, Video oder einen fernen Handelspartner. Es waren 12 Seiten Information. 12 Seiten über Rüstung: „Bereiten ,wir' den Dritten Weltkrieg vor?"

Das .Wir' herausgehoben. Wir. Nicht die Supermächte, nicht die Militärblöcke, nicht die Politiker, nicht die anderen. „Solange immer nur andere die Schuld für Rüstungswahnsinn und Rüstungsverschwendung bekommen, geht eine Entwicklung, deren Gefahren fast alle erkennen, einfach immer nur weiter", schrieb Jörgen Dragsdahl, der Redakteur der „Information"-Beilage.

Dragsdahl weiter: „Für die Aufrüstung gibt es eine kollektive Verantwortung. Darum das ,Wir' im Titel: Bereiten ,Wirf den Dritten Weltkrieg vor? Die Antwort ist ein klares Ja. Ob dieser Krieg kommt, hängt entscheidend davon ab, ob alle die Verantwortung übernehmen, daß der derzeitige Kurs geändert wird."

Die Zahlen: 600 Milliarden.Dollar pro Jahr für die Rüstung. Im letzten Jahrzehnt, in dem so viel über Abrüstung gesprochen wurde, stiegen die Rüstungsausgaben in festen Preisen um 25 Prozent. Die USA sind zurück auf Viet-namkriegs-Niveau. Die Sowjetunion zieht nach. Rüstungsexplosion im Nahen Osten. Die Dritte Welt rüstet auf. Auf 100.000 Menschen kommen weltweit 85 Ärzte — und 556 Soldaten. Und mehr als zehn Millionen Menschen sind in den letzten 20 Jahren in Kriegen getötet worden. In den Waffenarsenalen liegen Atomwaffen, die die Weltbevölkerung 50mal auslöschen können.

Das Planspiel: Gibt es ein Leben nach dem Atomtod? Wenn diskutiert wird, ob ein Atomkrieg gewonnen werden kann, wird diese Frage aktuell. „Information" zitiert aus der schwedischen Zeitschrift „Ambio", herausgegeben von der königlichen Akademie der Wissenschaften in Stockholm. International anerkannte Forscher haben die Folgen untersucht, wenn USA und Sowjetunion die atomare Schlacht schlagen und dabei jeweils weniger als die Hälfte ihrer Atomwaffenarsenale einsetzen:

1985 dürften die beiden Supermächte über 12.800 Megatonnen Sprengkraft verfügen. Das sind eine Million Hiroshima-Bomben. „Ambio's" Kriegsspiel wirft 5750 Megatonnen auf Militäranlagen, Industriegebiete und Städte der nördlichen Hemisphäre — und vereinzelte Bomben auch auf die südliche Erdhälfte, weil man meint, die kriegsführenden Supermächte würden die dortigen Nationen hindern wollen, die Welt nach dem Atomkrieg zu dominieren.

Das tötet 750 Millionen Menschen sofort (bei einer Stadtbevölkerung von 1,3 Milliarden) und verwundet 340 Millionen so schwer, daß es für sie nach dem Zusammenbruch des Gesundheitsdienstes keine Rettung gibt. Die radioaktive Strahlung führt zu 12 Millionen Krebsfällen. 30 Millionen werden steril, 16 Millionen Kinder in den nächsten hundert Jahren mit genetischen Defekten geboren.

Brände und die Zerstörung der Ozonschicht vernichten die Vegetation. Der radioaktive Abfall wird jahrelang die Wasserversorgung unmöglich machen. Regen wird zu tödlichem Gift. Die Tierwelt ändert ihre Zusammensetzung. Primitive Organismen, Ungeziefer meist, überleben am ehesten.

Die atomare Schlacht aber zerstört auch, was man heute „Weltwirtschaft" nennt. Handel und Entwicklungshilfe brechen zu-, samrnen, was in der Dritten Welt zu Hungers- und Krankheitskatastrophen führt, deren Todeszahlen die der Kriegsschauplätze noch übertreffen. Die führenden Kornexporteure — Kanada, USA, Frankreich - fallen aus.

„Ambio" rechnet mit einer bis drei Milliarden Toten. Auf die Uberlebenden warten unübersehbare psychische Probleme.

Die Not: Die Weltgesundheitsorganisation arbeitet an einem Projekt, das die Malaria ausrotten will. Es ist aus Geldmangel verzögert worden. Es kostet 450 Millionen Dollar. Viermal soviel gibt die Welt täglich für Rüstung aus.

Für 100 Dollar kann man in den ärmsten Ländern der Welt Mutter und Kind gegefi Krankheiten beschützen, ihre Ernährung verbessern, die Schwangerschaft erleichtern und ihre Grundgesundheitspflege sicherstellen. Weil diese 100 Dollar fehlten, starben im Vorjahr 17 Millionen Kinder, ehe sie fünf Jahre alt waren. Was fehlten, waren 1,7 Milliarden Dollar — die Rüstungsausgaben eines Tages.

Die UNO hat die Kosten, die Nahrungsmittelproduktion so zu erhöhen, daß die Zahl der Unterernährten bis zum Jahr 2000 halbiert werden kann, mit 22 Milliarden Dollar pro Jahr beziffert. Das entspricht den Militärausgaben von 13 Tagen.

An diesem Tag, an dem „Information" ihren Lesern 12 Seiten über den Dritten Weltkrieg in die Hand gibt, fließen weltweit 1.700.000.000 Dollar in die Rüstung. Tags zuvor haben in einem Lager in Uganda zumindest 35 Flüchtlinge Selbstmord begangen: Damit das wenige Essen, das es im Lager noch gab, für die Kinder übrig blieb.

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