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Bereitschaftstruppe -„unerwünscht“

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Auf seiner großen Pressekonferenz berichtete der österreichische Bundesminister für Landesverteidigung über den derzeitigen Stand des Bundesheeres und legte seine Absichten für die Zukunft dar. Aus der Rede Lütgendorfs, wie auch aus der Beantwortung der an ihn gestellten Fragen — wobei auffällt, daß auch dieser Bundesminister sich bereits angewöhnt hat, so langsam zu sprechen wie der Kanzler — ging hervor, daß es heute beim Bundesheer vor allem um zwei Probleme geht:

• um die Bereitschaftstruppe und

• um das kommende Budget.

Als das Problem der Dienstzeitverkürzung zur Debatte stand und in monatelangen Beratungen von einer Kommission behandelt wurde, waren alle Teilnehmer — Politiker, Offiziere, Wirtschaftsfachleute — sich im klaren, daß ein Abgehen von der neunmonatigen Wehrpflicht und die Einführung eines sechsmonatigen Wehrdienstes in Österreich nur dann möglich ist, wenn man gleichzeitig eine Bereitschaftstruppe aufstellt. Die Stärke dieser Truppe, die zunächst mit 15.000 Mann festgelegt wurde, wurde an sich bei diesen Beratungen als zweitrangig angesehen. Denn in erster Linie hängt die Stärke einer solchen Truppe doch davon ab, wie viele Freiwillige sich zu ihr melden.

Tatsächlich ist die Existenz einer solchen Bereitschaftstruppe für Österreich von entscheidender Wich, tigkeit. Ohne sie wäre Österreich in der Zeit zwischen einer Mobilmachung der Landwehr und der Besetzung unserer Grenzen durch diese völlig schutzlos.

Die Existenz einer Bereitschaftstruppe, die, real gesehen, ein reines Berufsheer darstellt, hatte der seinerzeitige Verteidigungsminister Freihsler strikt gefordert. Nur nach der Aufstellung einer solchen Truppe, so seine Meinung, könne Österreich an eine Wehrzeitverkürzung denken. Nachdem die Bundes-heerreformkornmission ihre Arbeiten abgeschlossen hatte — und sie hatte ganze Arbeit getan —, wurde es plötzlich sehr still um die Bereitschaftstruppe. Geldmangel einerseits und nicht genügende Freiwilligenmeldungen anderseits machten diese Voraussetzung für eine Wehrdienstzeitverkürzung obsolet.

Die jüngste Pressekonferenz des österreichischen Bundesministers für Landesverteidigung hat nunmehr klar bestätigt, was viele schon längst befürchtet hatten: Ein Berufsheer wird nicht aufgestellt — Österreich kann es sich nicht leisten.

Ist dem wirklich sc? Oder ist nicht eher die Vermutung richtig, daß das heutige offizielle Österreich ein Berufsheer überhaupt nicht will? Die Regierungspartei hat nämlich sehr bald nach dem Ende der Arbeiten an der Bundesheerrefonm die Katze aus dem Sack gelassen und zu verstehen gegeben, daß ein Berufsheer „unerwünscht“ sei. Man müsse mit der sechsmonatigen Dienstzeit allein auskommen.

Und das Ergebnis? Österreich besitzt keine Truppe für sofortigen Einsatz. Denn ein Verband, der nur aus einigen wenigen Berufssoldaten und in der Masse aus Soldaten besteht, die sechs Monate dienen, ist nicht einsatzbereit. Spielereien mit „rationeller Dienstzeitausnützung“, „Beschränkung auf das (angeblich) Wesentliche“ und ähnliche schöne

Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine solche Truppe frühestens in sechs Monaten einsatzbereit sein kann. Es sei denn, man verwechselt uniformierte Zivilisten, denen man Waffen, Panzer und kompliziertes Material dn die Hände drückt, mit Soldaten. Man verweise nicht wieder auf das Beispiel Schweiz. Die Eidgenossenschaft verfügt über ein ununterbrochen in Übung stehendes Heer. Sie hat daneben einen außerordentlich teuren Zivilapparat aufgebaut, der die ständige Einsatzbereitschaft des Heeres in Gang hält und kontrolliert. Sie fordert von den Offizieren und Unteroffizieren, die ja alle dn einem Zivilberuf stehen, ein hohes Maß an freiwilligen, das heißt unentgeltlichen Leistungen. Die Schweiz steckt jährlich zwölf Milliarden Schilling in ihre Rüstung, wozu noch 600 Millio. nen an Leistungen der einzelnen Kantone kommen. Die Schweiz verlangt des weiteren von der Zivilbevölkerung ein hohes, das heißt: ein kostspieliges Maß von Verteidigungsmaßnahmen, wie die Anlegung von Lebensmittelvorräten, das Einbauen von Atombunkern in jeden Neubau, die Aufstellung eines selbständigen Lichtaggregates in jeder Wohnung.

Österreich kann das alles nicht bieten. Wenn heute eine Krise nahe unseren Grenzen entstünde, müßte eine Mobilmachung erfolgen, um Österreichs Neutralität und Sicherheit zu gewährleisten. Eine Mobilisierung aber benötigt zwei bis drei Tage. Was geschieht während der kritischen Stunden, in denen die Landwehr noch nicht mobilisiert ist? Das Erbübel Österreichs, die verantwortungslose Ausrede, es werde „eh nichts g'schehen“, ist wieder einmal unser Unglück.

Nach 197ß wird übrigens eine Mobilisierung ohnedies nicht mehr möglich sein, da um diese Zeit der notwendige Reservekader vollständig dezimiert sein wird. Alle Reservisten, die einen neunmonatigen Wehrdienst abgeleistet haben, brau, chen dann nicht mehr zu Reserveübungen einzurücken. Das Reserveheer, die Landwehr, wird dann führerlos sein.

Der zweite schwache Punkt in den Darlegungen des Ministers war das Budget. Geld war zwar im österreichischen Heer immer Mangelware. Statt aber nun das Budget aufzustocken und die fehlende menschliche Präsenz wenigstens durch Material zu ersetzen, verkündet man dem erstaunten Österreicher, daß der arme Landesverteidigungsminister darum kämpfen muß, künftig dieselben Mittel wie im Jahre 1972 bewilligt zu erhalten. Die Annahme ist nicht falsch, daß der Landesverteidigungsminister begründete Sorge hegt, sein Amtskollege in der Himmelpfortgasse wolle ihm weniger geben als bisher.

Aus all dem geht nur zu klar hervor, daß die Regierung Kreisky das Heer weiter abbauen will. Ein Heer paßt an sich nicht in ihre gesellschaftlichen Vorstellungen. Deshalb wird das Bundesheer auf Sparflamme gerade noch am Leben erhalten, ohne seine durch das Gesetz geforderten Aufgaben erfüllen zu können.

Und da gibt es noch Menschen, die an eine umfassende Landesverteidigung glauben! Nichts als leere Worte.

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