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Bergpredigt und Frieden

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In den letzten Jahren schälten sich drei Grundpositionen heraus, die in Berufung auf die „Zumutung“ der Bergpredigt eine Antwort auf die Herausforderung des Weltwettrüstens zu geben versuchen.

Die erste Position sieht diese von der Bergpredigt geforderte Alternative zum sinnlosen, weltweiten Wettrüsten im Verzicht auf den Schutz militärischer Rüstung und im Engagement für den Aufbau einer Sozialen Landesverteidigung: als Einsatz gewalt- freier Kampftechniken gegen illegale Machtergreifung von au

ßen. (Diese Position wird u. a. vertreten von der „Aktion Sühnezei- chen/Friedensdienste“ in ihrer Zeitschrift „Zeichen“.)

Die zweite Position betont, daß die Weisungen der Bergpredigt „nicht als ein neues Gesetz verstanden werden“ dürfen, „das in jedem Fall den Christen die Wehrlosigkeit, das immer erneute Nachgeben, die tatenlose Duldung offenkundigen Unrechts oder gar des Mordes zur Pflicht machen würde.“ Das fünfte Gebot verbiete nicht nur den Mord, sondern es gebiete auch „den — notfalls bewaffneten — Schutz des Lebens, der grundlegenden Menschenrechte und der Freiheit“.

„Wollen Christen nach den Regeln der Zehn Gebote und der Bergpredigt leben“, so impliziere dies auch die „Bereitstellung von Mitteln, durch die Gewaltakte einzelner Menschen oder ganzer Staaten verhindert werden können.

Der ersten Position („Ohne Rüstung leben“) wird mit dem schon oben erörterten Argument entgegengetreten, daß Gewaltfreiheit den Gegner zu selbstischer Gewalt provozieren könne. Durch einseitige Abrüstung werde anderen die Aussicht eröffnet, „mit überlegener Rüstung ohne eigenes Risiko immer mehr Macht und Besitz durch politische Erpressung oder militärische Gewalt zu erwerben“. (Zitate aus dem Aufruf „Aktion Sicherung des Friedens“, unterzeichnet von Rendtorff, Sontheimer, Wilkens, Zahrnt u. a.)

Die dritte Position (erläutert in Büchele/Schwager: „Der Vatikan zur Rüstung“, Wien 1979) versucht — im Ernstnehmen des Hauptarguments der zweiten Position gegen die erste - einen dritten Weg zu weisen. In der Ablehnung der zweiten Position stützt sich diese vor allem auf das bis jetzt nicht widerlegte und, wie es scheint,- auch nicht zu widerlegende Argument, daß aufgrund der Logik eines Machtsystems eine gleichgewichtig-gleichzeitige Abrüstung nicht nur nicht möglich sei, sondern daß diese „Logik“ gerade die Hauptursache für das Weltwettrüsten bilde: „Stabilisierung“ durch eigene Überlegenheit.

In einer persönlichen Botschaft an die UNO stellt Papst Paul VI.

fest: „Die immanente Logik bei der Suche nach einem Gleichgewicht der Kräfte treibt jede der beiden feindlichen Seiten dazu, nach einer gewissen Überlegenheit zu streben.“

Die „immanente Logik“ des Rüstungswettlaufs kann nun aber nur aufgebrochen werden, wenn man aufhört, nach Überlegenheit zu streben. Wegen der Unmöglichkeit, die Gleichgewichtigkeit der Macht und die Absicht der Gegenseite genau festzustellen, heißt dies konkret: Der Ausbruch aus dem Rüstungswettlauf setzt voraus, daß man zu einseitigen Vorleistungen bereit ist. Zur Realisierung dieses Weges werden von der „dritten Position“ eine Anzahl von Maßnahmen genannt:

1. Nicht totale Abrüstung, sondern nur ein erster, kalkulierter Schritt — bei Aufrechterhaltung einer Zweitschlagskapazität, d. h. der Fähigkeit, den ersten Schlag des Gegners durch einen Gegenschlag zu beantworten, der ein für die Angreifer unannehmbares Niveau der Vergeltung impliziert.

2. Voller Ausbau der Sozialen Landesverteidigung. 3. Internationale diplomatische Maßnahmen. 4. Einwirkungen auf die Bevölkerung der Gegenseite usw.

Da wir nun in einer einmaligen weltgeschichtlichen Situation stehen, kann selbstverständlich kein Weg vorgeschlagen werden, der ohne Risiko wäre. Deshalb muß jeder Vorschlag auf sein Risiko hin bedacht und in großer Ehrlichkeit einer konsequenten Selbstprüfung unterzogen werden. Die dritte Position nennt den denkbar schlimmsten Fall: Sollten alle vorgeschlagenen Maßnahmen nicht greifen, könne es zu einer „defensiven Besetzung“ Westeuropas kommen.

Und nur im Sinn einer bis ins letzte gehenden Selbstkritik betont sie: im allerschlimmsten Fall sei es immer noch besser, sich von innen her (wie die Christen im heidnischen römischen Reich oder heute viele im Osten) mit gewaltfreien Mitteln gegen Unge-’ rechtigkeit und Lüge zu wehren, als selber „ein Verbrechen gegen Gott und die Menschen“ zu begehen.

Wer diese Position kritisieren will, von dem darf ehrlicherweise erwartet werden, daß er genau angibt, gegen welche grundlegenden Aussagen er sich wendet.

Diese bisher nicht erbrachte „Gegenprobe“ müßte dann sicher beinhalten: 1. die Rechtfertigung der Rüstung angesichts von Millionen von Hungertoten, insbesondere von Kindern, und angesichts des unsagbaren Leids, das mit der „absoluten Armut“ verbunden ist; 2. die Rechtfertigung der Rüstung angesichts der ernsten Gefahr des Zusammenbruchs des ökologischen Systems aufgrund des weltweiten exponentiellen Wirtschaftswachstums; 3. die Rechtfertigung der Rüstung angesichts der in Worten kaum faßbaren Folgen eines regionalen bzw. weltweiten Atomkriegs.

Der Autor ist Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs.

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