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Berija: Psychogramm eines Terror-Chefs

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Der in Berlin ansässige Verlag „Edition q" hat sich in letzter Zeit auf die Herausgabe brisanter russischer Bücher konzentriert. Eines aus dieser Reihe behandelt den „sowjetischen Himmler", Lawrenti P. Berija, berüchtigter Chef des Terrorapparats NKWD, später KGB.

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Der in Berlin ansässige Verlag „Edition q" hat sich in letzter Zeit auf die Herausgabe brisanter russischer Bücher konzentriert. Eines aus dieser Reihe behandelt den „sowjetischen Himmler", Lawrenti P. Berija, berüchtigter Chef des Terrorapparats NKWD, später KGB.

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Mit Recht erwecken die Bücher der „Edition q" das Interesse politisch versierter Leser unserer Jahre. Es sind Werke, die ursprünglich in Moskau erschienen sind und die sich mit der Zeitgeschichte der kommunistischen Vergangenheit der Ex-Sowjetunion auseinandersetzen.

Die Autoren sind Wissenschaftler, Publizisten oder solche Journalisten, die inzwischen - mittels privater Kanäle - Zugang zu den bis heute noch streng gehüteten Staats- und Parteiarchiven der Ende Dezember 1991 untergegangenen UdSSR haben und anhand der dort gefundenen Materialien (brisante Dokumente) versuchen, ihren Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung des russischen Volkes beizutragen

Vladimir Nekrassows Buch über Berija gehört zu diesen Werken. Mehr als sechs Millionen Menschen des riesigen sowjetischen Reiches sind dem Terror-Regime Stalins zum Opfer gefallen. Sie wurden hingerichtet oder in Lagern Jahrzehnte hindurch gequält. Der „Archipel Gulag" war ein realer Bestandteil der Sowjetunion, ohne dessen Existenz sie nicht funktionieren hätte können.

An der Spitze dieses Terrorregimes stand von 1938 bis 1953, also 15 Jahre lang, der Georgier Lawrenti P. Berija, ein Landsmann von Stalin also. Während des Zweiten Weltkrieges avancierte er sogar zum „Marschall der Sowjetunion".

Der vorliegende, 1991 in Moskau veröffentlichte Sammelband von namhaften Autoren zeichnet das Psychogramm dieses Chefs des 1934 geschaffenen Terrorapparates NKWD (Narodnyj Komissariat Wnutrennych Del/Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten), aus dem dann 1941

die politische Geheimpolizei KGB (Komissariat Gossudarstwennoj Beso-pastnosti/Kommissariat für Staatssicherheit) herausgelöst wurde. Das Buch beschreibt Berijas Aufstieg aus zwielichtigen georgischen Verhältnissen in den Tagen der sogenannten „Oktoberrevolution" 1917 zunächst an die Spitze der GPU (Gossudarstwennoj Politscheskoje Uprawleni-je/Staatliche politische Verwaltung, 1922 aus der Tscheka hervorgegangen) in Tbilissi und dann 1938 im Zentrum der Macht in Moskau.

Aussagen von Zeitzeugen und Opfern, Auszüge aus dem Prozeßprotokoll von 1953 sowie eine umfangreiche biographische Skizze geben Auskunft über Berija und sein System. Im Buch werden ausführlich solche Einzelfälle behandelt wie die Tragödie polnischer Offiziere in den Wäldern von Katyn (1940), die Hintergrundgeschichte der Ermordung von Leo Trotzki im mexikanischen Exil (1940, darüber in einer der nächsten FURCHE-Ausgaben in „Zeitgeschichte"), die Vernichtung einzelner Familien der roten Elite, well sie für Stalin „unbequem" wurden, und zuletzt die authentische und dramatische Darstellung des Sturzes von Berija im Sommer 1953 nach dem Tode seines Gönners Stalin.

Bekanntlich wurde Berija, der sich gerne an die Spitze der Sowjetunion als „würdiger Nachfolger Stalins" stellen wollte, damals durch Chruschtschow verhaftet (nebenbei: wie in einem schlechten Streifen ä la Hollywood, siehe FURCHE 32/1989) und in einen Kerker eingeliefert. Im Dezember 1953 wurde ihm der Prozeß gemacht, der im Geheimen geführt wurde. Er endete mit der Verkündung des Todesurteils. Armeeoffiziere vollstreckten es, wobei Berija - nach Augenzeugen, die im Buch zu Wort kommen - bis zuletzt um Gnade flehte.

Professor Nekrassow, Jahrgang 1931, der Herausgeber des Buches, lebt und arbeitet als Militärhistoriker in Moskau. Er ist Autor mehrerer Bücher zum Thema der jüngsten Vergangenheit der Ex-Sowjetunion.

BERIJA. Henker in Stalins Diensten. Ende einer Karriere. Von Vladimir F. Nekrassow. „Edition q", Berlin 1992, 511 Seiten.

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