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Berlin: Große Namen, kleine Filme

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An bewährten und bekannten Namen mangelte es den diesjährigen Berl iner Filmfestspielen nicht: mit David Cronenberg, Paul Schräder, Eric Rohmer, Istvän Szabö und Martin Scorsese fanden sich Regisseure im Wettbewerb, die auf je ihre Weise bereits Filmgeschichte sind.

Doch in Berlin will man Entdek-kungen sehen, und damit stand es heuer nicht besonders gut. Der Anspruch, ein Festival der Brücken für die kulturelle Vielfältigkeit zwischen Ost und West zu sein, scheint just in dem Augenblick zu einem billigen Spruch zu verkommen, da die Mauern abgetragen sind. Daß die verschiedenen kulturellen Gruppen im Osten Europas erst in einer neuen Identitäts-findung stecken, das kann man nicht der Festspielleitung in Berlin vorwerfen. Dies spielt allerdings bei der Auswahl von Wettbewerbsbeiträgen eine Rolle.

So mag Andrej Konchalovskys Film „Der innere Kreis", der als Eröffnungsfilm des Festivals gezeigt wurde, für diese Frage durchaus programmatisch verstanden werden. Der gebürtige Russe, der unter anderem auch mit Andrzej Tarkowskij zusammengearbeitet hat, hat einen sehr amerikanischen Film vor russischer Kulisse gedreht-teilweise sogar im Kreml. Es geht um die authentische Geschichte des persönlichen Filmvorführers Stalins, Alexander S. Ganshin. Dem in den letzten Jahren eifrig gezeichnetem Klischee des ausschließlich Bösen fügt er ein Bild Stalins hinzu, das den „privaten", vornehmen und zu Witzen aufgelegten Führer zeigt.

Gerade dem amerikanischen Publikum wünschte man zu diesem Thema mehr Filme vom Sehlage eines Ten-gis Abuladses (Die Reue) als - den Gesetzmäßigkeiten der Filmbranche zu sehr gehorchend - einen Film, der trotz aller historischen Anspielungen nicht immer ein wahrheitsgetreues Bild der Geschichte zeigt. So muß bei Kochalovs-ky auch der (offene) Antisemitismus herhalten, der in diesen Jahren in der So wjet-union sogar unter Strafe stand.

Überzeugen konnten allerdings auch kaum die osteuropäi-schen Beiträge -sieht man von Istvän Szabös preisgekröntem Film „Sweet Emma, Dear Böbe" (Spezialpreis der Jury) ab, der in erfreulich unspektakulärer Weise ein glaubwürdiges Dokument aus dem heutigen Ungarn am Beispiel der Freundschaft zweier junger Lehrerinnen festhält. Szabö hat das kleine Budget für diesen Film sichtlich gut getan.

Schwieriger hingegen der von der erstmals ökumenisch zusammengesetzten Jury der Kirchen ausgezeichnete russische Film „Infinitas" (Regie: Marlem Chuziev), dem zwar ein sehr gutes Drehbuch zugrunde liegt, dessen musikalische und bildhaften Zitate zu sehr an Tarkowskij erinnern.

Dem nie endenden Thema der Liebe von Mann und Frau, der Leidenschaften, die in Frage stellen und an die Wurzeln der Identitäten rühren, begegnet man im Film immer wieder. Die Australierin Gillian Armstrong erzählt in ihrem Film „Die letzten Tage von Chez Nous" mit viel Scharfblick, wie kompliziert auch das ge-wöhnlichste Drama sein kann. Die Ehe der Schriftstellerin Beth (Lisa Harrow) mit ihrem aus Frankreich stammendem Mann JP (Bruno Ganz) kommt gänzlich aus-dem Lot, als Beths jüngere Schwester Vicki von einer Europareise zurückkehrt. Doch auch mit neuverteilten Rollen scheint die Liebe nicht dem Alltag zu entkommen.

Mit seinen 72 Jahren zählt Eric Rohmer zu den .jüngsten" aller Filmemacher, der es wie kein anderer versteht, mit Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit vom Leben zu erzählen. „Ein Wintermärchen" mutet dem Zuschauereiniges an tiefsinnigen Reflexionen über philosophisch-religiöse Fragen zu, vor allem aber die Bereitschaft zu glauben. Im Hin und Her zwischen zwei Männern läßt Felicie keine Zweifel daran, daß sie letztlich nur einen Mann wirklich liebt: Charles, den Vater ihrer vierjährigen Tochter, eine Urlaubsbekanntschaft, dem sie aus Zerstreutheit zwar die richtige Straße, aber die falsche Stadt notierte. Wenn Rohmer uns mit Felicie in Shakespeares „Wintermärchen" führt, in dessen letzter Szene Hermiones Statue zum Leben erwacht und diese mit ihrer Familie vereint wird, ist auch das Ende

des Films nicht mehr schwer zu erraten. So banal diese Schilderung klingen mag, so vielschichtig und belebend wirkt diese einfache Geschichte auf der Leinwand.

Von den politisch ambitionierten Beiträgen, die fast alle über das Jahr 1945 nicht hinausreichten, sorgte BertrandTavemiermit seinem „Krieg ohne Namen" für einiges Aufsehen. Er bricht mit diesem vierstündigen Dokumentarfilm das in Frankreich heute noch gültige Tabu Algerienkrieg. Tavernier läßt nicht Politiker, Militärs oder Historiker auftreten. Er hört den (einfachen) Soldaten von damals zu, für die der Algerienkrieg noch nicht beendet ist; die Invaliden von damals gelten nicht als Kriegsinvalide, weil dieser Krieg heute noch offiziell als „die Ereignisse von Alge-v. rien" bezeichnet wird.

Die Buhrufe verdankt der diesjährige „Goldene Bär" - Lawrence Kas-dans „Grand Canyon" - auch dem Umstand, daß die in Berlin traditionelle Überpräsenz amerikanischer Produktionen von Publikum und Kritikern nicht goutiert wird. Unter den übrigen Preisträgem ist Jan Troell (beste Regie) hervorzuheben, dessen Geschichte über Gewalt und Willen-losigkeit, „II Capitano", ein aufrüttelndes Dokument eines gesellschaftlichen Phänomens darstellt.

Derek Jarman (Edward II) und Aki Kaurismäki (Das Leben der Boheme), mit dem „Preis der Internationalen Filmkritik" ausgezeichnet, werfen als Dauergäste ein seltsames Licht auf das „Internationale Forum des jungen Films". War das Forum einst Entdeckungsraum für junge Talente, ist dieses Prädikat in Berlin nun zunehmend der Reihe „Panorama" zuzusprechen.

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