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Berlin oder Bonn

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Die Schlacht bei Sedan am 2. September 1870 (Deutsch- Französischer Krieg) war geschla- gen, und es zeichnete sich die Eini- gung Deutschlands unter der Füh- rung Hohenzollern-Preußens unter Ausschluß Österreichs ab, da kur- sierte im südlichen Teil des Groß- herzogtums Baden, der einmal zu Österreich gehörte (Vorlande), ein Flugblatt mit folgendem Text: „Herr Bismarck, Herr Bismarck, wir gehen nicht nach Berlin, es gibt nur eine Kaiserstadt, und die ist Wien!"

Die für alle überraschend gekom- mene Einigung Deutschlands hat auch die Hauptstadtfrage plötzlich virulent werden lassen. Während sich in allen anderen europäischen Staaten geographisch schon sehr bald Hauptstädte herausgebildet hatten, war dies in Deutschland nicht so. Der deutsche König (Kai- ser) übte ursprünglich sein Gewer- be im Umherziehen aus (Pfalzen), und erst ab dem Spätmittelalter gab es feste Residenzen mit Haupt- stadtfunktionen. Man denke etwa an das Prag der Luxemburger Kai- ser (Karl IV.).

Die zunehmend starke Stellung der Territorialfürsten und der deut- sche Föderalismus verhinderten das Werden einer vom jeweiligen Herr- schergeschlecht unabhängigen Hauptstadt wie Paris oder London. Mehrere hundert Jahre lang saßen in Wien der Kaiser und die Reichs- behörden (Reichshof rat). Dort also, wo der jeweilige Machthaber sei- nen Sitz aufschlug, war gewisser- maßen auch die Hauptstadt.

Nach Errichtung des Deutschen Bundes 1815 wurde Frankfurt, die alte Krönungsstadt, dessen Haupt- stadt. Die Frankfurter Paulskir- chenverfassung von 1849 legte den Sitz der Reichsregierung nicht fest, ebenso nicht die Bismarcksche Reichsverfassung von 1871. Da jedoch Preußen das Präsidium des Deutschen Reiches zugesprochen bekam, wurde die preußische Hauptstadt Berlin somit automa- tisch Sitz der Reichsbehörden (Reichsregierung, Reichstag).

Auch die Weimarer Verfassung 1919 kannte keine Hauptstadt, jedoch hatte sich in den vorherge- henden 50 Jahren Berlin als Haupt- stadt so weit etabliert, daß dies keine Streitfrage war.

Das Bonner Grundgesetz von 1949 konnte naturgemäß die Haupt- stadtfrage nicht klären. Bonn wur- de als Provisorium angesehen, be- reits 1949 erklärte jedoch der Bun- destag in einer Resolution Berlin zur Hauptstadt. Daß Bonn damals Hauptstadt wurde, lag nicht zu- letzt am damaligen „Machthaber" Konrad Adenauer, der in der Nähe wohnte, also durchaus in deutscher Tradition.

Die gegenwärtige Diskussion läuft auf zwei Ebenen. Die erste, die pragmatische, ist relativ ein- fach. Solange sowjetische Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stehen, kommt Berlin als Regierungssitz nicht in Frage. Hin- zu kommt noch mit Recht der fi- nanzielle Aspekt. Die Kosten für die deutsche Einigung und den Abzug der Sowjets sind derart hoch, daß mit gutem Gewissen vorerst kein Geld für den Aufbau eines Regierungs- und Parlamentssitzes nach Bonner Standard vorhanden ist. Politiker, Beamte, Diplomaten, Lobbyisten, Korrespondenten und so weiter machen samt Familien und weiteren für die Infrastruktur notwendigen Personen rund 100.000 Menschen aus. Das sind al- leine schon zirka 50.000 Wohnun- gen, die in Berlin benötigt werden, wo jetzt schon akuter Wohnungs- mangel herrscht. Pessimistische Schätzungen beziffern die Kosten für eine Hauptstadt Berlin mit nahezu 100 Milliarden DM.

Die zweite Ebene der Diskussion ist eine grundsätzliche. Für Bonn stehen 40 Jahre Demokratie und Frieden in Deutschland sowie die Westbindung und die europäische Integration. In einem föderalisti- schen Staat ist eine kleine Haupt- stadt den anderen großen Zentren (Hamburg, München) nicht gefähr- lich. Auch für Wien ist deshalb Berlin sicherlich Konkurrenz. Es wundert daher, daß Helmut Zilk sich so sehr für Berlin als Haupt- stadt einsetzt.

Die Diskussion wird derzeit mit viel Aufwand (Inseratenkampagne) geführt, wie es den Deutschen ei- gen ist.

Man hat sich im Einigungsver- trag für Berlin als Hauptstadt ent- schieden, jedoch die Frage nach Regierungs- und Parlamentssitz offen gelassen. Es bleibt also zu- mindest für eine geraume Zeit wei- terhin bei Bonn. Und dann ist zu hoffen, daß es zu einer Entschei- dung kommt, die der jahrhunderte- langen föderalistischen deutschen Tradition eher gerecht wird als die achtzigjährige, zum Teil unselige Geschichte des preußisch-deut- schen Zentralismus in Berlin

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