6996266-1987_10_10.jpg
Digital In Arbeit

Berliner Gschnas

Werbung
Werbung
Werbung

Die Filmfestspiele in Berlin-West führten konsequent den Dialog mit der Sowjetunion fort, den die Berliner Festwochen im vergangenen Herbst eingeleitet hatten. Im Mittelpunkt stand dabei die Auseinandersetzung mit Moskauer Künstlern, wobei die Auswirkungen des kulturpolitischen Tauwetters in der Sowjetunion besonders deutlich zu spüren waren.

Gleich zwei russische Produktionen nahmen am offiziellen Wettbewerb teil; in der Sektion Panorama wurde die Reihe „Umweltfilme aus der UdSSR” präsentiert, und Elem Klimovs Film .Proscariie” (Abschied von Mat-jora), 1982, beschloß außer Konkurrenz das Filmfestival.

Eröffnet wurden die Filmfestspiele mit dem amerikanischen Streifen „Color of Money” (Die Farbe des Geldes) von Martin Scorsese. Der Film erzählt die Geschichte zweier Spielernaturen. Der alternde Barbesitzer Eddie Felson (Paul Newman) entdeckt die außerordentliche Begabung des jugendlichen Vincent (Tom Cruise) und verspricht — bei 60-prozentiger Gewinnbeteiligung -, aus ihm den besten Billardspieler zu machen.

Ein monströser Machtkampf entzündet sich zwischen den beiden Billardbesessenen, den Michael Ballhaus' Kamera in schnellen Schnittfolgen sichtbar werden läßt.

Allgemein wenden sich die amerikanischen Filme den Abgründen der menschlichen Existenz zu. So schildert der Beitrag „Night, Mother” (Nacht, Mutter) das tragische Schicksal von Jessie (Sissy Spacek), die aus ihrem eng geregelten Leben keinen anderen Ausweg als den Selbstmord kennt.

Der zweite amerikanische Film „Children of Lesser God” (Gottes vergessene Kinder) von Randa Haines erzählt vom Engagement des jungen Sprechlehrers James (William Hurt) in einer Gehörlosenschule. James verliebt sich in die eigenwillige und taube Sarah (Marlee Matlin), die jedoch ihre eigenen Wege gehen möchte. Die Geschichte endet mit einem Happy-End. Sarah sagt James in der Gehörlosensprache: Ich liebe dich.

Aleksandr Sokurov diente Bernhard Shaws Komödie „Haus Herztod” als Vorlage für seinen Film „Skorbnoe Bescuvstie” (Gramvolle Gefühllosigkeit). In bedrückenden Bildern zeichnet Sokurov eine völlig dekadente Bourgeoisie, die in ihrer Luxusvilla um ihre persönlichen Probleme kreist, während draußen der Erste Weltkrieg tobt.

Der zweite russische Wettbewerbsbeitrag „Tema” (Das Thema) von Gleb Panfilov entstand bereits 1979. Im Mittelpunkt des Streifens steht der erfolgreiche Bühnenautor Kim Esenin, der seine Kreativität verkommen ließ, um Ruhm und Privilegien zu erlangen.

Die künstlerischen Gegensätze zwischen „Der Tod des Empe-dokles” von Daniele Huillet und Jean-Marie Straub und „Die Verliebten” von Jeanine Meerapfel können größer nicht sein; Während es Huillet/Straub in ihrem Film darum ging, all die Verwüstungen sowohl des Menschen als auch der Natur sichtbar zu machen, beutete Jeanine Meerapfel für ihren Film die Natur und die Probleme von Ausländern zweiter Generation schamlos aus. In Jeanine Meerapfels Film sah man Bilder, wie man sie aus Neckermann-Katalogen kennt.

Die beiden französischen Wettbewerbsfilme, Claude Chabrols Masques (Die Masken) und Jean-Pierre Mockys „Le Miracle” (Das Wunder), wollten unterhalten, doch bei „Le Miracle” konnte man sich nur wundern, wie dieser Film durch das Auswahlverfahren gekommen war.

Die herausragenden Filme im „Internationalen Forum des jungen Films” waren die beiden Meisterwerke „The Journey” von Peter Watkins und „Sarraounia” von Med Hondo. Peter Watkins Film, mit Wh Stunden der längste Beitrag, der je auf einem Festival gezeigt worden ist, führt den Wahnsinn der atomaren Rüstung vor Augen.

Med Hondo zeigt in seinem Film „Sarraounia” die Verwüstungen, die französische Einheiten in wahrhaft kolonialistischer Manier dem afrikanischen Kontinent angetan haben. Sarraounia ist eine Fetischpriesterin, die zum Widerstand gegen die französischen Invasoren aufruft. Med Hondos „Sarraounia” liegen lange Recherchen in der französischen Nationalbibliothek und in der Bibliothek des ehemaligen französischen Kolonialministeriums zugrunde. Für den französischen Kritiker Claude Wanthier stellt „Sarraounia” „das erste große Filmepos des schwarzafrikanischen Kinos” dar.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung