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Bernhard Paumgartner

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Vor kurzem kam Band 5 der „Schriftenreihe der Internationalen Stiftung Mozarteum“ heraus, der Vorträge und Essays Bernhard Paumgartners zum Inhalt hatte. Beim Durchlesen des 137 Seiten starken Bandes taucht in dem Verfasser dieser Buchbesprechung wieder einmal die Erinnerung an Bernhard Paumgartner, an gemeinsam verlebte Gymnasial jähre, häufiges damaliges Zusammenmusizieren, späteres gemeinsames Wirken bei den Salzburger Festspielen, sowie an Gespräche mit dem großen Mozart-Forscher und -Dirigenten, Komponisten, Schriftsteller, Lehrer und langjährigen Präsidenten der Salzburger Festspiele auf. Nicht zuletzt bewirkte die Lektüre des Buches, daß sie dem Autor dieser Zeilen den Menschen Paumgartner mit allen seinen signi-

fikanten Lebenserscheinungen wieder vor Augen treten ließ.

Es ist fast selbstverständlich, daß von den 15 Kapiteln des Buches ein Drittel, nämlich ihrer fünf, Mozart gewidmet sind, während sich andere mit Michael Haydn, Hof-haymer, der österreichischen Musik im europäischen Raum, katholischer, geistlicher Musik und dem Wesen und Werden der Oper befassen. In den „Gedanken zur Interpretation Mozartscher Werke“ spricht Paumgartner von dem Recht jeder Generation, das Übernommene anders als die Väter, stets im Licht der eigenen Geisteshaltung zu erleben, was auch für das helle, unverbrauchte Licht der zwei Jahrhunderte alten Werke Mozarts gilt. Paumgartner bedauert das „wenige Wissen vieler heutiger Mozart-Interpreten um die wunderbare Freiheit improvisatorischen Ergänzens im 18. Jahrhundert, um die Feinheiten des Auszierens der gesanglichen und instrumentalen Melodie des Generalbasses“. Besonders aufmerksam macht er auf die so unterschiedliche „werkgetreue“ Wiedergabe der Mozart-Symphonien zur Zeit des „Zusammenhörens“ der Musiker auf Grund der vom Cembalo oder vom ersten Violonpult vorgezeichneten Phrasierung und Dynamik und der heutigen, optisch-suggestiven Führung mit dem Taktstock. Damals gab es „Hörer der Form“, heute sind wir — durch Klassizismus, Romantik, Naturalismus und andere Strömungen hindurchgeschleuste — „Erlebnishörer“ geworden. Und beim Lesen dieser im Buch ausgesprochenen Erkenntnisse sehe ich den im Jahre 1904 siebzehnjährigen „Berndl“ Paumgartner am Dirigentenpult unseres Schülerorchesters vor mir, in welchem die Wiener Philharmoniker als Bläser und wir Gymnasiasten, darunter der damals elfjährige Artikelschreiber bei den Primgeigern, als Streicher mitwirkten. Vorwiegend hatte in dem von Paumgartner zusammengestellten und dirigierten Programm natürlich Mozart die Führung mit der Ouvertüre zur „Hochzeit des Figaro“, der „Kleinen Nachtmusik“ und der C-Dur-Symphonie, KV 338.

In einer am 170. Todestag Mozarts (5. Dezember 1961) in dessen Geburtshaus gehaltenen Rede beschäftigt sich Paumgartner mit der frühesten Biographik und Werkkritik der Mozart-Literatur, die sich nach seiner Ansicht „aus einer seltsamen Mischung nachwirkenden Gedenkens

an noch irdische Berührung mit einem in unerreichte Weiten Entrückten und dem leisen Ahnen vom großartigen, an die Grenze menschlicher Ewigkeit reichenden Maß seiner Werke zusammensetzt“. Er erwähnt hier neben E. T. A. Hoff mann und Mörike vor allem Nikolaus von Nissen, der als späterer Gatte der Mozart-Witwe deren schon stark getrübte Erinnerungen an den Verstorbenen niederschrieb; Erinnerungen einer sehr einfachen, aber lebensfrohen Frau, die von den dunklen Tiefen des göttlich-schauerlichen Schicksals Mozarts, von der Größe seiner Werke, von der Zwiespältigkeit seines Wesens keine Ahnung hatte. Paumgartner wirft die Frage auf, was wir eigentlich von der Auflehnung Mozarts gegen die zu seiner Zeit bestehende Gesellschaftsordnung wissen, die zum künstlerischen Ausdruck dessen wurde, was zur Französischen Revolution führte. Wenn Josefs II. Liberalität auch noch manches deckte, die „Liberti-nage“ des „Don Giovanni“, ebenso das „Abgeschmackte“ (!) des Stoffes wurde von den „gehobenen Kreisen“ Wiens streng beurteilt, sie duldeten Mozart zwar, aber er erreichte, was das Lebensnotwendige betraf, immer weniger.

Das „Bach, Mozart und die Wiener Klassik“ überschriebene Kapitel beschäftigt sich mit dem „gearbeiteten Stil“, wie der kleine Mozart die von ihm später studierte Kontrapunktik Bachs nennt, sowie mit der wort-und stimmungsgebundenen Symbolik in der Salzburger Kirchenmusik. Ähnliche „Symbola“ hat schon der Knabe Mozart in sich aufgenommen. Vor allem aber erscheint der Mozart der letzten Lebensjahre von jenem mit Bach geistesverwandten Zug erfüllt, der ihn durch seine Verbindung mit der Freimaurerei zu den von religiöser Dogmatik freien und in der „Zauberflöte“ verherrlichten Idealen hinführte.

Von einer der zahlreichen Textbearbeitungen,: • „Verbesserungen'! des Librettos, den ersten fremdsprachigen Aufführungen der „Zauberflöte“ und ihrer Vermengung mit anderen

, Mozart-Opern in einem „Pasticcio“, berichtet ein besonderer Abschnitt des Paumgartner-Buches. In einem bei Klaus Ambrosi 1795 in Passau erschienenen Textbuch ist die Handlung aus dem „ägyptischen und japo-nischen Milieu“ in eine damals so modische Ritterlandschaft übertragen, die Königin der Nacht verwandelt sich in eine „Zauberin durch Musik“ namens Karmela, ihre Arien werden an ihre drei Zofen, die originalen „Drei Damen“, aufgeteilt, Sarastro erscheint als „Mystagog“, der mit frömmelnden Worten alles an die damals verbotene Freimaurerei Gemahnende weglöscht. Der Sprecher, die Priester und die beiden Geharnischten sind eliminiert, ihre Aufgaben sind zwei „Sondersklaven“, Rillo und Pulko, überantwortet, die sich im Gefolge des „irrenden Ritters“ Tamino befinden. Nur Papageno und Papagena sind fast unbearbeitet geblieben.

Mit den geistigen und seelischen Beziehungen Wagners zu Mozart beschäftigt sich ein eigenes Kapitel. Wagner sieht in dem „zarten Licht-und Liebesgenius Mozart“ in erster Linie den Dramatiker, der erst von diesem Gebiet aus in die Symphonie eingetreten ist. Hier bewundert er die Schönheit der Themen und ihre Verwendung und Neugestaltung durch geniale Kontrapunktik, während ihm für die Belebung der Bindeglieder die gewohnte dramatische Anregung zu fehlen scheint. Auch auf eine Beziehung Mozarts zur Programmusik geht Wagner ein. „Wenn ein lebhaft begabter Instrumentalmusiker den Trieb, die Grenzen musikalischen Ausdrucks zu erweitern, durch Verwendung überschriftlich bezeichneter dramatischer Vorgänge symphonische Kunstwerke der Einbildungskraft zugänglich zu machen sucht“, so weist Wagner hier auf die von ihm vorgebrachten Äußerungen über die Ouvertüre zur „Entführung“ hin, bei deren Anhören man nach seiner Meinung mit größter Bestimmtheit auf den Charakter des folgenden Werkes schließen könne.

BERNHARD PAUMGARTNER. Vorträge und Essays. 5. Band der Schriftenreihe , dei\tf^ggr|^Mft^j^n( Stiftung Mozarteum. Verlag Bärenreiter, Kassel-Basel-Tours-London, 137 Seiten.

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