6808395-1972_20_10.jpg
Digital In Arbeit

Bernstein — Ludwig Melles und Turnowsky

Werbung
Werbung
Werbung

Naoh den Ekstasen, die Maklers 3. und 5. Symphonie bei ihm ausgelöst hatte, zeigte sich Bernstein im letzten philharmonischen“ als zahmer Löwe und bescherte seinen zahlreichen Anhängern eine mit einigen extremen Temporückungen ausgestattete, aber sehr delikate, grazile Wiedergabe von Mahlers Vierter der „Liedersymphonie'“. Das groteske Scherzo — Solovioline Gerhart Hetzel — führte er nicht nur musikalisch, sondern auch gestisch im Tanzschritt vor, die himmlischen Freuden des Schlußsatzes ließ er das Orchester voll ausgenießen. Edith Mathis war eine prächtige, das Sopransolo verklärende Interpretin.

Die zu Beginn gespielten ,fiaydn-Variationen“ von Brahms mit ihrem klassischen Duktus stellten Bernstein vor wesentlich anders geartete Aufgaben. Er versuchte in den •— ihm hier ferner als bei Mahler liegenden — inneren Kern des Werkes einzudringen, was ihm bei der ruhigen, vierten b-Moll-Variation und der mystischen Düsterheit der achten am besten gelang. Sieht man von dem zu sehr verhetzten Scherzo ab, so brachte der Dirigent eine im allgemeinen gute, in dem Orchesterplenum des Finales sogar sehr gute Wiedergabe zustande. Die nach den letzten schweren Proben- und Aufführungstagen wieder ausgeruhten Philharmoniker wurden zusammen mit Bernstein sehr gefeiert.

P. L.

*

Im Großen Konzerthaussaal sang Christa Ludwig, von Leonard Bernstein am Flügel begleitet, Brahms-Lieder. Der Abend wurde ein Fest. Nicht wegen des festlichen Rahmens oder weil nach der Pause beiden Künstlern vom Präsidenten der Konzerthausgesellschaft die Urkunde über die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft überreicht wurde, sondern trotzdem. Ein Fest für Brahms, dessen Schaffen von op. 3 bis op. 121 von Liedkompositionen begleitet ist, und die man viel zu selten hört: 20 Lieder in vier Gruppen gegliedert, darunter auch die kaum bekannten Bratschenlieder, deren Instrumentalpart der Philharmoniker Helmut Weis ausführte. Nach diesem Programm, das in der New Yorker Carnegie Hall Premiere hatte und in Jerusalem fürs Fernsehen aufgezeichnet werden wird, kann man Christa Ludwig unter die großen Liedersängerinnen unserer Zeit einreihen. Die Stimme ist von strömendem Wohllaut, der Ausdruck für jedes einzelne dieser meist ein wenig schwermütigen Lieder war genau entsprechend, und auch an jener dritten, schwer zu beschreibenden Dimension, die das Lied zu seiner Entfaltung braucht, fehlt es ihr nicht. — Bernstein ist, das wissen wir seit dem Ravel-Konzert, ein vorzüglicher Pianist. Er begleitete bescheiden, als guter Musiker. Nur im letzten Zyklus, den Ziegeunerliedern, ließ er seinem Temperament die Zügel schießen. Aber da konnte er kein Unheil anrichten, denn diese Musik ist ebensowenig „typisch Brahms“ wie von Zigeunern. Langanhaltender und lebhafter Beifall für einen großen Musikabend.

H. A. F.

*

Der Solist des achten von Carl Melles dirigierten Konzerts im Zyklus „Die große Symphonie“ hieß Bruce Hungerford. Er stammt aus Australien, hat noch leim letzten Brahms-Schüler studiert, debütierte erst 1951 und scheint ein Spätgereifter zu sein. Er spielte den Solopart des 4. Klavierkonzerts von Beethoven ohne Brillanz und ohne Überschwang (manche mögsn's heißer), aber er ist ein guter, solider Musiker, der seine Auffassung, machmal auch gegen Dirigenten und Orchester, durchzusetzen verstand.

Als österreichische Erstaufführung erklangen György Ligetis „Melodien für Orchester“, ein Auftragswerk der Stadt Nürnberg zum. Dürer-Jahr und dort am 10. Dezember 1971 zum erstenmal gespielt. Der Klang des relativ kleinen Orchesters wird durch Klavier und Celesta, Metallophon und Vibraphon, Gockenspiel, Crotales und drei Pauken bestimmt. Im Unterschied zu mehreren seiner früheren Kompositionen produziert Ligeti in dieser Partitur nicht nur Klangflächen, sondern auch — meist darüber-schwebende — kleine melodische Gestalten von verschiedenster Art, vom einfachen Tonschritt der Oboe d'amore bis zum Clusterklang. Die gewollte unpräzise Rhythmik verleiht ihnen besonderen Reiz, und nie war Ligeti dem Schönheitsideal der Impressionisten so nah. Das lyrische 15-Minuten-Werk verklingt „mo-rendo“. Aber wo blieben die drei Generalpausen am Schluß, die das Verschwinden der Musik in einen imaginären Raum andeuten sollen? Der Dirigent müßte sie voll ausschlagen, um die Absicht des Komponisten deutlich werden zu lassen.

Den Abschluß des Konzerts bildete Schumanns IV. Symphonie, einsätzig und ursprünglich als „symphonische Phantasie für Orchester“ bezeichnet. In dieser Sphäre ist Melles ganz zu Hause: Seiner Interpretation und dem Spiel der Symphoniker fehlte es weder an Schwung noch an Lyrismus, weder an Klangschönheit noch Präzision. Es war, mit einem Wort, eine Aufführung von seltener Vollkommenheit, die vom Publikum entsprechend gewürdigt wurde.

Helmut A. Fiechtner

Das achte Abonnementkonzert des „Vorwiegend Haydn“ genannten Konzerthauszyklus fand unter der Leitung von Martin Turnowsky mit den Wiener Symphonikern, der Wiener Singakademie und einem Vokalquartett statt: Edita Gruberova (Sopran), Ingrid Mayr (Alt), Franz Lukasovsky (Tenor), Jaroslav Stajnc (Baß). Zwischen Leos Jana-ceks Suite aus der Oper „Das schlaue Füchslein“ und Haydns Großer Messe in d-Moll, genannt „Nelson-Messe“, stand der „Totentanz“, Paraphrase über „Dies irae“ für Klavier und Orchester von Franz Liszt; Solist war Alfred Brendel. Ein kontrastreiches, interessantes, dabei so manche Widersprüche in sich bergendes Programm, das zu grundsätzlichen Fragen anregt, die immer wieder dort auftauchen, wo ein wohlbekanntes kirchenmusikalisches Werk aus dem sakralen Bereich in den profanen versetzt und seiner Bestimmung entfremdet wird. Doch Haydn selbst hat diese Messe, welche als „Nelson-Messe“ bekannt geworden ist, „Missa in angustiis“ genannt und hätte vielleicht doch solch liturgiesprengende Besetzung und Dynamik nicht ohne weiteres abgelehnt. — Zu der beschwingten und herzerfreuenden Musik seines Schöpfers geisterte Janäceks „Füchslein“ durch Wald und Hühnerstall und fand nach vielen Abenteuern den Weg ins Freie.

Unter der Devise „Wir stellen vor“ wurden im Konzerthaus zwei junge Instrumentalisten präsentiert, welche den Sinn und Wert dieser Vortragsreihe, die bereits eine beachtliche Popularität besitzt, dargelegt haben: der 1951 in Gmunden geborene Cellist Heinrich Schiff und die Schweizer Pianistin Brigitte Meyer. Beide Künstler haben bereits ausgedehnte Konzerttourneen im Ausland unternommen und beide sind Preisträger diverser internationaler Wettbewerbe.

Beginnend mit der g-Moll-Sonate des englischen Barockmeisters Henry Eccles führte das Programm über Brahms' Sonate in F-Dur und Beethovens 7 Variationen über das Duett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ aus Mozarts „Zauberflöte“ zu Frank Martins „Ballade“ aus dem Jahr 1949. Die plastische Formung, gepaart mit ausdrucksstarkem Ductus und Transparenz, mit welcher die Künstler die instrumental figurierte Nachdichtung des berühmten Duetts boten, ließen aufhorchen. Die Interpretation der „Ballade“ gab Zeugnis einer geistigen Durchdringung der Tiefen, die auszuleuchten immer ein ernstes Anliegen des Schweizer Meisters ist, dessen Studium wohl auch den Weg zu Brahms weisen wird. Chopins Op. 3, „Introduction“ und „Polonaise brillante“, die wirklich brillant gebracht wurde, beschloß den interessanten Abend, dem lebhafter Beifall gezollt wurde.

• Der Wiener Jeunesse-Chor hat während der vergangenen Jahre bei folgenden Aufführungen im Rahmen der philharmonischen Konzerte mitgewirkt: Leonard Bernstein: Chiche-ster Psalms, Dirigent: Leonard Bernstein (1968). Igor Strawinsky: Psalmensymphonie, Dirigent: Claudio Abbado (1969). Theodor Berger: Frauenstimmen im Orchester, Dirigent: Horst Stein (1970).

• Der zum erstenmal verliehene Preis des österreichischen Schriftstellerverbandes wird, über Vorschlag von Christine Busta, der in Darmstadt lebenden österreichischen Dichterin Paula Ludwig übergeben. Aus diesem Anlaß liest sie am 17. Mai um 19 Uhr im Palais Palffy aus ihren Werken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung