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Bernstein mit Mahler

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Es war ein guter Gedanke, zum Eröffnungskonzert der heuen Saison und anläßlich der Präsentation des renovierten Saales ausschließlich Werke von Gustav Mahler aufs Programm zu setzen, der im gleichen Jahr (1911) starb, als mit dem Bau des Konzerthauses begonnen wurde. Und es war eine glückliche Fügung, daß sich Leonard Bernstein und die Wiener Philharmoniker hiefür zur Verfügung stellten. Daß dabei gleichzeitig auch Fernsehaufzeichnungen gemacht wurden, wird nicht zum Schaden Wiens als Musikstadt sein. ‘

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Es war ein guter Gedanke, zum Eröffnungskonzert der heuen Saison und anläßlich der Präsentation des renovierten Saales ausschließlich Werke von Gustav Mahler aufs Programm zu setzen, der im gleichen Jahr (1911) starb, als mit dem Bau des Konzerthauses begonnen wurde. Und es war eine glückliche Fügung, daß sich Leonard Bernstein und die Wiener Philharmoniker hiefür zur Verfügung stellten. Daß dabei gleichzeitig auch Fernsehaufzeichnungen gemacht wurden, wird nicht zum Schaden Wiens als Musikstadt sein. ‘

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Als nach einem seiner ersten Mahler-Konzerte Leonard Bernstein vom Vorstand der „Internationalen Mahler-Gesellschaft”, dem auch der Autor dieses Berichts angehört, die Große goldene Mahler- Medaille verliehen wurde, sagte Bernstein unter anderem, daß, wenn er Mahler dirigiere, er immer das Gefühl habe, diese Musik stamme von ihm selbst, dem Dirigenten. So sehr fühlte und fühlt er sich der Welt Mahlers verbunden. Und das wurde ihm auch wiederholt bestätigt…

Auf dem Programm standen der einzige vollendete Satz aus Mahlers 10. Symphonie, jener Teil also, der auch in die von Pro/. Erwin Ratz betreute kritische Gesamtausgabe auf genommen wurde, sowie die 1. Symphonie, selbstverständlich ohne den von Mahler später ausgeschiedenen „Blumine”-Satz, dessen Wiedereinfügung von der Mahler- Gesellschaft strikt atogelehnt wird. Über die Werke ist nichts Neues zu sagen. Der stürmische Eintritt eines Genies ins Musikleben mit der 1889 in Budapest erfolgten Uraufführung seines ersten symphonischen Werkes — und der Abschied vom Leben, der aus dem Adagio der unvollendeten Zehnten in so ergreifenden, wenn auch nicht neuen Tönen zu uns spricht.

Aber diese Erste, auch „Titan” genannt (nach dem Roman von Jean Paul) ist ein so geistvolles, neuartiges und zugleich liebenswürdiges Werk, daß man sich einfach nicht vorzustellen vermag, daß es Menschen gibt, die von dieser Musik unberührt bleiben. Und als Ausführende: die Wiener Philharmoniker. Im Adagio war ein Streicherklang zu bewundern, wie es ihn einfach ein zweites Mal und andernorts nicht gibt. Denn er ist nie Selbstzweck, im Sinn des „Schönklangs”, sondern in jeder Minute, in jeder Sekunde, auch Ausdruck. Alle vier Sätze hatten ihre besonderen Farben, Nuancen und Emotionen. Das prunkvoll-sonor klingende Blech, die feinstnuancierten Holzbläser, die unfehlbaren Schlagwerke, die beiden klangschönen Harfen: man kann sich das einfach nicht besser und schöner vorstellen.

Dabei birgt das Mahler-Spiel unter Bernsteins Leitung für die Musiker Gefahren. Denn: von seinem Temperament überwältigt und vom Gefühl fort- und emporgerissen, kommt die für das Orchester bestimmte Zeichengebung oft unerwartet, manchmal ungenau. Aber wie das Orchester das auffing, drei oder viermal, wobei es nur ein einziges Mal hörbar wurde, daß da etwas schwierig war: das war an dieser eindrucksvollen Aufführung vielleicht das Eindrucksvollste. „Drauskommen”, nämlich sich verwirren lassen, ist keine Kunst. Aber sich wieder „erfangen” und das Riesenwerk in der genauen Zeit von 55 Minuten zu Ende zu führen: das ist eine, und zwar eine große, die auch entsprechend vom Publikum gewürdigt wurde. Helmut A. Fiechtner such des jungen Genies, und zwar ganz im Stile von Schumann. Die Interpretation war in romantischen Klang getaucht und qualitativ von Brachi Tilles am Klavier dominiert. ♦

Die Wiener „Jeunesses” feierten den 25. Jahrestag ihres Bestehens in ungewohntem Rahmen, nämlich in der Kurhalle des neuen WIG-Geländes. Es ist zu hoffen, daß die Veranstalter so günstige finanzielle Konditionen genossen, daß die künstlerischen Nachteile aufgewogen wurden. Der Saal hat einen annähernd quadratischen Grundriß, je ein schmales äußeres Drittel ist ungefähr in 30gradigem Winkel als Tribüne aufgeklappt, in der Mitte ist der Raum für die Parterresitze, die im Halbrund um das trapezförmige Podium angeordnet sind. Dadurch sitzen zu viele Zuhörer eigentlich hinter dem Geschehen, und dazu erschwert die schallschluckende Akustik das Musizieren, namentlich das Singen. — Es spricht für die Qualitäten der Solisten in Haydns „Jahreszeiten”, daß doch über weite Strecken echter Kunstgenuß zustande kam: Editha Gruberova glänzte als Einspringerin für Edith Mathis mit Spitzentönen, Peter Schreier sang mit scheinbar müheloser Schönheit, nur der technisch noch weniger versierte Helmut- Berger-Tuna wirkte unfertig. Der „Jeunesse-Chor” wurde über weite Strecken ein Opfer der ungewöhnlichen räumlichen Verhältnisse, hatte er doch aus den Sesselreihen der hinter dem Orchesterpodium liegenden Tribüne zu singen. — Die „Symphoniker” reagierten sehr erfahren und erleichterten Günther Theuring die riskante Arbeit, den durch die angeführten Umstände benachteiligten großen Klangkörper zusammenzuhalten. Darüber hinaus sorgte er für glückliche Tempi und plastische Dynamik. Das Publikum war in Festesstimmung und jubelte anhaltend.

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