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Berufsstand ohne Anstand?

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„Lauter reizende Kinder -ich möchte wissen, wo die miesen Leut' herkommen.“ Diesen humorvolltreffenden Ausspruch kann man auch auf unsere Presse münzen.

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„Lauter reizende Kinder -ich möchte wissen, wo die miesen Leut' herkommen.“ Diesen humorvolltreffenden Ausspruch kann man auch auf unsere Presse münzen.

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Als 1848 die Pressefreiheit geboren wurde, herrschte große Freude über das hoffnungsvolle Kind freie Presse. Heute bekommt man zunehmend den Eindruck, daß aus dem vielbejubelten Kind ein Leviathan wurde.

Die vierte Gewalt — die gnadenlose — wirkt nicht selten wie eine fünfte Kolonne. In dem von Montesquieu aufgestellten System der Gewalten war den Medien noch kein Platz zugeordnet.

Der Grundsatz „le pouvoir arre-te le pouvoir“ — eine Gewalt kontrolliert die andere — kommt daher bei der vierten Gewalt nur in stark abgeschwächter Form zum Tragen. Und so konnten sich die Medien die Machtfülle eines Großinquisitors arrogieren.

Aus dem Zeitungsstand, einst Vorposten der Freiheit, wurde weitgehend ein Abfallkübel der Gesellschaft. Das Thema Stand ohne Anstand kann man durchaus variieren in Stand am Anstand. (Als Metapher, nicht verallgemeinernd gemeint.) Das Freiwild sind nicht nur die großen Tiere, es ist längst auch schon der kleine Mann.

Im Forderungsprogramm der Wiener Journalistengewerkschaft vom Oktober 1960 heißt es: „Die Presse darf sowohl in öffentliche Angelegenheiten wie in die Intimsphäre der Einzelpersönlichkeit durch Information und Kritik auch dann eingreifen, wenn dies gegen strafgesetzliche Vorschriften verstößt, jedoch das öffentliche Interesse an wahrheitsgemäßer Berichterstattung überwiegt.“

Man muß es zweimal lesen, um es glauben zu können: Die Presse darf in die Intimsphäre auch dann eingreifen, wenn dies gegen strafgesetzliche Vorschriften verstößt!

Das Satzende kann man ruhig vernachlässigen, denn wann das öffentliche Interesse überwiegt, darüber entscheiden die Medien; und die sind dabei bekanntlich nicht kleinlich. Das muß doch jeden freiheitsliebenden Bürger zu höchster Wachsamkeit herausfordern.

Gewiß, diese Forderung fand in kein Presse- oder Mediengesetz Eingang. Aber wer unsere „Aufklärung?- und Enthüllungsmedien“ kennt, weiß, daß dieses Eindringen in die Intimsphäre dem Buchstaben und dem Ungeist nach bis ins Detail realisiert wird. Und das ist nicht beschränkt auf die 3 B-Sexpress-Produktionen (3 B: Blut, Busen, Boudoir).

Ein Beispiel dafür, wie man es machen kann und doch nicht machen sollte, brachte anläßlich der im Juni 1980 abgehaltenen Tagung über „Ethik und Journalismus“ ein Referent:

„Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt zum erstenmal ein europäischer Kardinal nach New York. Auf dem Flughafen fragt ihn ein Journalist, ob er in New York ein Freudenhaus besuchen werde. Der Kardinal fragt seinerseits, was das ist. Und am nächsten Tag steht als Titel auf der ersten Seite einer Zeitung: .Erste Frage des europäischen Kardinals galt den Freudenhäusern in New York'.“

Man kann das als Entgleisung abtun. Aber wenn man allein nur die sich gerade in letzter Zeit bei uns häufenden taktlosen Fragen im Ohr hat, wenn man sich an verschiedene Vorfälle erinnert, wenn man die zunehmende Verwilderung in der Medienlandschaft sieht - über die längst auch schon der Presserat und einsichtige Journalisten klagen —, wird man meiner Feststellung beipflichten:

Wenn sich die Massenbeförderungsmittel so viele Entgleisungen leisteten wie die Massenbeeinflussungsmittel, wären sie lebensgefährliche Unternehmen. Und in der Tat, für viele Menschen wurden sie schon lebens-, zumindest existenzbedrohend. Die Zahl der Medienopfer und

Pressegeschädigten wird ständig größer.

Beim Club 2 über die „Basta“-Affäre unter dem Titel „Was dürfen Journalisten“ hätte ich gerne eine Wette abgeschlossen: Wetten, daß das Lokal wegen Uberfüllung geschlossen werden müßte, wenn alle Medienopfer und Pressegeschädigten herkämen.

Und ich bin auch überzeugt, daß ein Lichttest — wer den Presserat nicht kennt, möge das Licht abschalten - praktisch zu einer totalen Verdunkelung in Österreich geführt hätte.

Denn in eigener Sache scheut die Presse Publicity wie der Teufel das Weihwasser. Ist schon ein exclusiver Club, unsere Presse. Trommelfeuer gegen alle anderen, volle Deckung für den eigenen Kopf. Open house bei den anderen, Polstertüren für das eigene Haus. Alle Bürger sind gleich — nur die Journalisten sind gleicher.

So sorgt man dafür, daß eine Pressediskussion höchstens aufflackert, aber niemals richtig entbrennt. Der Schmerz, den man dabei einander zufügt, hält sich in engen Grenzen und ist jedenfalls nicht so groß, daß er abschrek-kend wirken könnte.

Echte Sanktionen gibt es weder bei eklatantem Unwahrheitsge-halt noch bei grober Verletzung des Anstands. Es ist mehr Schimäre, weniger Katharsis.

Zum jüngsten Beispiel einer solchen Entgleisung nimmt t. c. in der „Presse“ vom 13. Oktober 1986 unter dem Titel „Ausrutscher“ Stellung. Da wurde in der vorangegangenen Fernseh-Pressestun-de der FPÖ-Obmanri von einem „profiT'-Redakteur mit der taktisch-taktlosen Frage konfrontiert, ob er eine Jüdin heiraten würde.

t. c. meint, daß er — der Parteiobmann — zumindest in diesem Punkt gesiegt hat, denn er „hat nicht geantwortet, das geht Sie einen Schmarrn an, sondern lächelnd gemeint, er sei schon gut verheiratet, österreichische Politiker sind es (noch) nicht gewohnt, auf Rotzigkeit entsprechend zu reagieren.“ Das ist in diesem Zusammenhang in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Bei jeder Wahl wird in den Medien behauptet, es werde der schmutzigste Wahlkampf, die größte Schlammschlacht in der Zweiten Republik. Dieser Vorfall — und er ist nur einer unter mehreren, ein anderer war etwa die bis heute nicht bewiesene Beschuldigung der Bestechung des ÖVP-Wahlkampfleiters bei der Bundespräsidentenwahl — zeigt, daß Medien durchaus ihren Anteil an der Verschmutzung der politischen Szene haben.

Solche Vorfälle widerlegen aber auch den Vorwurf, daß Politiker nicht Sachprobleme, sondern persönliche Diffamierungen in den Vordergrund stellen. Auch hier haben die Medien einen erheblichen Anteil. Sie verschleiern das freilich nach der Methode: Haltet den Dieb.

Und wenn dann einmal so eine Personen-Debatte losgetreten ist, gerieren sie sich als Retter und Ordnungsfaktor.

Mir kommen solche Journalisten wie pyromanisch veranlagte Feuerwehrmänner vor: erst zündeln sie, um dann als erste Feuer rufen, sich auf dem Brandplatz produzieren und schließlich als Retter und Helden feiern lassen zu können.

Solche Vorwürfe, insbesondere den der Manipulation, weisen

Journalisten in der Regel entrüstet zurück. Sie seien nicht schuld, sie schildern ja nur die Zustände. Ein Chefredakteur formulierte es einmal so: „Die Staatsbürger aber sind fraglos klug genug, zu wissen, daß am Fieber nicht das Thermometer schuld ist, das es anzeigt.“

Der von mir sehr geschätzte Journalist hätte hier im Prinzip recht, nur schaut die Praxis anders aus. Darum schrieb ich ihm: „Es gibt immer ein paar böse Buben, die das Thermometer so lange reiben, bis es auf die gewünschte Temperatur kommt. (Diese .Heizungstechriiker' sitzen, so scheint es mir, in allen Parteien und in fast allen Redaktionen.)

Manche bringen damit sogar die Volksseele zum Kochen. Und manche kochen auf der kochenden Volksseele dann ihr eigenes Süppchen. Auslöffeln freilich müssen es dann die Bürger. Darum bin ich so allergisch gegen alles, was verbrannt, pardon, nach

Manipulation riecht... In einem aber gebe ich Ihnen recht: Das Thermometer trifft keine Schuld.“

Dabei wissen zumindest einsichtige Journalisten, wie es um ihren Berufsstand, um den Anstand in ihrem Berufsstand, bestellt ist. Und sie wissen auch, wie gering ihr Ansehen in der Öffentlichkeit ist.

So wurde am Landessektionstag der Journalistengewerkschaft von Wien, Nieder Österreich und Burgenland am 28. Februar eine Resolution verabschiedet mit der Aufforderung an die Sektionsführung, geeignete Schritte zu einer Aufwertung des Berufsimage der Journalisten zu setzen.

In der Begründung wird darauf verwiesen, daß Untersuchungen regelmäßig bestätigen, daß sich Journalisten bezüglich ihres Ansehens in der Öffentlichkeit am Schluß der Berufsrangliste befinden. Und dann kam die „Basta“-

Affäre — neuerlich ein arger Schlag für das Ansehen der Journalisten. Und was tut der Landessektionsvorstand? Er distanziert sich — mehrheitlich.

Also gibt es „Journalisten“ — und mich erstaunt das nach meinen Erfahrungen nicht —, die solche Methoden offensichtlich zumindest nicht ablehnen, wenn nicht gar billigen. Und die weiter öffentliche Meinung machen, weiter öffentliche Moral predigen und weiter Ersatzjustiz betreiben. Sie werden sich weiter als „mutige“ Enthüllungsjournalisten betätigen.

Ich frage mich nur immer, wieso sie so mutig sein sollen. Ihnen geschieht ja in der Regel nichts. Mutig sind jene durch die Medienjustiz verurteilten Pressegeschädigten, die es wagen, sich zu wehren.

Und wie schwer das ist, kann man schon daran erkennen, daß die Medien jemanden in ein bis zwei Tagen verurteilen, zur Reha- . bilitierung aber meist ein bis zwei Jahre brauchen. In der Zwischenzeit ist der Betreffende aber womöglich gesellschaftlich geächtet und existenziell ruiniert. Hier bleibt nicht nur das Medienopfer auf der Strecke, hier bleibt auch der (journalistische) Anstand auf der Strecke.

Zunehmend hört man auch Klagen über die Form von Interviews. Und sieht oder hört man sich so ein Interview an, kommt man nicht selten zur Ansicht, das sei kein Interview, sondern ein Verhör. Es wird nicht geführt von einem Interviewer, sondern von einem Agent provocateur. Wort und Begriff Fairneß sind nicht in Mode. Übrigens: Fairneß heißt - Anstand.

Sage niemand, es wache ja der Presserat. Der hat eine Lieblingsbeschäftigung: er legt die Hände in den Schoß und hüllt sich in Schweigen. Wenn er sich aber zum Handeln aufrafft, kann es passieren, daß man eine Zurückweisung ohne sachliche Begründung erfährt.

Ich reagierte darauf einmal mit der Feststellung: „Das ist nicht die Sprache des demokratischen Rechtsstaats gegenüber einem mündigen Bürger, das ist die Sprache des absolutistischen Obrigkeitsstaats gegenüber Untertanen.“

Oder der Presserat gibt „Begründungen“, die einer gewissen. Komik nicht entbehren. Als ich einmal eine „Anzeige wegen Rufmords“ einbrachte, erhielt ich die Antwort, daß das mit ein Anlaß für den Presserat war, „neuerlich seinen Grundsatz in Erinnerung zu rufen, nach dem Verdächtige nicht als Schuldige bezeichnet werden dürfen“.

Darauf konnte ich nur erwidern: „Wenn die vom Presserat diesmal praktizierte Methode Schule macht, gehen Gesetzesbrecher herrlichen Zeiten entgegen: Sie bekommen ein Strafgesetz zugeschickt mit dem freundlichen Hinweis, daß ihre Handlung eigentlich schon seit langem verboten ist.“

Und als ich einmal ein Verfahren wegen einer staatsschädigenden Falschmeldung anstrengte, wurde das zurückgewiesen mit der Feststellung, daß der Verdacht entkräftet wurde, daß das Blatt „wissentlich eine Falschmeldung verbreitet habe“.

Ich ließ es nicht dabei bewenden und erklärte dem Presserat: „Mit der dem Mediengesetz entlehnten Formel haben Sie ein Präjudiz par excellence, einen geradezu klassischen Präzedenzfall geschaffen. Mit dieser Ihrer Feststellung haben Sie nicht einen Notausgang geöffnet, sondern ein Riesentor aufgestoßen. Sie haben damit den Durchbruch zur totalen Entmachtung des Presserats geschafft. Die vermeintliche goldene Brücke wird sich als brüchiger Steg ins Uferlose, in den Abgrund erweisen.“

Ein Richter würde uns nur verständnislos ansehen, wenn wir mit der Begründung, wir haben den Kläger nicht wissentlich falsch beschuldigt, einen Freispruch verlangten.

Unter dem Titel „Zeitung und Gewissen“ schrieb Franz Kreuzer in einem Leitartikel in der „Arbeiter-Zeitung“ am 25. Juli 1957: „Es kommt darauf an, daß den Journalisten die Macht, die ihm die Rotationstechnik in die Hand gibt, nicht mit Wollust, sondern mit Gewissensqualen erfüllt.“

Ich habe immer wieder den Eindruck, daß sich Journalisten zu oft der Wollust der Macht hingeben und zu selten der Qual des Gewissens erliegen.

In der „Presse“ vom 26. April 1985 schrieb Thomas Chorherr: „Journalismus hat viel mit Fingerspitzengefühl zu tun.“ Wie wahr. Mir scheint nur, daß viele Fingerspitzen vom vielen Schreiben allzu verhärtet sind. Und manchmal, scheint's, sind's auch die Herzen.

Eine Besserung der Presse-Situation ist nicht durch eine freiwillige Metamorphose des Journalismus zu erwarten. Eine Besserung wird nur erreicht werden, wenn immer mehr Leser den von mir zurückgelegten Weg beschreiten und es die Journalisten merken lassen: von der Mediengläubigkeit über die Medienkritik zur Medienverdrossenheit.

Wäre ich Chefredakteur, ließe ich beim Redaktionseingang zwei Sprüche anbringen:

Peter Rosegger: Man muß nicht alles sagen, was wahr ist, aber was man sagt, muß wahr sein

Seneca: Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand

Der Autor war rund vier Jahrzehnte hindurch Parlamentsstenograph.

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