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Beserlpark der Gefühle

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20 Bühnen wollen die Novität spielen oder tun es schon. Ab Samstag ist das jedenfalls „auffälligste Stück der neuen Saison” auch im Wiener Burgtheater zu sehen.

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20 Bühnen wollen die Novität spielen oder tun es schon. Ab Samstag ist das jedenfalls „auffälligste Stück der neuen Saison” auch im Wiener Burgtheater zu sehen.

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Fast doppelt soviel Vorstellung wie sonst fürs selbe Geld: Botho Straußens „Der Park” dauert hier vier Stunden. Aber die Inszenierung der Berliner Schaubühne war noch länger.

Meiner Ansicht nach steht der Umfang dieses Stücks im umgekehrten Verhältnis zu seiner Bedeutung. Dafür bietet es Stoff zum Herumrätseln, vor allem aber liefert Botho Strauß etwas, von dessen Notwendigkeit jetzt allenthalben die Rede ist, etwas, was neuerdings massiv als Mittel gegen die kalte Rationalität des Machertums angepriesen wird: „Mythen”. Schlag nach im Lexikon: .Archaischer Poesietypus, der... die Welt und ihre Erscheinungen zu deuten versucht.”

Viele Dichter halten sich an die Mythen, auch heute. Wer könnte leugnen, daß im Mythischen uraltes Wissen vom Menschen ist, eine Ahnung von seiner Herkunft, daß sie uns mit rätselvollen Botschaften konfrontieren?

Beim Versuch, die Mythen des Botho Strauß zu entschlüsseln, finde ich aber vor allem einen Mythos (im Sinne einer .Jetztgültigen und deshalb nicht mehr zu begründenden Aussage”) — nämlich den Mythos von der Bedeutung des Autors Botho Strauß.

Seine gigantischen Ansprüche kennt man auch aus den Prosaschriften. Beim Schreiben von „Der Park” hat Botho der Große endlich einen adäquaten Gesprächspartner gefunden. Das Stück ist eine Art Dialog mit dem Dichter des „Sommernachtstraums”. Zwei von Shakespeares Gestalten, Titania und Oberon, steigen herab und erhärten die These Botho Straußens, daß die heutigen Menschen der großen Räusche nicht mehr fähig und darum der großen Mythen nicht mehr würdig sind.

In einem Park, in dessen Gestrüpp der Wind allerlei Abfälle geweht hat, einem echten Beserlpark der Gefühle, beweisen die Menschen ihre Mickrigkeit, indem sie auf Distanz zu den Göttern gehen, die sich vor ihnen entblößen - statt es mit ihnen zu treiben.

Titania wird von Oberon für einige Zeit in eine Kuh mit mächtigem Hinterteü und ausgeprägten Bedürfnissen verwandelt, aber auch die Menschen werden verzaubert, wobei die magischen Amulette des Bildhauers Cyprian eine Rolle spielen, und der homoerotisch programmierte Cyprian wird von einem potentiellen Lustobjekt erschlagen. Ferner entsetzt Helen ihren Georg durch Anfälle von Koprolalie, worunter man bekanntlich eine krankhafte Neigung zum Aussprechen obszöner Wörter versteht. Bei ihr stammen sie aber nicht aus dem Analbereich, sondern sie schimpft auf die Neger.

Auch dem Tod ist eine interessante Aufgabe als stummer Liebhaber zugedacht, der im Bett einen schwarzen Skelettabdruck hinterläßt. Im letzten Bild schaut er noch einmal kurz herein, er will wohl sehen, wie es der gealterten Titania und ihrem stierhufigen Sohn jetzt geht. Sehr verbürgerlicht sind sie, die Guten.

Szenen wie die mit der rassistisch verhexten Helen gibt es mehr in diesem Stück. Botho Strauß ist ein ebenso boshafter wie scharfsichtiger Beobachter des deutschen Lebens. Diese Partikel von aktueller Wirklichkeit sind reizvoll, sehenswert, sind das Beste am Stück.

In der Berliner Inszenierung von Peter Stein, dem „Der Park” gewidmet ist, sind diese Stellen Oasen in der bedeutungsschweren Langeweile. Das Burgtheater hat aber auch Strauß-Erfahrung: „Kalldewey, Farce” wurde als konsequenter Theaterspaß ein Riesenerfolg.

Ohne Spaß hat „Der Park” wenig zu sagen, aber es raunt darin laut. Seine Mythen stammen nicht aus dem gemeinsamen Unbewußten, sondern aus dem Kalkül eines, der weiß, wie man Starregisseure ködert - und genau weiß, was gerade nicht gefragt ist. Das Stück huldigt nicht dem Bedürfnis nach Mythen, sondern dem Mystizismus und dem Theatertrend zu den ganz großen, schweren, schönen Bildern. Mit den Problemen, die uns heute beschäftigen, hat es wenig zu tun.

Vielleicht stürzen sich die Theater auch deshalb auf das „auffälligste Stück der neuen Saison” („theater heute”). Kunst mit Ablenkungscharakter ist jetzt sehr gefragt. „Der Park” kommt dem wie maßgeschneidert entgegen.

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