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Besser als der Reigen

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Wo sonst das Impressum steht, nämlich auf der Rückseite des Titelblattes, findet der stirnrunzelnde Leser die folgende Anmerkung: „Die in der Biographiereihe österreichischer Dramatiker PROFILE erscheinenden Veröffentlichungen geben Auffassungen ihrer Autoren wieder, die nicht unbedingt mit jenen des Instituts für österreichische Dramaturgie der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien übereinstimmen müssen.“

Ja hat denn besagtes Institut, als solches und als Ganzes, eine bestimmte Meinung über diverse literarische Gegenstände, zum Beispiel über das Werk Arthur Schnitzlers? Oder ist die Meinung des Institutsleiters gemeint? Wenn die Studie von Marcuse oder Qualtinger wäre ... Aber auch dann erschiene uns ein solcher Vorspruch überflüssig. Denn nichts anderes kann ja in einer Monographie oder in einer literarischen Studie stehen als die Forschungsergebnisse und die „Meinung“ des Autors.

In diesem Fall jedenfalls kann der Leser völlig beruhigt sein: Dr. Heinz Bieder ist gelernter Germaniist, ein versierter Kenner speziell der neueren österreichischen Literatur, und was er dem Leser in diesem Büchlein bietet, ist ein überaus instruktives und nützliches Schnitzler-Seminar, hauptsächlich über den Dramatiker. Doch nicht nur dies. Das Einleitungskapitel über das Theater der Zeit, ein weiteres mit dem Titel „Der Denker und Dichter Arthur Schnitzler“ sowie das Schlußkapitel .Arthur Schnitzler und unsere Zeit“ sprengen den im Titel angegebenen Rahmen, genauer: sie erweitern ihn auf pädagogische Weise.

Als Beispiel nur einige der hier angeschlagenen Themen: die österreichische „Moderne“ brach nicht mit der Tradition — wie etwa die Berliner Naturalisten, sondern knüpfte an die dialogisierten Novellen der Ebner-Eschenbach, an Saar und Bauernfeld, ja an Anzengruber an. Bezieht man, was Dr. Rieder immer wieder tut, auch den Erzähler und Aphoristiker Schnitzler ans Blickfeld ein, so erkennt man, wie seine Menschen, Repräsentanten einer Gesellschaft, die unverkennbar hippo-kratische Züge trägt, nicht nur als „Dirigierte ihres Triebes“, sondern auch unter politischen und gesellschaftlichen Zwängen handeln. Sie leben in einem Staat, der von außen und von innen bedroht ist, sie selbst befinden sich auf einer „ziellosen Flucht“, wie einmal definiert wurde. Es gibt keinen Stillstand der Gefühle und der Beziehungen, alles ist im Fluß und in Bewegung, und zwar weniger durch Taten, Aktionen, als durch Reden. Es sind Tragödien durch Worte, sie erleben und erleiden ihr Schicksal als Sprechende.Hofmannsthai sagte einmal, Schnitzler sei mehr Künstler, geistreicher und klüger als die meisten Theaterautoren der letzten 50 Jahre... Und noch auf eine andere Eigenart der Schnitzlerschen Stücke und ErZählungen sei hingewiesen: sie sind viel mehr lokal- und zeitgebunden als etwa die Hofmannsthals. Namen, Familiennamen, bestimmte Gassen und Vororte Wiens bis zur Rax, dem Schneeberg und dem Semmeringge-biet tauchen immer wieder auf und verdichten die Atmosphäre ...

Jedoch: den Hauptteil des Buches bilden die Analysen und Kommentare zu 22 Schnitzler-Stücken mit gut lesbaren, genauen und klugen Inhaltsangaben. (Wie heikel gerade diese Kunst ist, kann nur der ermessen, der es einmal selbst versucht hat, auf wenigen Seiten den Inhalt, die Handlung eines Theaterstücks wiederzugeben.) Natürlich fehlen auch die Uraufführungsdaten nicht, jeweils am Ende der Analyse des betreffenden Theaterstückes. So erfahren wir, daß zum Beispiel „Das weite Land“ im Jahr 1911 an nicht weniger als elf deutschen Bühnen erstaufgeführt wurde ...

Den Abschluß machen die übersichtlich zusammengestellten Lebensdaten Schnitzlers, Literaturangaben, eine Bibliographie sowie ein Verzeichnis der Ausgaben, samt den Korrespondenzen Schnitzlers. Der Leser bekommt also etwas Wertbeständiges und Solides für sein bescheidenes Geld...

ARTHUR SCHNITZLER. ' DAS DRAMATISCHE WERK. Von Heinz Rieder. Sonderpublikationen der Österreich-Reihe. Profile, Band 2. Bergland-Verlag, Wien. 108 Seiten, Preis 65 Schilling.

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