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Besser nicht mehr trinken

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400 Fässer mit giftigen Chemikalien, 80 Prozent davon ausgeronnen, wurden kürzlich in einer ehemaligen Schottergrube gefunden. Was wird aus dem Grundwasservorkommen im Wiener Becken?

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400 Fässer mit giftigen Chemikalien, 80 Prozent davon ausgeronnen, wurden kürzlich in einer ehemaligen Schottergrube gefunden. Was wird aus dem Grundwasservorkommen im Wiener Becken?

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Einige Kilometer nördlich von Wiener Neustadt, neben There-sienfeld, zwischen Feldern und den für das Steinfeld typischen kleinen Wäldern mit eng stehenden, niedrigen Föhren wird eine Schottergrube ausgehoben. Eigentlich nichts Ungewöhnliches in dieser Gegend. Aber nicht nach Baumaterialien wird dort gesucht, sondern nach chemischen Zeitbomben, nach Fässern mit Chemikalien, die vor vielen Jahren in größter Gedankenlosigkeit dort versenkt worden sind.

Ein Blick in die Grube macht es klar: Hier wurden systematisch Abfälle gelagert, wie sich herausstellt zwischen 1967 und 1969. Und die Fässer sehen dementsprechend aus: verrostet, manche geplatzt, manche aber auch noch halbwegs intakt. Das Erdreich rundherum ist teilweise von der Einwirkung der Chemikalien verfärbt. Sorgfältig werden die Fässer herausgehoben, ihr Inhalt in neue Fässer umgefüllt. Der Inhalt der Fässer spielt alle Farben—und stinkt abscheulich. Ein paar Spritzer treffen mich. Sie lassen sich erst mit Alkohol entfernen.

Bei Grundwasseruntersuchungen in der Umgebung war man auf die hohe Giftbelastung aufmerksam geworden. In Haschendorf, einem Nachbarort, mußten Brunnen gesperrt werden. Probebohrungen und ein Hinweis aus der Bevölkerung gestatten es, den Gefahrenherd einzugrenzen. Bohrungen rund um die erwähnte ehemalige Schottergrube verdichteten die Vermutung, daß von hier aus Chemikalien ins Grundwasser gelangten.

Heuer nach Pfingsten wurde daraufhin mit Grabungen begonnen: Schon nach drei Stunden tauchen die ersten Fässer auf. Es stellt sich bald heraus, daß allein die erste Grube (zwischen Betonfundamenten ehemaliger Barakken gibt es dort mehrere solcher Gruben) 60 Fässer birgt. Sie sind größtenteils durchgerostet.

Nächste Frage: Was war der Inhalt? Die Analyse gestaltet sich äußerst kompliziert. Nicht einmal die Niederösterreichische Umweltschutzanstalt kann die Zu raquo; sammensetzung des Gebräus bestimmen. Erst in der Lebensmittelversuchsanstalt wird das chemische Sammelsurium identifiziert.

Natürlich sind die schon mehrfach im Wiener Becken festgestellten Kohlenwasserstoffe dabei (über Kohlenwasserstoffe berichtete die FURCHE in Nr. 29/ 83). Darüberhinaus findet man aber zahllose Arten von Lösungsmitteln, vor allem Nitroverdün-nungen, vielfältige Lackrückstände, jedenfalls eine breite Palette gefährlicher Chemikalien.

Seither wurde in zwei angrenzenden Gruben weitergegraben. Jedes Mal dasselbe Bild: Verrostete Fässer, je nach Aggressivität des Inhalts schon leer oder noch voll. Insgesamt sind es schon bei 400. Und nur 20 Prozent davon sind voll. 64.000 Liter sind allein aus diesen drei Gruben ins Grundwasser gelangt.

Warum ich diese Einzelaktion so ausführlich darstelle? Weil sie uns auf ein Uberlebensproblem unserer Gesellschaft hinweist. Da ist zunächst die Tatsache, daß es allein im Neustädter Raum 150 Schottergruben gibt. Sie alle sind mögliche Gefahrenherde.

Sicher kann man nun voll Zorn die Frage stellen, wie die Unternehmen solche Wahnsinnstaten setzen konnten. Da war zweifellos viel Gedankenlosigkeit und Leichtsinn im Spiel, wahrscheinlich auch manches, wo bewußt gegen Vorschriften gehandelt wurde, wo Rücksichtslosigkeit am Werk war. Aber vielfach war einfach das allgemeine Bewußtsein schuld. In den sechziger Jahren zerbrach sich noch niemand über die Umwelt den Kopf. Und daher war es eben gängige Praxis in der chemischen Industrie, seine Abfälle zu vergraben. Alle chemischen Betrieb im Raum südlich von Wien hätten damals dasselbe getan, stellte dazu ein Unternehmer fest.

Daher ist die Schottergrube bei Theresienfeld sicher kein Einzelfall. Im Wiener Becken ruhen an vielen Orten verstreut die Reste von 30 Jahren Entsorgungs- und Vergrabungstätigkeit. Und sicher nicht nur im Wiener Becken! Schließlich gibt es ja noch gar nicht so lange ein Entsorgungssystem: Die Entsorgungsbetriebe Simmering (EBS) wurden 1972 gegründet.

Erste Schlußfolgerung: Es sieht so aus, als wäre der enorme Grundwasserstrom im Wiener Becken für die Zukunft nicht mehr als Trinkwasserquelle geeignet. Wahrscheinlich wurden somit auch die Investitionen für Wiens dritte Hochquellenwasserleitung umsonst getan. Derzeit werden etwa 300.000 Menschen aus diesem Grundwasser versorgt. Der für Grundwasserschutz im Bezirk Wiener Neustadt zuständige technische Sachverständige Wolfgang Huber meint dazu: „Damit ist das Grundwasservorkommen in der Mitterndorfer Senke für Trinkwasserzwecke eigentlich gestorben."

Ein zweites Problem: Die Vielfalt der Stoffe, die da in rostenden Fässern gelagert sind, ist so groß, daß es gar nicht möglich ist, das Grundwasser einwandfrei auf seine Güte zu testen. Nach welchem Gift sollte man jeweils suchen? Daraus ergibt sich eine weitere Schlußfolgerung: Vielleicht sollte man in Zukunft Trinkwasser überhaupt nicht mehr aus Grundwasser aus dem Nahbereich von Siedlungen entnehmen. Jedenfalls aber müßte bei Prüfungen die Palette der Stoffe, nach denen Trinkwasser zu untersuchen ist, stark erweitert werden.

Zuletzt noch ein Gedanke: Den derzeitigen Zustand zu beklagen, die Unternehmer zu beschimpfen, sind verständliche Reaktionen. Sie bringen aber nichts. Vor allem geht es darum, weiteren Schaden zu vermeiden. Daher bedarf es möglichst vieler Hinweise auf Or-• te, an denen weitere gefährliche Chemikalien gelagert sind.

Am besten informiert sind diesbezüglich sicher die Unternehmer, die Fässer oder ähnliches vergraben ließen. Ihre Hinweise wären von enormer Bedeutung. Sie sollten jedenfalls wissen, daß die Verjährungsfrist im Verwaltungsstrafrecht sechs Monate beträgt und daß die strafrechtlichen Bestimmungen, die sich auf Grundwasserverschmutzung beziehen, erst durch das neue Strafrecht eingeführt worden sind. Wolfgang Straub, für Wasserrechtsfragen bei der Neustädter Bezirkshauptmannschaft zuständig, meint, daß das Wissen um diese rechtliche Situation die Bereitschaft von Unternehmern, bei der Auffindung solcher Deponien mitzuwirken, erhöhen könnte.

Die Kosten der Bergung (bisher wurden weniger als zwei Millionen Schilling benötigt) sind jedenfalls weitaus geringer als die unabsehbaren Schäden, die die chemischen Zeitbomben notwendigerweise anrichten werden.

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