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Bestandaufnahme des Konservatismus

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23 Autoren, zumeist von Namen, beginnen in diesem Sammelband von 614 Seiten mit einer Bestandaufnahme des Konservaismus, nachdem der Progressismus der zu Ende gegangenen sechziger Jahre versucht hat, das konservative Prinzip bis auf den Grund zu demolieren. Bemerkenswert ist, daß die meisten Autoren, insgesamt 13, aus dem heutigen oder aus dem alten Österreich stammen oder wenigstens eine Zeitlang an österreichischen Hochschulen gelehrt haben. Und noch bemerkenswerter ist die Tatsache, daß nur zwei dieser Autoren heute noch in Österreich ansässig sind. Auch für den Konservativen ist offenbar das geistige Klima unseres Landes ebenso wenig zuträglich, wie für die vielen anderen Österreicher, die den im Lande herrschenden Konservatismus anklagen möchten, ausgerechnet er hätte sie gezwungen, ihre Fähigkeiten außer Landes unter Beweis zu stellen.

Wilhelm Böhm konstatiert das Descrescendo des Konservativismus in seinem Heimatland und in der ÖVP, die von der politischen Linken oft in dem Sinn als „konservativ“ gekennzeichnet wird, den Herbert Wehner (Kommunist, seit 1946 Sozialdemokrat) der konservativen Politik unterstellt: Den Dingen ihren Lauf zu lassen. Der Entwicklung wie ein ^Sperrmühlsammler“ folgen. Die Blessierten und auf der Strecke Gebliebenen auflesen und — so weit es noch geht — sie zu verarzten versuchen. Dem entgegen hält Böhm dafür, Ansätze zu katholisch-konservativen Zielpunkten seien in der ÖVP ohne Erfolg geblieben; die Gegnerschaft zum Sozialismus sei weit weniger ausgeprägt, als es bei den Christlichsozialen der Fall gewesen sei. Die Partei möchte „progressive Mitte“ sein, vertrete also eher eine liberale Position. Es bleibt abzuwarten, ob diese Distanz zum konservativen Prinzip und den sich daraus ergebenden Positionen im Gelände des Politischen auch im künftigen neuen Grundsatzprogramm der ÖVP aufscheinen wird.

Unter den Zitaten auf dem Umschlag findet sich ein Wort des jetzigen Premierministers der britischen Konservativen Edward Heath: Konservative Politik heißt nichts anderes als Bestehendes vernünftig weiterentwickeln. Diese fatale Einengung des Blickwinkels läßt das Schöpferische in der Politik, das heißt: die Wagnis des Neuen, außer Anschlag, perenniert Methoden anstatt Ewigkeitswerte. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, was Salcia Landmann über den Konservatismus traditionsentfremdeter Juden schreibt: Karl Marx und in unserer Zeit Herbert Marcuse, die sich als Revolutionäre geben, produzieren eine Ersatzreligion nach uralten jüdischen Religionsvorstellungen. Mit dem untrüglichen Blick der mit österreichischen Verhältnissen vertrauten Jüdin erfaßt sie den unzerreißbaren Strang, der von den deutschnationalen „deutschen Juden“ der Monarchie zum religionsfernen Zionisten des Exburschenschafters Theodor Herzls und seiner heutigen Verwirklichung führt. Sie schließt mit dem Satz: Für ein Volk, das zur Ruhe kommen will, ist das Land Israel auch heute, genau wie vor Jahrtausenden, denkbar ungeeignet.

Nicht alle Autoren dieses Sammelbandes wird der Konservative als ausgesprochen konservativ werten. Eine erneute Selbstinterpretation des Konservatismus wird kontrapunktiert mit Analysen und Betrachtungen, wie sie sich aus dem Abstand zum konservativen Standpunkt ergeben.

Besonders wertvoll erscheint mir ein Hinweis Martin Puders (Jahrgang 1938, studierte bei W. Adorno, nachher Assistent in Berlin), der auf jenen „konservativen Einsatz“ Arnold Gehlens hinweist, mit dem dieser das heutige konservative Denken davon abhalten will, im Industriezeitalter in eine Exklave auszuweichen. Gehlen, der in Zusammenhalt mit Ergebnissen der Verhaltensforschung aufzeigt, daß Menschen auf die Dauer nichts gemeinsam tun können, ohne es nach Regeln zu tun; und daß solche Regeln gegenseitigen Verhaltens den Grundriß dauerhafter Einrichtungen, als Institutionen, ergeben, legt damit tatsächlich ein Fundament für Rekonstruktionen, die nach den zerstörenden Ereignissen der sechziger Jahre notwendig sind, um vor allem drei Begriffe tiefer und schärfer zu erfassen: Institution, Norm, Autorität.

REKONSTRUKTION DES KONSERVATIVISMUS, herausgegeben von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Verlag Rombach, Freiburg 1972, 614 Seiten.

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