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Besuch auf Duino

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Dieser Sommer schenkte mir die langersehnte Gelegenheit, von der Adriainsel Grado aus mit dem Bus über Monfalcone nach Duino zu fahren. Dieser kleine Ort, noch nicht so überlaufen wie die andern vielen Badeorte an der „blauen Adria“, liegt an der Höhe des adriatischen Meerbogens, zwischen Grado und Triest, und hätte wohl nicht den berühmten Klang, wenn sich nicht dort auf einem Felsenvorsprung das Schloß Duino erheben würde, in dem der Dichter Rainer Maria Rilke, der vor 100 Jahren geboren wurde, oft geweilt hat. Es ist die Geburtsstätte seiner größten Schöpfung, der „Duineser Elegien“.

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Dieser Sommer schenkte mir die langersehnte Gelegenheit, von der Adriainsel Grado aus mit dem Bus über Monfalcone nach Duino zu fahren. Dieser kleine Ort, noch nicht so überlaufen wie die andern vielen Badeorte an der „blauen Adria“, liegt an der Höhe des adriatischen Meerbogens, zwischen Grado und Triest, und hätte wohl nicht den berühmten Klang, wenn sich nicht dort auf einem Felsenvorsprung das Schloß Duino erheben würde, in dem der Dichter Rainer Maria Rilke, der vor 100 Jahren geboren wurde, oft geweilt hat. Es ist die Geburtsstätte seiner größten Schöpfung, der „Duineser Elegien“.

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Durch das sanft ansteigende Sträß-lein von Duino strebe ich dem Schloß zu und finde bald das mit mächtigen Holzflügeln verschlossene Eingangstor, über dem das Wappen des Fürstengeschlechtes Thum und Taxis aus Lautschin im Böhmerwald grüßt, von der geschlossenen Fürstenkrone überstrahlt. Es war schon lange meine stille Sehnsucht, diesen Ort dichterischer Inspiration erleben zu können — und damit den Dichter selbst, dem ich von jeher sehr zugetan bin.

Da stehe ich nun, endlich, aber das Tor ist verschlossen, ich spüre fast körperlich die große Stille dahinter, und ich weiß, daß dieses Schloß mit seinen weitausladenden Park- und Gartenanlagen keinem neugierigen Fremden eine Besichtigung gewährt. Ich aber suche einen andern Eingang, schreite spähend um die rechte Biegung, an einer offenstehenden Kapelle vorbei und entdecke eine! kleine vergitterte Pforte, an der ich läute. Bald kommt eine Frau aus dem Verwalterhaus zu mir her, und ich sage mein Begehren. „Chiuso! Nessuno eratra!“ Als ich aber, so gut es geht, mich der Frau verdolmetsche, daß ich den Engländer Barton, einen langjährigen Freund Rilkes und der Fürstin Thum und Taxis, gekannt habe — Barton hat mehrere Jahre in meiner Heimatstadt Feldkirch gelebt, und mir viel über Begegnungen mit Rilke und über Besuche in Lautschin und auf Duino erzählt —, da geht die Frau ins Haus zurück, um ihrem Mann meinen Wunsch zu sagen. Als sie mit lächelndem Gesicht wiederkehrt, weiß ich, daß mir aufgetan werden wird.

Die kleine Pforte öffnet sich, und ich schreite die breite, zypressenbestandene Auffahrt hinaus. Bald kommt der freundliche Verwalter nach und öffnet mir das große schmiedeeiserne Tor, hinter dem römische Heldenstatuen den Eingang ins Schloß umstehen, über dem das eingemeißelte Wort „SALVE“ empfängt. Und auch der Zugang in den Park, zu den Terrassen und Bastionen ist nun freigegeben.

*

Langsamen Schrittes eigne ich mir diesen Ort an. Stundenlang begehe ich die schmalen Wege, zuerst zu der Terrasse hinüber, die an die hohe, meerseitige Schloßmauer grenzt, von der eine kleine Treppe zu den Gemächern hinaufführt. Ich sehe oben den kleinen Balkon, der vor dem Zimmer, das Rilke stets bewohnte, den herrlichen Blick übers Meer schenkt, linker Hand bis nach Mira-mare und Triest, rechter Hand nach Grado. Tief unten die smaragdenen Wellen, die an der Steilküste und in den kleinen Felsenbuchten von langer Wanderung ausruhen. Auf einer der kleinen Felshalbinseln ragen die bizarren Reste eines alten Kastells, wo, wie man sagt, Dante einst geweilt habe. Segelboote, Falter des Meeres, schweben von Küste zu Küste. Hoch im luftigen Element die Freudenflüge der Turmschwalben, und überm Meer kreisen blinkende Möwen. Und dieses endlose Bild wird von einer uralten Stille erfüllt, die Geist und Körper unsäglich wohltut. Ein noch nie erfahrener Atem belebt den Betrachter und geht mit vielen Bildern und Gedanken, mit langem Schauen und Horchen in den Innenraum des Lebens und Erlebens hinein. O sanfte Verwandlung, nicht nur durch die kraftspendende Natur, sondern im Einklag mit dem Dasein eines Dichters, der zwar „irdisch“ schon lange tot, aber durch sein Werk in lebendigster Weise gegenwärtig ist: Rainer Maria Rilke.

Nun gehe ich die vielen verschlungenen, labyrinthischen Wege entlang, bald überdacht von Lauben, bald dem hohen Himmel preisgegeben, am Relief einer jungen Frau vorbei, vorbei an Blumenbeeten, leuchtend in vielfältigen Farben. Ich gehe über die Steinstufen, an Marmortischen und Marmorbänken vorbei, da stehen Steinlöwen, dort Steinfrüchte in Steinkörben, große Vasen, schmale und bauchige, unter südlichen Bäumen, durch die grüngeflltertes Licht rieselt. Blütenumwundene Rondelle, und immer wieder kleine, verborgene Ruheplätze. Da brennt wieder ein lose hingeworfenes Blumenbeet neben einer hohen blauen Blütenwinde. Auf kleinen Terrassen, unter Palmen und fremdländischen Gewächsen, grüßen immer wieder Skulpturen. Schaukelbänke laden zum Ausruhen ein. Unvermutet öffnet sich eine schmale, lange Zypressenallee, an deren Ende der Marmor einer Götterstatue leuchtet. Durchblicke zur Adria hinunter, dann wieder wird das Auge zurückgewendet zur Karstlandschaft im Rücken von Duino. Nicht nur die Füße spüren den Rhythmus dieser steigenden und sinkenden Pfade, die bis zum Meeresstrand hinunterführen, bis zum kleinen gemauerten Badehaus mit den gemütlichen Dachrundziegeln. Eine innere Wöge durchströmt den Wanderer, der nun seine Hand in die sanften, klargrünen, bis ins tiefe Violett hinüberglühenden Wellen taucht...

Welche Ausdehnung dieses vom Schloß bis zum Meer abfallenden Parkes und Gartens! Der Rückweg öffnet wiederum Einsichten in immer neugeformte Ruheplätze, Blütenformen und -färben. Dann stehe ich oben am gemauerten viereckigen Teich, in dem rote Seerosen ihr Leben verträumen, behütet von zwei Marmorputten, die in der Mitte des reglosen Wassers die Spiegelungen der Jahreszeiten belächeln, überlächeln. Nicht weit davon ein länglicher Sandstreifen für das Steinkugelspiel.

Ich suche mir eine Laube, setze mich an den Marrnortisch, dessen Platte von zwei Panthern getragen wird. Ich schließe die Augen — und ich höre den leisen Schritt Rilkes, der diese Wege oft gegangen ist, der auf Einladung der Fürstin Marie von Thum und Taxis im Jahre 1910 zum erstenmal hier geweilt hat, dann immer wieder, mit Freunden, Künstlern, Gelehrten, im vertrauten Kreise, in dem sich Rudolf Kassner und Barton befanden. Barton, ein „sehr kluger und gebildeter Mann, einst Gouverneur einer großen Kolonie im Stillen Ozean“, wie die Fürstin in ihrem Erinnerungsbuch schreibt Kassner, der große Dichter-Philosoph. Dort oben, im Roten Salon des Schlosses, hielten sie mit der Fürstin und mit ihrem ältesten Sohn Pascha okkulte Seancen ab, bei denen die „Planschette“, das dreieckige

Schreibzeug, überraschende Antworten niedergeschrieben hat.

Von Duino aus fuhr Rilke mit der Fürstin zu den Ausgrabungen im nahen Aquileia, nach Grado, nach Venedig, wo Rilke auch Eleonore Düse begegnet ist, nach Miramare und nach Triest. Und manchmal wurde das „Quartetto Triestino“ eingeladen, das in Mondscheinnächten auf der großen Terrasse Beethoven und Mozart spielte, so daß die Fischer, angelockt von der Musik, mit ihren Booten bis zum Schloß herfuhren und der Verzauberung lauschten, die übers nächtliche Meer kam.

*

Aber das Größte für den Dichter Rainer Maria Rilke ereignete sich Mitte Jänner 1912, als er allein das Schloß bewohnte, als er an einem Nachmittag, an dem der große Meerwind herrauschte, an dem die erregten Wogen an die Küsten donnerten, zu den Bastionen hinunterschritt und plötzlich die Stimme vernahm: „Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? Und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein.“ Diese Stimme war der Anfang zu seinem größten Werk, das sich wie eine Kuppel über Rilkes Dichtungen wölbt, zu den „Duineser Elegien“. Wenn dieses oder jenes aus Rilkes Schaffen vielleicht keinen Bestand haben wird, die „Duineser Elegien“ haben das Bleibende, sind eine dichterische Stiftung, die in die Zukunft hinein dauern wird.

Rilke gelang es, am selben Tag diese erste Elegie zu vollenden, den Satz am Schluß einfügend: ,Aber wir, die so große Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer oft seliger Fortschritt entspringt —: könnten wir sein ohne sie?“ Kurz darauf gelang ihm die zweite, die „Engel-Elegie“, und auch die Anfänge der andern acht, und er wußte ganz bestimmt, daß die zehnte Elegie, die beginnt: „Daß ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht, Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln“, die letzte sein mußte.

Als die Fürstin Ende April 1912 mit Rudolf Kassner nach Duino kam, las Rilke die beiden Elegien den begeisterten Zuhörern vor. Und nachher, als die Nacht eingebrochen war, sprach er noch jenes herrliche Gedicht, das den Atem des Meeres zu den Lauschenden hereintrug:

„Uraltes Wehn vom Meer,

Meerwind bei Nacht: du kommst zu keinem her, wenn einer wacht, so muß er sehn, wie er dich übersteht:

Uraltes Wehn vom Meer, welches weht nur wie für Urgestein, lauter Raum reißend von weit herein.

O wie fühlt dich ein treibender Feigenbaum oben im Mondschein.“

Es war eine besondere Weihestunde, die sich dem Gebenden wie den Empfangenden auftat.

In Duino schrieb Rilke auch das „Marienleben“, einen Gedichtzyklus, der von Paul Hindemith vertont wurde. Aber der Fortgang der Elegien blieb aus. Ungeheuer litt Rilke unter diesem schmerzlichen Versiegen des dichterischen Wortes. Bis zum Jahre 1922, . als im einsamen Turmhaus von Muzot im Rhönetal der große Sturm über ihn kam, und wo er am 11. Februar abends der Fürstin schreiben konnte:

„Endlich, Fürstin, endlich, der gesegnete, wie gesegnete Tag, da ich Ihnen den Abschluß — soweit ich sehe — der Elegien anzeigen kann: zehn! Von der letzten großen (zu dem, in Duino einst, begonnenen Anfang: ,Daß ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht...'): von dieser letzten, die ja auch, damals schon, gemeint war, die letzte zu sein — von dieser —, zittert mir noch die Hand! Eben, Samstag, den elften, um sechs Uhr abends, ist sie fertig! — Alles in ein paar Tagen, es war ein namenloser Sturm, ein Orkan, im Geist (wie damals auf Duino), alles was Faser in mir ist und Geweb, hal gekracht —, an Essen war nie zu denken, Gott weiß, wer mich genahn hat. Aber nun ist's. Ist. Amen. Ich habe also dazu hin überstanden durch alles hindurch. Durch alles Und das war's ja, was noth that. Nui dies. Eine hob ich Kassner zugeeignet. Das Ganze ist Ihrs! Fürstin, wii sollte nicht! Wird heißen: Die Duineser Elegien. Im Buch wird (dem ich kann Ihnen nicht geben, was Ihnen, seit Anfang, gehört hat) keim Widmung stehn, mein ich, sondern ,Aus dem Besitz der Fürstin Maru von Thum und Taxis-Hohenlohe.“

Wurde je eine herrlichere Zueignung in ein Buch geschrieben? Was für ein gültiges Werk diese Elegien darstellen, wird auch durch die ausgezeichnete Interpretation der zweiten, achten und neunten Elegie durcl

Romano Guardini bestätigt. In Muzot konnte Rilke nach Abschluß der Elegien noch das wunderbare Werk, die „Sonette an Orpheus“ schreiben, wo er — vielleicht schon die nahenden Schatten des Todes erspürend — an einer Stelle sagt:

Nur wer die Leier schon hob auch unter Schatten, darf das unendliche Lob ahnend erstatten.

Nur wer mit den Toten vom Mohn aß, von dem ihren, wird nicht den leisesten Ton wieder verlieren.

Mag auch die Spiegelung im Teich oft uns verschwimmen: Wisse das Bild.

Erst in dem Doppelbereich werden die Stimmen ewig und mild.

Am 29. Dezember 1926 starb Rainer Maria Rilke in den frühen Morgenstunden im Sanatorium in Val-mont.

*

Ich sitze noch immer am Marmortisch in der kühlen Laube. Die Stille ist mächtig, aber die Stimme Rilkes ist mächtiger. Ich blicke durch die kleine Zweiglücke zum Balkon hinauf, auf dem der Dichter wohl oft stand und übers Meer hinausblickte. Sehe ich nicht seine schmächtige Gestalt dort oben? Höre ich nicht seine leise, skandierende Stimme, die in hellen Nächten den Freunden das Wort schenkte? Höre ich nicht im magischen Nachhall jenes uralte. Rauschen vom Meer her, das ihm den Ursprung der „Duineser Elegien“ aus unbekannten Sphären hertrug? Ich höre seinen Schritt auf den weltfernen und doch so nahen Wegen dieses Parkes und erfühle das Wunderbare, das sich hier in den Elegien niederließ, jene Herabkunft des Wortes, jene Offenbarung, die ihm ein Engel in die Hände und ins Herz legte. Eine große Dankbarkeit vertraue ich der Stille an: dem Dichter gegenüber, der immer wieder in seinen Werken aufersteht, der schönen Fügung dieses Besuches auf Duino, den Sternstunden der Einblicke in Natur, Dichtung und Wesen eines Begnadeten. Und im Gesamten: Dankbarkeit der großen Ordnung des Schöpferischen gegenüber, die ihre Strahlkraft durch diese Nachmittagsstunden sendet und eine Beglückung schenkt, die nicht mehr verlorengehen kann.

Ich verlasse die Laube, strebe zum Schloß hinauf, zu jenem Teil des Besitztums, wo das Gäste- und Gesindehaus steht und ein kleines Kriegsmuseum untergebracht ist. Vorbei an der hohen, efeuumflammten Nordwand des Schlosses, durch gepflegte Anlagen, wo die zweihenkeligen großen Krüge in den Eisenhaltern ruhen, bis hin zur Steinbrüstung. Steil unter mir der Meeresstrand, drüben das Schloß mit den geschlossenen grünen Läden. Seine Besitzer kommen erst hierher, um den prächtigen Meerherbst zu genießen.

Im Ersten Weltkrieg wurde das Schloß von Grado aus beschosser und verwüstet, dann aber bald wieder aufgebaut. Ja, es birgt Bewahrung. Ein Refugium für Künstler!

Ich breche ein paar Lorbeerblätter ein paar blaue Blüten, die ich zi Hause in die „Duineser Elegien“ einlegen will. Ich gehe die Auffahrt zurück, verabschiede mich dankend be der Frau im Verwalterhaus und verlasse durch die kleine Gitterpfortt einen Flecken Erde, auf dem sich mii Kostbares gespiegelt hat. Und während ich nochmals den Blick zun Schloß zurückwende, erklingen mii die Schlußworte der achten Elegie:

Und wir: Zuschauer, immer, überall, dem allen zugewandt und nie hinaus!

Uns überfüllts. Wir ordnens. E: ' zerfällt.

Wir ordnens wieder und zerfaller ' selbst.

Wer hat uns also umgedreht, daf.

wir,

' was wir auch tun, in jener Hai ' tung sind

• von einem, welcher fortgeht? Wh er auf dem leeren Hügel, der ihm gan; : sein Tal noch einmal zeigt, sich wendet, an

hält, weilt —, so leben wir und nehmen imme l Abschied.

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