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Besuch bei Alexander Lernet-Holenia

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In einer alten Nummer der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ stieß ich auf einen Artikel Alexander Lernet-Holenias über Wien unter dem Titel „Es war nie eine Weltstadt“. Das gab sogleich eine Assoziation. Vor einigen Jahren fuhr ich mit der Gattin des Dichters und zwei nervösen Rassehunden im „Erzherzog Johann“ ins Salzkammergut, und schon damals hatte sie mich freundlich aufgefordert, den Dichter in ihrer Wohnung in der Hofburg bei meinem nächsten Wiener Aufenthalt aufzusuchen. Irgendwie kam es aber nicht dazu, so daß erst der streitbare Artikel dieses „letzten Österreichers“ mit seinem kräftigen Raunzen, die Lust in mir erweckte, das Versäumte nachzuholen.

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In einer alten Nummer der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ stieß ich auf einen Artikel Alexander Lernet-Holenias über Wien unter dem Titel „Es war nie eine Weltstadt“. Das gab sogleich eine Assoziation. Vor einigen Jahren fuhr ich mit der Gattin des Dichters und zwei nervösen Rassehunden im „Erzherzog Johann“ ins Salzkammergut, und schon damals hatte sie mich freundlich aufgefordert, den Dichter in ihrer Wohnung in der Hofburg bei meinem nächsten Wiener Aufenthalt aufzusuchen. Irgendwie kam es aber nicht dazu, so daß erst der streitbare Artikel dieses „letzten Österreichers“ mit seinem kräftigen Raunzen, die Lust in mir erweckte, das Versäumte nachzuholen.

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Als Literaturhistoriker, der sich vorwiegend mit Wiener Literatur der Jahrhundertwende beschäftigt, war mir sein Werk nicht unbekannt. Seine Anfänge waren irgendwo in der Gefolgschaft Rilkes, es gibt da ein Briefgespräch mit der Fürstin Thum und Taxis, in dem sie Rilke auf das Erstlingswerk des jungen Dichters „Canzonnair“ im Jahre 1923 aufmerksam machte. Auch zu Hofmannsthal mochte er flüchtige Beziehungen gehabt haben, ohne nun zu seiner unmittelbaren Gefolgschaft, wie der vor kurzem verstorbene Max Meli oder Felix Braun, zu gehören. Überhaupt war Lernet-Holenia immer höchst unabhängig im Denken und Urteilen. Ich erinnerte mich als junger Student das „Abenteuer eines jungen Herrn in Polen“ gelesen zu haben und schon vorher die schöne warm empfundene Szene einer Totenfeier für Rilke. Aber damit brachen zunächst meine direkten Erinnerungen ab. So kam ich mit etwas schlechtem Gewissen zu diesem Besuch, der sich überaus charmant gestaltete.

Zur verabredeten Stunde fand ich mich also im Neubau der Hofburg ein, ging über die Batthyänny-Stiege, am Theaterwissenschaftlichen Institut vorbei und fand die unbezeich-nete Tür. Auf mein Klingeln wurde sogleich durch lebhaftes Gebell der Rassehunde klar, das ich die richtige Tür gefunden hatte. Der Dichter empfing mich in einem weinroten Schlafrock; hochgewachsen und schlank, durch lange Jahre im Offiziersstand gut gehalten, sieht man ihm seine 75 Jahre nicht an. Auch seine Gattin war zugegen und begrüßte mich freundlich. Er öffnete alsbald seinen Likörschrank und bot mir einen guten alten amerikanischen Whisky an, den ich nicht ablehnte.

Das Gespräch — wie sollte es auch bei einem Literaturhistoriker anders sein — kam bald auf seine Anfänge, auf Rilke, dem er sich schon als junger Mensch genähert hatte. Eines seiner ersten Bücher ist sogar mit Alexander Maria Lernet als Autor gezeichnet, von dem er aber dann sehr bald eine freundliche Distanz gewann.

Alexander Lernet-Holenia kommt vermutlich aus altbelgisch-französischem Adelsgeschlecht, seine Vorfahren sind nach Österreich eingewandert und haben geholfen, Wien von den Türken zu befreien. Aber er selbst nimmt das ganze Adelsproblem als echter Aristokrat mit einem leisen Anflug von Ironie. Er hat es einmal in einem seiner Romane, „Die vertauschten Briefe“, ironisiert, und zeigt überhaupt in diesen Dingen eine Haltung, die an die Fontanes erinnert. Das Interessante ist, daß Rilke nur den Wunschtraum des Adels hatte, seinen Cornett erst erfinden mußte, während Lernet-Holenia als junger Offizier und Fahnenjunker diese Dinge wirklich erlebte und zu gestalten wußte, wie aus seinem meisterhaften Roman „Die Standarte“, der auch unter dem Titel „Leben für Maria Isabella“, zu sehen ist. — So wirft sein Held in der Standarte schließlich nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches das von ihm gerettete Standartentuch in den Scheiterhaufen der anderen Fahnen, um es nicht in die Hände der Feinde als Beute fallen zu lassen.

Er spricht von seiner „militärischen Laufbahn“', an sich hat er es nie höher als bis zum Oberleutnant gebracht, schließlich war er ja ein Dichter und hatte keinen Ehrgeiz, eine große militärische Karriere zu machen. Aber als Offizier, als Kavallerist, erlebte er den ganzen ersten Weltkrieg und sogar noch einen Teil des zweiten. Und alle seine Gestalten, die aus dem kleineren Adel und dem Militärstand kommen, haben echtes, wahrhaftes Leben. Dabei ist er nie „Militarist“ gewesen, sondern sieht das ganze Kriegsspiel von einer höheren Warte, aus einer fast olympischen Distanz an.

Sein erster literarischer Durchbruch erfolgte in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, nachdem er sich von der lyrischen Produktion in der Gefolgschaft Rilkes gelöst hatte und als Romancier das eigene Leben und den eigenen Stand darstellen konnte. Aber er wandte sich auch bald dem Theater zu und hatte hier große Erfolge mit seinen Lustspielen wie „Oüapotrida“, für das er 1926 sogar den Kleist-Preis erhielt, oder mit der reizvollen „Spanischen Komödie“, Reinhardt inszenierte seine Stücke, und dann wiederum gab er es auf und kehrte zur Romanproduktion zurück.

Das hübsche neue Buch: „Die Geschichte S. Fischers und seines Verlages“, das Peter de Mendelssohn mit viel Fleiß und Geschick zusammengetragen hat, weist auf Lernet-Holenia als einen Quasi-Retter in der Not hin, der in der kritischen Zeit dem Verlag half, seine österreichische Produktion aufrechtzuerhalten. Allerdings war Lernet Hole-nia schon seit etwa 1927, kurz nach dem „Jungen Herrn in Polen“ ständiger Autor des Fischer-Verlages, nun zählt sein Name in bedrängter Zeit doppelt, zumal er seinem Verleger die Treue hielt, solange es irgend ging. Auch hatte er die Ehre, mit seinem Buch „Mars im Widder“ — noch 1939 verbrannt zu werden, lange nachdem die Autodafes des Herrn Goebbels stattgefunden hatten. Allerdings gab es für ihn in Österreich ja bis 1938 noch größere Freiheit, aber wie viele hatten sich schon rechtzeitig angebiedert, die einst Freunde Hofmannsthals und Beer-Hofmanns waren.

Lernet-Holenia ist ein brillanter Erzähler, einer, dem das Schreiben leicht fällt, der eine Fülle von blitzenden Einfällen hat und in allen Sätteln, vom Liebes- bis zum Abenteuerroman, vom Kriminalroman bis zu fast parapsychologischen Phantasien seinen Stoffen gerecht wird.

Auch er gehört zum Bild des „letzten Österreichers“ in der Literatur, auch er ist ein Erbe der Vielfalt des • zerbrechenden Habsburgerreiches, das er ja nur in seinen wichtigen ersten 20 Jahren noch voll erlebt. Und er gibt hier eine interessante Parallele — und doch wieder einen diametralen Gegensatz zum fast gleichaltrigen Joseph Roth. Lernet ist „altes Österreich“, ganz und gar naiv; was er gestaltet, mag es in Galizien oder in Kärnten, in Niederösterreich oder in Böhmen lokalisiert sein, es sind immer altösterreichische Menschen, die darin leben. Aber er lebt auch in historischen Zeiten gern, besonders in Übergangszeiten, sein „Herr von Paris“, jene Meisternovelle aus der Zeit der französischen Revolution, zeigt das vor allem. Seine Frauengestalten sind zart und reizvoll, aber doch voll wuiue uiiu, wenn es sein uiuu, auui voller Ablehnung der männlichen Aggression.

Die Zeitgeschichte dringt,in seine Romane und vermischt sich mit historischer Tradition zu einer großartigen Synthese wie im „Grafen Luna“, jener Zwangsvision des einsamen polnischen Adeligen, der den Tod in den Katakomben Roms sucht und findet, oder in der phantastischen „Auferstehung des Maltra-vers“, der zum Agenten, zum Manager eines Supergigolo wird, nachdem er ein zweites Leben nach seinem Scheintod führt.

*

Man hat Lernet-Holenia mit vielen Auszeichnungen und Ämtern geehrt, er ist heute der Präsident des österreichischen Pen-Clubs, doch bleibt er stets ein eigenwilliger Einzelgänger, dessen besondere Freude es ist, nach dem alten französischen Wort des „epatez le bourgeois“ zu leben: immer das Unvorhergesehene, oft das Politisch-Unbequeme zu tun oder zu sagen und seine Freunde in tödliche Verlegenheit zu bringen, wie etwa in dem obengenannten Feuilleton, in dem er Wien und den Wienern „die Wahrheit“ sagt...

So verlief mein erster Besuch im Fluge und ich wurde aufgefordert noch einmal wiederzukommen, was ich gerne tat. Ich brachte ihm etwas von meinen eigenen Arbeiten mit, die Neuausgabe des zarten Jugendromans Leopold Andrians, den „Garten der Erkenntnis“, um ihm einmal diese Gastelt des jungen

Wien, jenen frühvollendeten und allzubald verstummten Dichter nahezubringen. Er kannte natürlich Andrians Freund Robert Michel, gleichfalls einen alten Offizier und Romancier, gut, und war mit ihm viele Jahre lang befreundet. Irgendwie standen sie alle in der Gefolgschaft Ferdinand von Saars, der auch die Verbindung zu Jung-Wien herstellte.

Als er hörte, daß ich ins Wallis ginge, bat er mich, seinen Freund Carl Zuckmayer zu grüßen, was nicht ganz einfach war, da letzterei von einer überaus sorgsamen Gattir betreut wird, die — genau wie voi Jahren Thomas Manns Frau Katjs — versucht, jede Störung von ihrenr Mann fernzuhalten.

Seit meinen Besuchen hatte ich zunächst ein großes Schuldgefühl. Seit 40 Jahren, vorwiegend mit österreichischer Literatur beschäftigt, hatte ich einen wirklichen Dichter, der noch unter uns lebte, fast übersehen. Nun, ich versuchte diese Lücke zu füllen, und diesen Sommer las ich ein Lernet-Buch nach dem anderen, sie sind nicht immer leicht zu finden, da viele vergriffen sind, selbst in den Taschenbuchausgaben, aber die Antiquare in Wien und Zürich waren hilfreich, und so schreitet meine Entdeckung des „letzten österreichischen Dichters“ gut vorwärts und wird vielleicht einmal in einer größeren Arbeit ihren Niederschlag finden.

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