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Besuch bei Musil

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Robert Musil war kein zünftiger Herrenhofgast. Er erschien mit seiner Frau Martha nur sporadisch. Der Tisch von Ernst Schönwiese und Franz Blei war sein eigentliches Ziel, doch pflegte er oft auch die Polak-Runde zu besuchen, die ihn als distinguierten Ehrengast mit deutlich bekundetem Respekt aufnahm.

Musil war damals noch keineswegs berühmt, er galt unter Kennern als Geheimtip. Trotz starker, aber eben nur vorübergehender Beachtung seines Romans „Die

Verwirrungen des Zöglings Tör-leß” wurde sein Name in den zeitgenössischen Literaturgeschichten (Klabund 1929, Paul Fechter 1938) entweder gar nicht oder nur „mit einigem Abstand” von anderen österreichischen Autoren erwähnt.

Mit Verbitterung fühlte sich Musü von der Wiener Kritik unterschätzt oder bestenfalls in eine esoterische Ecke gedrängt. Er litt darunter, daß ihm von der maßgebenden konservativ-liberalen Presse die ihm gebührende Anerkennung versagt wurde.

Politische Intransigenz, kleinlicher Konkurrenzneid, mangelnde Fairneß verstießen ihn als Linksliberalen und als Mitarbeiter der von der tschechischen Regierung unterhaltenen Tageszeitung „Der Tag” ins mißachtete Außenseiter-tum. Sein auf Distanz bedachtes Verhalten wurde als Arroganz und überheblicher Stolz ausgelegt. Seine kritische Zurückhaltung wurde als störend empfunden.

Nur zu wenigen Zirkeln Wiens fühlte er sich zugehörig. Im obersten Stockwerk des Palais Dietrichstein am Minoritenplatz war sein geliebtes Refugium das Heim des Kunsthistorikers Dr. Bruno Fürst, wo sich Schriftsteller, Museumsfreunde und Journalisten trafen.

Zu den engeren Freunden des Hauses zählten Franz Blei, Alfred Polgar, Leonhard Frank, die Kunsthistoriker Dr. Ernst v. Garger, Dr. Ludwig Münz und der Architekt Max Feilerer.

Die gleiche Besetzung traf man in den Häusern der beiden Fabrikanten Hans Heller und Stefan Heller (Vater des „Poeten und Liedermachers” Andre Heller), bei Hans Heller um den politischen Journalisten und fanatischen Trotzkisten Willy (später William) Schlamm vermehrt. Die blendende Artistik seiner provozierenden Formulierungskunst ließ schon damals denkbar erscheinen, daß seine Gesinnung ins Gegenteil umkippen könnte, was nach dem Schock des Hitler-Stalin-Paktes tatsächlich geschah.

Damals schon und später immer wieder machte man sich im Freundeskreis Sorgen wegen der prekären materiellen Situation, in die Musil immer wieder geriet. Die Einkünfte aus seinen Büchern und Stücken, aus der Mitarbeit in Zeitungen und Zeitschriften, aus dem mitunter überstrapazierten Mäzenatentum seines Verlegers Rowohlt reichten nicht aus, um den von Frau Martha geführten bürgerlichen Haushalt zu finanzieren. Einige Male fanden sich Freunde zu gemeinsam organisierten Hilfsaktionen zusammen. Musil nahm solche Spenden in gelassener Haltung als selbstverständlichen Tribut entgegen.

Auch die Polak-Loge im Herrenhof mobilisierte einmal wohlhabende Freunde für ein solches Mäzenaten-Unternehmen. Musils Verlangen war damals auf eine für längere Zeit bemessene Dauerrente gerichtet, die ihm eine sorgenfreie Arbeit an seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften” ermöglichen sollte. Wir dachten an eine Monatsrente von vierhundert Schilling, die damals für einen Haushalt von zwei Personen ausgereicht hätte.

Mit viel Mühe hatten wir eine Summe von zweihundertachtzig Schilling zusammengebracht, die als Monatsrente für die Dauer eines Jahres garantiert war. Damit waren unsere Möglichkeiten erschöpft. Die Sammlung bestand aus den Einzelbeiträgen. Die Spender wollten nicht genannt werden.

Mit zwiespältigen Gefühlen be-'gab ich mich im Auftrag der Mäzene zu Musil. Er wohnte im 3. Bezirk, Rasumofskygasse 20. Ich weiß nicht mehr, wie viele Stockwerke hoch ich zu steigen hatte, doch erinnere ich mich deutlich an meine zaghafte Verlegenheit, als ich an der Türe läutete.

Martha Musil öffnete und geleitete mich durch mehrere Gemächer ins Arbeitszimmer.

Ein ungewöhnlicher Anblick.

Keine übliche Studierstube, sondern die großzügig angelegte Werkstätte eines nüchtern und behutsam disponierenden Geistes. Eine zweckhaft ordnende Hand hatte hier alles auf den gemäßen Platz gestellt. Auf der riesigen Fläche des langgestreckten, kaum überblickbaren Schreibtisches herrschte penibelste Ordnung.

Musil bat mich, Platz zu nehmen. In holprigen Sätzen gestand ich unseren Mißerfolg. Er möge verstehen, daß es in krisenhaften Zeiten schwierig, ja geradezu unmöglich sei, Gönner zu finden, die bereit waren, sich für einen längeren Zeitraum zur Gewährung einer Dauerrente zu verpflichten. Der Betrag, den wir dennoch zustande gebracht hätten, entspräche zwar nicht unseren Vorstellungen, läge jedoch höher als das Existerizrriinimum, und so hofften wir...

Da fiel mir Musil ins Wort: er bedaure, daß unsere Bemühungen vergeblich gewesen seien, er sei jedoch nicht bereit, einen Betrag zu akzeptieren, der einem Almosen gleichkäme.

Ich konnte meine Betroffenheit nicht verbergen. Musil verschanzte sich hinter seiner starren Ablehnung durch peinliches Schweigen, dann hinter dem Hinweis, daß auch seine Frau gegen die Annahme eines unzureichenden Betrages sei.

Dann sprachen wir aus Höflichkeit über einige Belanglosigkeiten, schließlich reichte er mir die Hand zum Abschied.

Die versammelte Polak-Loge hatte für Musils Verhalten wenig Verständnis.

Dagegen verlief eine später, im Jahre 1933, im Hause des Bankiers Dr. Alfred Ehrenfeld und seiner literarisch äußerst interessierten Gattin Stella unternommene Hilfsaktion so erfolgreich, daß die finanzielle Basis des Musilschen Haushaltes in den darauffolgenden Jahren, bis zu Musüs Emigration im Jahre 1938, als gesichert anzusehen war.

Leicht gekürzt aus den Memoiren des bedeutenden Wiener Publizisten, die unter dem Titel „Veruntreute Geschichte” demnächst im Paul Zsolnay Verlag, Wien, erscheinen.

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