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Betroffenheit, die für Umkehr öffnet

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Nachrichtensplitter aus dem Medienalltag: 1984 wurden weltweit 18 Billionen Schilling für Rüstung aufgewendet. Dabei lagert in den Rüstungsarsenalen ohnedies schon 5.000mal so viel Sprengkraft, wie im gesamten Zweiten Weltkrieg verschossen wurde.

Pro Jahr werden auf der Welt 30 bis 50 Millionen Kinder im Mutterleib getötet.

In Vorarlberg sind laut Erhebung von 1.000 Bäumen nur 65 gesund. Rund eine Million Pflanzen- und Tierarten sind bis zum Jahr 2000 vom Aussterben bedroht.

100.000 Tonnen Nahrungsmittel werfen die US-Amerikaner täglich weg, genug um Äthiopien zu ernähren. In Afrika hungern 30 Millionen Menschen. Ebenso viele sind in den Industrieländern arbeitslos. Die Länder der Dritten Welt haben einen Schuldenberg von 1.000 Milliarden Dollar angesammelt.

Die Montagszeitungen vom 24. Juni 1985 berichten:

• Absturz einer Air-India-Ma-schine über dem Atlantik, 325 Todesopfer. Vermutliche Ursache: eine an Bord versteckte Bombe.

• Schiitische Terroristen halten weiterhin US-Geiseln im Libanon fest.

• Ein jugoslawischer Grenzsoldat erschießt den über die Grenze nach Österreich flüchtenden Tschechen Vladimir Zidek.

• Ermordung live im japanischen Fernsehen: Kameraleute hatten das Haus von Kazuo Nagano — er sollte verhaftet werden — belagert. Statt der Polizei kamen zwei mit Messern bewaffnete Verbrecher, steigen ins Haus ein und ermorden Nagano. Die Reporter filmen — keiner hilft.

Schrecklich, wird sich jetzt so mancher denken, was für ein pessimistischer Beitrag zum Abschluß einer Artikelserie, die eigentlich Hoffnung wecken sollte. Von all dem können wir doch morgen sicher nicht leben. Wozu es dann wieder aufwärmen? Jeder hat doch schon genug von den Hiobsbotschaften!

Stimmt. Nur, warum reagieren wir so gelassen auf all die Schrecklichkeiten? Weil wir abstumpfen. Täglich melden uns Nachrichtensprecher mit monoton distanzierter Gleichgültigkeit die größten Greuel im selben Ton wie den Wetterbericht. Fünf Minuten später erklingt dann Falcos „Vienna calling“ - und die Welt ist wieder heil. Alles rinnt an uns ab. In kleinen und größeren Dosen werden wir gegen das drohende Unheil immunisiert. Es hat vielfältige Gesichter, aber ein tiefe Wurzel.

Wir sind in unserem Fortschrittsdenken geistig falsch ausgerichtet. John Maynard Keynes, ein Vordenker des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Krieg, hat das Konzept einmal mit verblüffender Offenheit gekennzeichnet:

„Noch mindestens weitere 100 Jahre müssen wir uns und den anderen sagen, daß ,foul' eigentlich ,fair' ist. Denn ,foul' ist nützlich, ,fair' aber unnütz. Geiz, Wucher und Mißtrauen müssen noch für eine kleine Weile unsere Götter sein. Denn nur sie können uns aus dem Tunnel wirtschaftlicher Notwendigkeit ins Licht führen.“

So gesehen erweisen sich die oben erwähnten Meldungen nicht als Pannen eines an sich lebenstauglichen Modells, sondern als Alarmsignal einer grundsätzlichen Fehlorientierung. Das gilt es, zur Kenntnis zu nehmen. Wer in die falsche Richtung fährt, muß umkehren.

„Sie sehen und sehen nicht, sie hören und hören nicht“, sagte Jesus von seinen Zeitgenossen. Für uns gilt genaugenommen dasselbe.

Wovon wir morgen leben werden? Vom Sehen, Hören - und Betroffensein. Wir werden von einer Betroffenheit leben, die uns nicht in die Resignation treibt, sondern Ansporn zur Umkehr ist, einer Betroffenheit, die uns nicht lähmt, sondern zum Handeln ermutigt.

Rein weltlich betrachtet klingt dies wie eine fromme Illusion. Was nützt meine Umkehr den Wäldern, dem Frieden zwischen den Großmächten? „Gehn Sz die Menschen ändert keiner, a Starker müßt' her, der schaffert Ordnung!“ So oder ähnlich laufen die Argumente, die den zynischen Fatalismus nähren, der unsere Zeit prägt. Denn jeder tut weiter wie bisher.

Wer aber zur Umkehr aufruft, erhofft sich alles gerade von der Änderung der Menschen. Umkehr fängt nicht bei Strukturen und politischen Systemen an - sondern bei dir und mir. Wer umkehrt, sucht nicht nach Lösungen für übermorgen und für das Nachbarland, sondern öffnet sich für seine heutigen Probleme und die seiner Mitmenschen. Er gibt so den Weg dafür frei, daß sich die Welt hier und heute ändert.

Von solcher Umkehr werden wir leben, von einer Abwendung von der Vorstellung, der Mensch sei allmächtig und Herr seines Schicksals und von einer Abkehr von der Illusion, Geiz und Mißtrauen seien Wege ins „Licht“.

Läßt sich ebenso klar die Richtung der Zuwendung erkennen? Unsere Resignation beruht doch zum großen Teil auf dem übermenschlichen Maß der Probleme, auf ihrer Unüberschaubarkeit und Allgegenwart. Wäre es da nicht sogar rational, sich in die Arme dessen zu werfen, der diese Welt geschaffen hat und der auch Lösungen für unsere Tage weiß? Sein Geist wird uns leiten, wird uns aus der Defensive ängstlichen Bewahrens auf neue Wege führen. Von dieser Umkehr und Öffnung werden wir leben im Vertrauen auf die Zusage, er sei „bei uns alle Tage bis zum Ende der Welt“.

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