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Betten von den Sowjets

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Die Prager Märkte waren zu Weihnachten 1975 und zum Neujahr 1976 zweifellos besser mit Konsumgütern beschickt als in den vorangegangenen Jahren. Aber bevor die Bewohner der Hauptstadt noch richtig zu sich kamen, hatten Heuschreckenschwärme von Provinzlern die Regale bereits geleert.

Der Marktschreier der Partei, die „Rüde Prävo“, warf unkontrollierbare Propagandaslogans in die Massen: angeblich um 250 Prozent mehr Fleisch sei gegen Ende Dezember 1975 auf den Markt geworfen worden als im Vorjahr.

Die Versorgung mit Industrieprodukten war zweifellos besser als im Jahre 1974. Mehr Kühlschränke, mehr Stereoanlagen, Plattenspieler, TV- und Radiogeräte, mehr elektrische Rasierapparate, Bügeleisen und dergleichen wurden angeboten. Die einheimische Produktion hätte nicht Schritt halten können, deswegen wurden Sonderimporte bewilligt. Dies bezog sich auch auf verschiedene Textilien. Um die Dezembermitte wurde eine halbe Million Paar Schuhe von der Exportliste gestrichen, damit die Bevölkerung zu Weihnachten eine bessere Auswahl habe.

Trotz dieser Bemühung, die Bevölkerung auf dem Umweg über den Magen zu beruhigen, gab es immer noch Mangelwaren. Unerfreulich war es für viele Werktätige, daß sie ihren Wunsch nach Schweinefleisch nicht befriedigen konnten, obwohl davon angeblich um 50 Prozent mehr vor Weihnachten offeriert worden waren als 1974. Nicht alle Konsumenten ließen sich mit Krapfen und Gemüse, vor allem mit dem Knoblauch und der Petersilie vertrösten, von denen Berge auf den Märkten gestapelt waren.

Als „kapitalistische Leckerbissen“ auf der Gourmetliste galten Biskuits aus Österreich, alkoholfreie Getränke aus Dänemark, Senf aus Frankreich und Käse aus der Schweiz. Einheimische Vollmilch war hingegen nicht in genügenden Mengen vorhanden. Sogar Wein konnte nicht immer und überall in ausreichenden Mengen, geschweige denn in besserer Qualität angeboten werden. In letzter Minute versuchte man mit Sonderimporten aus Spanien und Italien Abhilfe zu schaffen.

Schwarzweiß-Fernsehapparate wurden nach längerer Pause wieder aus Ungarn eingeführt, und auch die inländischen Produzenten lieferten so gut sie konnten. Die Versprechungen in bezug auf mehr Farbfernsehapparate aus einheimischer Produktion, auf Kinderwagen und Kleiderzubehör, blieben unerfüllt. Außerdem litt der Markt unter dem chronischen Mangel an elektrischen Waschmaschinen, Nähmaschinen und zusammenklappbaren Fahrrädern.

Für bessere Nachtruhe sorgte die Sowjetunion. Nicht damit etwa, daß sie einige ihrer Divisionen hinter die Karpaten verlegt hätte, sondern durch die Lieferung von angeblich 2700 Möbelstücken für Schlafzimmer. Die Möbelauswahl blieb dennoch miserabel volksdemokratisch, nämlich auf proletarischem Vorkriegsniveau.

Modische Bekleidung war ebenfalls rar. Unverständlich blieb außerdem, warum es in der Heimat der Batä-Schuhmassenproduktion immer noch nicht genug Kinderschuhe und elegante Damenschuhe gibt. Bis Ende 1976 soll das angeblich besser werden. Das Märchen von neuen „Management- und Marketingsystemen“, das inzwischen als Trost verbreitet wurde, ist dazu angetan, die Konsumenten eher zu verärgern, als zu beruhigen.

In der Slowakei wurde das Fleischangebot um 10 Prozent gegenüber 1974 erhöht. Um 57 Tonnen mehr Süßwasserfische, insgesamt 960 Tonnen, wurden angeblich in der Slowakei angeboten, da der Import von tiefgefrorenen Seefischen ins Wasser gefallen war. Die Belieferung mit Industrieprodukten, vor allem mit Schuhen und Möbeln, war wesentlich schlechter als in Böhmen und Mähren. Es fehlten elektrische Waschmaschinen, weil deren Produktion wegen der Einführung eines neuen Modells gebremst worden war. Tonbandgeräte und Fahrräder waren ebenfalls Mangelwaren. Unangenehmer noch macht sich der ständige Mangel an Männerhemden und Pyjamas bemerkbar, der trotz größerer Einfuhren bisher nicht behoben werden konnte.

Um den Schein zu wahren, wurden Prag und die größeren Städte bevorzugt beliefert. Dennoch blieben zahlreiche Massenprodukte, die in westlichen Ländern auch für die Kleinstverdiener alltägliche Selbstverständlichkeiten sind, ein unerreichbarer Luxus.

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