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Bevor die Panzer sprachen

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Die Rote Armee hat in Litauen ein Blutbad angerichtet. 14 Tote und 164 Verletzte ist die offizielle Bilanz. 26 Menschen sind noch in Lebensgefahr.

Die Krise zeichnete sich schon vergangene Woche ab. Zunächst trat Ministerpräsidentin Kazimiera Prunskiene am 8. Jänner nach einem Gespräch mit Gorbatschow zurück, Offizieller Grund, für den Vertrauensentzug durch das Parlament waren die Demonstrationen infolge von Preiserhöhungen. Es gibt Gerüchte, Prunskiene wäre bereit gewesen, Gorbatschows neuen Unionsvertrag zu unterschreiben. Von Gorbatschow bekam die Ministerpräsidentin a.D. zu hören: „Schaffen Sie Ordnung, damit ich das nicht in die Hand nehmen muß!" Diese Aussage zeigt, warum ein Militärputsch nach südamerikanischem Muster in der UdSSR nicht nötig ist und keine Tradition hat:

Nachdem Gorbatschow am 8. Jänner Litauen in einem scharfen Ultimatum aufgefordert hatte, „in vollem Umfang die Gültigkeit der sowjetischen Verfassung wiederherzustellen", kamen die Fallschirmjäger mit der Aufgabe, sowjetischen Wehrpflichtgesetzen Geltung zu verschaffen. Diesbezüglich wurde eine Frist bis Montag, 14. Jänner, gesetzt. Präsident Vy-tautas Landsbergis ersuchte die

Regierungen „der demokratischen Länder und den Vatikan um politische Hilfe". Der Baltische Rat gab seiner Befürchtimg Ausdruck, daß die militärischen Aktionen zu einer Unterdrückung der Unabhängigkeitsbestrebungen der baltischen Republiken führen würden.

Am vergangenen Samstag faßte der neu geschaffene Föderationsrat unter Vorsitz Gorbatschows den Beschluß, eine hochrangige Delegation zu Verhandlungen nach Vilnius zu entsenden. Nicht einmal zwölf Stunden später begann das Massaker, als am Sonntag gegen zwei Uhr früh die sowjetischen Sondereinheiten zum Sturm des Fernsehgebäudes von Vilnius ansetzten. Manches deutet daraufhin, daß Litauens Parlament und Regierung die Strategie Moskaus zumindest teilweise vorhergesehen haben.

In einem Gesetz vom 1. Jänner wurde die KPdSU in Litauen verboten, da „diese Parteiorganisation von einem anderen Staat aus geführt wird". Mittlerweile hat sich diese Partei in ein „Komitee der Nationalen Rettung Litauens" verwandelt. Durch einen Putsch gegen die rechtmäßig und demokratisch gewählte Regierung Litauens sollte dieses Komitee „einstweilen" die Macht übernehmen.

Am Montag um ein Uhr früh gab

Präsident Landsbergis ein Stillhal-te-Abkommen mit dem sowjetischen Militärkommandanten bekannt. Seither herrscht in Vilnius gespannte Ruhe. Von besonderer Wichtigkeit ist die Erklärung, die die Präsidenten der baltischen Republiken und Boris Jelzin, der Präsident der Russischen Sowjetrepublik, unterzeichnet haben: Darin ist ein gegenseitiger Gewaltverzicht festgehalten.

Nachdem bereits Boris Jelzin und Innenminister Pugo erklärt hatten, Gorbatschow habe keinen Einsatzbefehl erteilt, hat Gorbatschow nach langem Schweigen erklärt, er sei erst im nachhinein vom Schießbefehl des Kommandanten von Vilnius informiert worden. Gegen diesen werde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Möglicherweise wird der Stadtkommandant von Vilnius als Schuldiger präsentiert werden.

Es ist aber so gut wie sicher, daß schon der Einsatz der Fallschirmspringer mit der Golfkrise - nach dem Kalkül von Militär und KGB -synchronisiert wurde. Die Sowjetunion ist auf dem Weg in die Diktatur. Noch ist unklar, wer der Diktator sein wird. Diese Einschätzung Ex-Außenministers Edward Schewardnadse hat beklemmende Aktualität.

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