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Über meinen Freund Vaclav Havel sagte dieser Tage der in Wien lebende Prager Schrift- steller Pavel Kohout, Havel habe immer versucht, „in der Wahrheit zu leben", jetzt müs- se er den Beweis liefern, daß es möglich sei, auch in der Wahr- heit zu regieren.

Kohout äußerte auch Beden- ken, ob die „sanfteRevolution " im nun laufenden Wahlkampf ihre Sanftheit werde bewah- ren können.

Vaclav Havel ist der Typ des Anti-Politikers. Er meint, der Politiker müsse wie jeder nor- male, aufrichtige Mensch den- ken, und 1969 hat er in einem „Brief an Alexander Duböek folgendes geschrieben: „ Es gibt hin und wieder Augenblicke, in denen der Politiker wirkli- chen politischen Erfolg nur erringen kann, indem er das ganze verknüpfte Netz relati- vierender politischer Rück- sichten, Analysen und Kalku- lationen vergißt und sich ein- fach wie ein ehrenhafter Mensch benimmt." Dazu ge- hört auch, daß man „das Ge- wissen nicht irgendwo in das Badezimmer seiner Wohnung als bloß etwas Jntimes' ver- jagt, das niemanden etwas an- geht."

Havel, der Tor, hat entschei- dend dazu beigetragen, daß in seinem Land die Veränderung des Unveränderlichen erreicht wurde. Jetzt aber mehren sich kritische Stimmen, die fragen, ob der „Philosophen-König", ob Havel, der Held, auch ein guter Präsident sei. Das ame- rikanische Magazin „News- week " widmete ihm in seiner letzten Nummer eine Titelge- schichte in diesem Sinn.

Noch wird Havel nicht selbst attackiert, noch sind es seine Ratgeber, die angegriffen wer- den, aber die Ungeduld wächst. Im Mittelpunkt der Auseinan- dersetzung steht derzeit Innen- minister Richard Sacher. Dem Christdemokraten wird vorge- worfen, daß er die Geheimpo- lizei nicht in den Griff bekom- me. Der Präsident warnt immer vor einer Hexenjagd, aber Kritiker behaupten, daß die kommunistische Partei allzusehr mit Samthandschu- hen angefaßt werde. Und weil auch ein konkretes Wirt- schaftsprogramm noch immer fehlt, drohen die Leute des Bürgerforums, aus dem Havel kommt, mit Opposition.

In seiner Neujahrsansprache als Präsident hat Vaclav Havel den Tschechen und Slowaken versprochen, er werde weni- ger reden, dafür aber mehr arbeiten. Er hat auch gemeint, daß es bei den kommenden Wahlen nicht darum gehe, welche Partei oder welche Gruppe in diesen Wahlen sie- ge: „Jetzt geht es darum, daß - ohne Rücksicht auf ihr Partei- buch - die sittlich, bürgerlich, politisch und fachlich Besten von uns in ihnen siegen."

Havel, der Idealist, Havel, der Humanist und Moralist - auch er wird aber das entschei- dende politische Kriterium nicht ignorieren können: den Erfolg.

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