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Bewältigen sie die Krise ?

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Ein steigendes Interesse der Menschen an religiösen Fragen in weitestem Sinn und eine verstärkte Beschäftigung mit Fragen der Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin kennzeichneten diese 39. Evangelische Woche.

Dem Verhältnis von Religion und Wissenschaft war der letzte Vortragsabend am Freitag, 10. März, gewidmet, der mit einer Podiumsdiskussion abgeschlossen wurde. Vertreter der Kirchen und der Wirtschaft waren sich einig, daß die Kirchen einen Beitrag zur Lösung wirtschaftlicher, bevölkerungspolitischer und ökologischer Probleme leisten könnten und sollten.

Im nahezu vollbesetzten Auditorium maximum der Universität Wien hob der Generaldirektor der Creditanstalt, Hannes Androsch, als bemerkenswertes Phänomen an Calvin hervor, daß „zum ersten Mal eine Religion wirtschaftliche Tugenden festgehalten hat". Die Folge: Optimale Nutzung der Wissenschaft und Technik und ein Rahmen für einen sinnvollen Gebrauch. Heute seien zwar die technischen Möglichkeiten zur Lösung von Problemen vorhanden, aber der ethisch-moralische Rahmen für ihre Nutzung fehle weltweit, bedauerte Androsch. Der Soziologe Univ.-Prof. Dr. Erich Bodzenta trat für einen „neuen Gesellschaftsvertrag" ein. Man müsse erkennen, daß es Grenzen gebe und zwischen eigenen Wünschen und echten Bedürfnissen unterscheiden lernen.

Die wachsende Arbeiterbewegung sei eine säkulare Parallele zur Reformation, beide hätten ihre Wurzeln in der Empörung über herrschende Zustände. Diesen Vergleich brachte der Publizist Paul Blau an. Der Beitrag der Re-V ligionen zur Lösung der Probleme liege, nach Blau, in einer „Säkularisierung ihrer Ideen". Der Generalsekretär des Wirtschaftsbundes und Nationalrat Wolfgang Schüssel, sah den wichtigsten Beitrag der Religion für die Wirtschaft in der individuellehvEthik.

Der reformierte Theologe Kurt Lüthi nannte als das Beste an der Religion, daß sie einen kritischen, freien Menschentyp entstehen ließe. In einer Welt, in der nicht alles, was möglich sei, auch sinnvoll sei, und in der sich nicht selten auch Gutachter widersprächen; sei eine „Bewußtseinslage der Reife" notwendig. „Wir müssen es wagen, selber zu denken", forderte Lüthi und betonte dabei die Rolle der Phantasie und der Künstler.

Daß über und von Zwingli heute so wenig gesprochen würde, könnte daran liegen, daß sich Amtsträger aller Konfessionen von seiner unbefangenen, heiteren und offenen Art belästigt fühlten. Diese Theorie vertrat Gottfried Locher aus Bern in seinem Referat. Der profilierte Zwingli-Forscher, der aus Anlaß der 500. Wiederkehr des Geburtstages des Schweizer Reformators über dessen Bedeutung für Kirche und Gesellschaft sprach,wandte sich auch gegen die vielfach geäußerte Aussage, daß Zwingiis Reformation nicht ökumenisch ausgerichtet sei. Zwingli bewegte sich betont in den Traditionen der einen Kirche, stellte Locher fest, aber nicht durch eine bloße Übernahme, sondern in der lebendigen Aufnahme der Tradition im Hinblick auf die Nöte der Zeit.

Demokratisierung der Kirche sei kein sinnvolles Programm, denn die Kirche sei weder Demokratie noch Monarchie oder Aristokratie, sondern Christokratie, in ihr herrsche Jesus Christus allein. Mit diesen Sätzen beantwortete der Mainzer Kirchenhistoriker Gerhard May die Frage nach der Notwendigkeit und dem Sinn einer Demokratisierung der Kirche. Die Fragwürdigkeit demokratischer Modelle und Prozeduren in der Kirche zeigte May anhand der Entwicklung des deutschen Kirchenkampfes auf. Die nationalsozialistischen Christen hätten durch Wahlen in nahezu allen Landeskirchen die Mehrheit gewinnen können. „In dieser Situation ist den bekennenden Christen klar geworden, daß kirchliches Recht nicht neutral sein kann."

Der Präsident des Jugendgerichtshofes Wien, Udo Jesionek, sprach sich vehement gegen eine Trennung von Recht und Ethik aus: Die Ansicht, Recht und Ethik hätten nichts miteinander zu tun, sei eine der Wurzeln für viel Unheil, weil sie es Richtern ermögliche, wertfrei zu urteilen. Bei der Erstellung von Gesetzen sei die Mitverantwortung aller Bürger, gerade auch der Christen, notwendig.

Die Bergpredigt liefere kein Rezept für den politischen Tagesablauf, sei aber an Christen in der Öffentlichkeit gerichtet, die danach handeln müßten. Mit dieser Aussage beschrieb der evangelische Landesbischof Eduard Loh-se aus Hannover die Bedeutung des oft zitierten Abschnittes des Matthäusevangeliums für Christen' heute. In seinem Vortrag betonte Lohse, daß die Bergpredigt die Christen auffordere, nach ihr zu leben.

Der Autor ist Leiter des Presseamtes der Evangelischen Kirchen A. B. und H. B. in Osterreich.

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