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Bewahrte Identität

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Die Donau und die Salzach dürfen nur Schmalseiten des Innviertels säumen, der namengebende Inn aber ist ganz unser Fluß. Wir fragen ihn nicht, wo er sich vor uns herumgetrieben hat und wer ihn etwa noch beanspruchen mag: hier gehört er uns! Unser Inn! Er ist, wie wir gern sein möchten: stark, resch, flink und frisch! Und er läßt sich nichts gefallen. Schon der christlichen Taufe hat er sich nicht — wie die Salzach — gefügt, sondern er trägt noch immer seinen prähistorischen heidnischen Namen. Kurz und bündig: „Inn”. Noch kürzer, wenn ihn der Innviertler nennt: „I”! Kürzer geht’s nicht mehr.

Auch dem Zwang in ein geordnetes Bett — ein einziges! - hat er sich — wie mancher Innviertler Bauernbursch - lang widersetzt. Heute ist er brav gezähmt und zivilisiert, wie wir alle, und mit seiner Riesenkraft in unsere Wirtschaft eingespannt — und zieht — wie hunderttausend Pferde.

Die Kette der Innkraftwerke versorgt unser Land mit Energie — wie vorher die Bauernrösser. Auf unseren Höfen haben die Pferde immer eine besondere Rolle gespielt, die weit über ihre wirtschaftliche Notwendigkeit und Nützlichkeit hinausging. Sie dienten weithin der Freude und der Repräsentation, sie waren der Stolz des Bauern. Sie allein von den Tieren hatten ihren Einstand im Wohnhaus, unter einem Dach mit den Menschen. Heute erinnern nur noch Denkmäler auf den Plätzen der Innstädte beiderseits des Flusses an die Pferdeherrlichkeit jener Tage, da überall auf den Straßen und in den Äckern die schweren Noriker gingen.

Inzwischen sind wir längst ins Industriezeitalter eingetreten, und ein großer Teil der Bevölkerung arbeitet auch bei uns in den

Fabriken. Noch haben aber in diesem klassischen Bauernland viele Fabriksarbeiter ihre Bindung an bäuerliche Daseinsform und Denkweise nicht ganz verloren, sei es, weil sie als „Nebenerwerbslandwirte” sowieso nur halb zur Arbeiterschaft gehören, sei es auch nur deshalb, weil ihre ländliche Herkunft noch in ihnen nachklingt.

Eine bewundernswerte Seite an den Innviertlern bleibt mir ja immer ihre zweifache Fähigkeit und Kraft zu Dingen, die andernorts einander gewöhnlich ausschließen oder zum mindesten schmälern: Das Innviertel gehört in wirtschaftlichen Belangen von alters her zu den leistungsfähigsten und fortschrittlichsten Gebieten Österreichs, gleichzeitig aber hängen seine Bewohner fest und selbstbewußt an ihren überkommenen Lebensformen, so daß sich in dieser Landschaft, obwohl sie mitten im verkehrsreichen Alpenvorland und geradewegs zwischen Linz und München und an drei großen Flüssen liegt, eine gesunde eigenständige Volkskultur und einer der urwüchsigsten bayrisch-österreichischen Dialekte erhalten haben.

Der Innviertler Dialekt ist tatsächlich in mancher Hinsicht eine Besonderheit. Zunächst einmal hat er sich in dem allgemeinen Verfall der Mundarten, der in Wirklichkeit eine schleichende Modernisierung, das ist Angleichung an die Hochsprache oder einen „übergeordneten” Dialekt, ist, einen verhältnismäßig alten Zustand bewahrt. Sprache ist ja erst in zweiter Hinsicht ein Ver ständigungsmittel, sie ist vor allem ein Teil unserer Identität, wie unser Gesicht. Minderwertigkeitskomplexeerleichtern

Sprachveränderungen, Selbstbewußtsein wirkt spracherhaltend.

Zu dem altertümlichen Sprach- zustand kommt die Tatsache, daß sich der Innviertler Dialekt von den übrigen oberösterreichischen Mundarten deutlich und wesentlich unterscheidet — er ist erst seit zweihundert Jahren ein österreichischer! - und daher an den Bewegungen des Oberösterreichischen nicht so lebhaft teilnimmt. Seinen besonderen Adel aber erhält er durch Franz Stelzhamer, der — wohl ziemlich unbestritten — noch immer der einsame Meister unter den österreichischen Mundartdichtern ist. Sein Vorbild und der Anreiz durch ihn haben es si-

eher lieh bewirkt, daß das Inn viertel auch seither führende Dialektdichter gestellt hat.

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Ähnlich uneinheitlich wie die Landschaft ist aber auch die Mundart des Innviertels, so daß man beinahe nicht von einer den Innviertlem gemeinsamen Mundart sprechen kann. Kräftige Sprachgrenzen zerschneiden das Land in mehrere Teile, die ungefähr den politischen Bezirken entsprechen. Die altertümlichsten Sprachformen sind dem Schärdinger und dem Rieder Bezirk eigen, die südliche Hälfte des Bezirkes Braunau hingegen fällt durch fortschrittlichere Lautungen auf. Die nördliche Hälfte bildet Ubergangsformen zur Sprache von Ried und Schärding. Mehr zum Landl als zum Innvier- tel gehören in sprachlicher Hinsicht die Gegenden von Engelhartszell, St. Aegidi, Raab, Riedau und Traiskirchen.

Fehlender Mittelpunkt

Die Ursachen für die sprachliche Uneinheitlichkeit des Innviertels sind das Fehlen eines einigenden Mittelpunkts und das Vorhandensein starker Vorbildkräfte am Rand oder außerhalb. Vor allem muß man hier an Pas- sau und Salzburg denken. Diese Bischofssitze bildeten, zwei Magneten vergleichbar, die in wirr hingestreuten Eisenfeilspänen sichtbar ihre Kraftfelder abgrenzen, große Kreise um sich, in denen ihr kulturelles Vorbild galt. Und wohl hauptsächlich durch die Strahlkraft dieser beiden Städte wurde die zweifache kulturelle Blickrichtung des Innviertels und damit die sprachliche Zweiteilung verursacht.

Vorabdruck aus dem Werk „Das Innvier- tel - Oberösterreichs bayrisches Erbe”, das demnächst im Oberösterreichischen Landesverlag erscheint.

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