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Bewegung im Rüstungs-Poker

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Im (Ab-)Rüstungs-Poker zwischen Ost und West war zuletzt Sowjetpräsident Leonid Breschnew an der Reihe: Vergangene Woche kündigte er ein Mittelstrecken-Moratorium an.

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Im (Ab-)Rüstungs-Poker zwischen Ost und West war zuletzt Sowjetpräsident Leonid Breschnew an der Reihe: Vergangene Woche kündigte er ein Mittelstrecken-Moratorium an.

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Auf dem Kongreß der sowjetischen Gewerkschaften verkündete der Parteichef, die Sowjetunion werde alle auf osteuropäischem Gebiet stationierten SS-20 einseitig auf dem gegenwärtigen Stand einfrieren. Doch dem Vorschlag folgt die unterschwellige Drohung: Moratorium nur so lange, als es die NATO unterläßt, 572 JPershing-2" und Marschflugkörper dem Plan von 1979 gemäß in Westeuropa zu stationieren. In diesem Fall erwägt der Kreml „Vergeltungsschritte".

Das ist Breschnews verspätete Antwort auf US-Präsident Ronald Reagans Ende letzten Jahres vorgebrachte, ,Null-Lösung": Europa sollte diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs von Atomwaffen und ihren Abschußbasen freigefegt werden. Moskau entgegnete in derselben Charakteristik, mit welcher jetzt der sowjetische Entwurf vom Westen aus abgetan wird: pure Propaganda.

Am Status quo, der die östliche Macht auf unserem Kontinent außerordentlich begünstigt, läßt der Kreml nicht rütteln. Oder in der Sowjetrechnung: 6:1 Überlegenheit kann unter keinen Umständen einem Null-Gleichstand geopfert werden, was auf den Verzicht einer klaren sowjetischen Überlegenheit hinausläuft.

Die Sowjets haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt 300 mit jeweils drei Sprengköpfen versehene SS-20 im Einsatz. Im Angesicht dieser Zahl bewirkt Breschnews Geste, die ohnedies ausrangierten SS-4 und SS-5 nicht mehr zu ersetzen, bestenfalls ein müdes Lächeln.

Die modernste Bodenrakete der Sowjets ist äußerst beweglich, kann also in Windeseile vom asiatischen auf europäisches Territorium bewegt werden, abgesehen davon, daß sie mit einer Reichweite von 5500 Kilometern auch hinter dem Ural jede europäische Hauptstadt direkt bedroht.Was Breschnew allerdings mit den angekündigten Vergeltungsmaßnahmen meint, um die Vereinigten Staaten in eine der Sowjetunion „analogen Situation" zu setzen, darüber läßt er die Strategen in Brüssel und Washington raten:

Sowjetische Kernwaffen in Kuba, eine zweite Krise, nachdem die erste vor zwanzig Jahren die Welt an den Rand des Krieges gebracht hat? Oder Sowjetraketen in Zentralamerika oder auf U-Booten in unmittelbarer Reichweite der USA? Aller Voraussicht nach weder das eine noch das andere.

Vielmehr will er die USA in erneuten Zugzwang setzen. Washington zeigt keine Anzeichen, die verfahrenen SALT-Ge-spräche aus ihrer Ergebnislosigkeit herauszuführen, zumindest solange, als in Polen die Militärs bestimmen, wie Moskaus Befehle ausgeführt werden.

SALT oder dessen Substanz unter dem neuen Namen START (Strategie Arms Reduction Talks = Strategische Rüstungs-Ver-minderungs-Gespräche) liegt im Zentrum sowjetischer Politik und diplomatischem Schacher.

Moskau spekuliert ferner mit den Friedensbewegungen in verschiedenen europäischen Ländern, deren Aktionen abgeflaut sind, seit Reagan seine „zero Option" (Null-Option) vorgetragen hat: Sie ist Moskaus fünfte Kolonne im Lager der Gegner.

Einer von diesen, der Führer von Großbritanniens Labour-Partei, Michael Foot, pflegt an der Spitze solcher Protestmärsche zu gehen. Er verspricht, unilateral alle Kernwaffen von der Insel zu verbannen, sollte ihm beziehungsweise seiner Partei wieder die Macht zufallen.

Versprechen dieser Art liegen auf der Linie alter sowjetischer Feindseligkeiten gegen die NATO. Labour bekennt sich zwar weiterhin zum nordatlantischen Verteidigungsbündnis, allerdings ist jeder Enthusiasmus gewichen.

Die Partei ist vielmehr nach den Worten ihres Verteidigungs Sprechers John Silkin bestrebt, der Allianz ihren nuklearen Charakter zu nehmen. Mitgliedschaft ja.gleichwohl nur, wenn die Insel von Kernwaffen freigehalten wird.

Das Parteiprogramm könnte die langfristige Verteidigungs-. Strategie der Konservativen völlig über den Haufen werfen, mit welcher sich der Großteil der Bevölkerung ohnedies nur gezwungenermaßen abfindet. Der letzte Beschluß von Verteidigungsminister John Nott, die modernste Version der amerikanischen „Tri-dent"-Modell D5 - zu kaufen, ist in höchstem Masse umstritten.

Alle Oppositionsparteien finden sich in der Ablehnung von „Trident" überhaupt, auch des Modelles C4, zu dessen Kauf sich die Tories seit zwei Jahren verpflichtet haben.

Die Militärs opponieren, weil sie finanzielle Einbußen der Budgets für die konventionellen Waffengattungen befürchten, um außerordentlich hohen Kosten für „Trident-D5" aufzubringen. Der Anfang ist bereits gemacht: Die Zahl der Fregatten Und Zerstörer der atlantischen Flotte ist um ein Viertel gekürzt, der Stolz der Marine, der Flugzeugträger „Invinci-ble" an Australien verkauft

Doch John Nott ist überzeugt, mehr als wirksamen Ersatz gefunden zu haben: die modernste Abschreckungs-Waffe, mit 14 Sprengköpfen und einer Reichweite, die alle europäischen Städte der Sowjetunion einbezieht. Damit würde Großbritannien zur größten Nuklearmacht Westeuropas.

Allerdings liegen diese Pläne noch insofern in den Sternen, als sie erst Mitte der Neunziger jähre wirksam

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