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Bewegung in der Deutschlandpolitik

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Lange Zeit wurde in der Bundesrepublik die deutsche Teilung von der großen Mehrheit als irreversibel hingenommen. Doch in diesem Sommer ist die deutsche Frage in Zusammenhang mit dem bevorstehenden Besuch von DDR-Staatschef Erich Honecker wieder in Diskussion gekommen. Auch Österreichs Interessen sind berührt.

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Lange Zeit wurde in der Bundesrepublik die deutsche Teilung von der großen Mehrheit als irreversibel hingenommen. Doch in diesem Sommer ist die deutsche Frage in Zusammenhang mit dem bevorstehenden Besuch von DDR-Staatschef Erich Honecker wieder in Diskussion gekommen. Auch Österreichs Interessen sind berührt.

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Die deutschlandpolitische Szene ist in diesem Sommer wieder etwas in Bewegung gekommen. Zum einen hat der Pressekrieg innerhalb des Ostblockes um die bevorstehende Besuchsreise des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker im September in die Bundesrepublik selbst die ge-viftesten Kreml-Astrologen in Unruhe versetzt. Zum anderen hat Anfang August die Äußerung des SPD-Spitzenkandidaten für Berlin, Hans Apel, die deutsche Frage sei nicht mehr offen, nicht nur zur Füllung eines Sommerloches beigetragen.

Kann man den ostblockinternen Pressekrieg als innere Angelegenheit abtun, deren Hintergründe man letztlich nie ganz durchschauen wird können, so ist die Äußerung Apels für die Bundesrepublik noch schwergewichtiger; handelt es sich doch bei ihm um einen sonst besonnenen Re-

Präsentanten des rechten SPD-Flügels.

Die Äußerung Apels bekam auch deswegen Gewicht, weil sie von einem Kandidaten für das Amt des regierenden Bürgermeisters von Berlin und in dieser geteilten Stadt gemacht wurde, wo die Offenheit der deutschen Frage noch am deutlichsten zu spüren ist.

Aufs Tapet gekommen ist die deutsche Frage infolge der Friedensbewegung am Beginn der achtziger Jahre, die ein wiedervereintes neutrales Deutschland als mögliches Ziel für eine europäische Friedensordnung ins Auge gefaßt hat. Diese Variante hat vor allem beim westlichen Nachbarn der Bundesrepublik, Frankreich, gewisse Unruhe hervorgerufen und somit offenbar werden lassen, daß über eine Lösung der deutschen Frage — auch bei maximalen und unvorstellbaren Entgegenkommen der Sowjetunion — nicht einmal nachgedacht werden kann. Worin bestehen nun die Kernpunkte dieser auch Österreich eminent berührenden deutschen Frage?

Ausgangspunkt sind die Ereignisse des Jahres 1945 — die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches sowie die Konferenzen von Jalta und Potsdam — mit ihren Folgen:

• Die Vertreibung der sogenannten „Volksdeutschen" vornehmlich'aus den deutsch besiedelten Gebieten Böhmens, Mährens, Siebenbürgens, des Banats usw. Abgesehen von vermögensrechtlichen Fragen, ist eine Rücksiede-lung dieser Vertriebenen politisch weder denkbar noch durchsetzbar, auch wenn es für die Betroffenen bitter sein mag.

• Die Vertreibung der deutschen Bewohner aus den Gebieten des Deutschen Reiches östlich der Oder-Neiße (West- und Ostpreußen, Pommern und Schlesien). Diese Gruppe hat im Gegensatz zur ersten zumindestens völkerrechtlich einen besseren Status, weil ja mangels eines deutschen Friedensvertrages als rechtliche Fiktion immer noch das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 besteht.

Diese Fiktion ist jedoch durch die Ostverträge sowie durch die normative Kraft des Faktischen längst ins Unerreichbare gerückt.

• Letztlich reduzierte sich die deutsche Frage auf die Wiedervereinigung der Deutschen, die in

der Bundesrepublik und der DDR leben. Dieses Wiedervereinigungsgebot, in der Präambel des Bonner Grundgesetzes verankert, wurde in der Zeit der sozialliberalen Koalition auf die Sonntagsreden verwiesen.

Die Regierung Kohl/Genscher ging auf dem deutschlandpolitischen Felde wieder in die Offensive. Dazu gehören die Milliardenkredite sowie die damit zusammenhängenden Erleichterungen, die von der DDR gewährt wurden.

Die Erfolge auf diesem Gebiet anerkannte neidlos auch die SPD.

Erich Honecker hingegen konnte sich aus verschiedenen Gründen im Rahmen des sowjetischen Herrschaftssystems einen gewissen Spielraum schaffen, den man nicht über- aber auch nicht unterbewerten darf. Trotz alle dem und der von beiden Seiten zitierten deutschen Verantwortungsgemeinschaft darf man sich keinerlei Illusionen hingeben: Die Lösung der deutschen Frage steht, wie Helmut Kohl realistischerweise festgestellt hatte, nicht auf dem Tagesordnungspunkt der gegenwärtigen und auch mittelfristigen zukünftigen Weltpolitik.

Trotz der relativen Aussichtslosigkeit einer deutschen Wiedervereinigung ist es dennoch interessant, die begleitende Diskussion zu diesem Thema in der Bundesrepublik zu verfolgen, weil diese gerade für die nationale und staatliche Identität Österreichs von Wichtigkeit ist.

So hat erst jüngst Bundespräsident Richard von Weizsäcker anläßlich einer im Fernsehen übertragenen Publikumsdiskussion bei seinem offiziellen Antrittsbesuch in Bonn erklärt, daß es nur natürlich sei, daß alle jene, die dieselbe Sprache (Deutsch) sprechen, den Wunsch nach gemeinsamer Staatlichkeit besitzen, wohl-

gemerkt der feine Unterschied: Er sprach nicht von Deutschen, sondern von der gemeinsamen Sprache.

Der Redaktionsdirektor der angesehenen deutschen katholischen Wochenzeitung „Rheinischer Merkur", Alois Rummel, forderte am 17. August, daß die Bundesregierung in ihren diplomatischen Bemühungen, um die deutsche Frage auch Österreich und die Schweiz miteinbeziehen müsse. Und der kurzzeitige Chefredakteur des „Stern", Peter Schöll-Latour schrieb am 25. August, daß man Österreich mit einiger Berechtigung als dritten deutschen Staat bezeichnen könne.

Natürlich ist bekannt, daß die Deutschen die Identitätsfindung

Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg nur schwer zur Kenntnis nehmen, wofür ihnen kein Vorwurf zu machen ist. Denn noch immer wird in den verschiedenen Außenministerien, von Moskau bis zum Heiligen Stuhl, in der Regel Deutschland und Österreich von derselben Abteilung betreut.

Es wäre jedoch unklug anzunehmen, die wieder entflammte Diskussion um die deutsche Frage berühre Österreichs Interessen nicht. Auf die Gefahren eines wiedervereinten Deutschlands für die Eigenstaatlichkeit Österreichs wurde bereits hingewiesen („Wem nützt ein vereintes Deutschland", Die FURCHE Nr. 29/81). Jedoch auch das von der DDR forcierte Zwei-deutsche-Staaten-Modell berührt Österreichs Interessen. Nicht so sehr die staatliche Unabhängigkeit ist in Gefahr, sondern hier vor allem der nationale Identifikationsprozeß, wenn Österreich als dritter deutscher Staat bezeichnet wird.

Die tagespolitische Diskussion um die deutsche Frage hat auch eine geschichtsphilosophische Dimension, in die Österreich aufgrund seiner Vergangenheit auf jeden Fall involviert ist. Das Ziel eines wiedervereinigten Deutschland ist die Restaurierung des bis-marckschen kleindeutschen Modells, lediglich mit östlichen Gebietsverlusten.

Helmut Kohl betont immer wieder, daß Bonn die Hauptstadt der Bundesrepublik, Berlin jedoch die Hauptstadt der Deutschen sei. Mit welchem Recht wird Berlin eigentlich als Hauptstadt der Deutschen bezeichnet? Berlin war Residenz des preußischen Königs und Sitz der preußischen Behörden. Weil nun Preußen das Präsidium im Deutschen Reich 1871 bekam, wurde der Sitz der neuen „Machthaber", nämlich Berlin, Hauptstadt des Reiches, was es bis 1945 blieb.

Eigentlich hätte Wien eine viel längere Tradition als Hauptstadt der Deutschen, residierte doch dort über Jahrhunderte der römische Kaiser und der deutsche König, und hatte dort die Reichshofkanzlei ihren Sitz.

Bei der Lösung der deutschen Frage ist Phantasie notwendig. Es kann gerade aus der Erfahrung der Geschichte bezweifelt werden, ob letztlich eine mehr oder mindere Wiederauflage des Bismarck-Staates anstrebenswert ist. Der international bekannte Kölner Historiker Andreas Hill-gruber hatte bereits im September 1981 auf einem Symposion zur Deutschen Frage gesagt: „Die Möglichkeiten der Deutschen beschränkten sich in allen Epochen darauf, einen unvollendeten und unvollendbaren Nationalstaat zu erreichen."

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