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Beziehungen zum „zweiten Dämon"

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Schwierig und komplex sind die Beziehungen zwischen Moskau und Teheran; besonders wenn man sie durchs Prisma der islamischen Re- volution betrachtet. Es gibt Wider- sprüche, die aus dem Kampf zwi- schen Religion und Ideologie resul- tieren. Gibts etwas, das den Mullah von Qom (siehe Karte) mit dem Kreml verbindet?

Da ist zunächst einmal die 2.500 Kilometer gemeinsame Grenze. Zudem ist der Islam auch Religion der transkaukasischen Sowjetrepu- bliken, die entlang dieser Grenze liegen.

1979 wurde eine religionssoziolo- gische Studie veröffentlicht, die zeigt, daß in diesen Republiken weniger als 20 Prozent Atheisten sind. 80 Prozent halten sich für rei- ne Moslems, 15 Prozent davon sind Fanatiker. Zwei von zehn Usbeken beispielsweise sind Integristen. Die

Studie weist nach, daß neben der offiziellen religiösen Führung ein „paralleler Islam" existiert. Dieser ist gut strukturiert, fundamentali- stisch und xenophobisch. Er ähnelt den moslemischen Bruderschaften in den arabischen Ländern und lehnt sich an die Ideen der islamischen Revolution des Iran an.

Solche Daten erschreckten den Kreml; umso mehr, als sie mit dem ersten Jahr der Revolution der Aja- tollahs in Teheran zusammenfie- len.

Seit den vierziger Jahren hatte die Sowjetunion alle gegen den Schah gerichteten Bewegungen unterstützt; besonders die kommu- nistische Partei des Iran (Tudeh) und die demokratische Partei im iranischen Aserbeidschan (DPAI). Diese wollte vor 43 Jahren eine autonome Republik gründen, um sich dem großen Nachbarn anzu- schließen. Dieses Syndrom des „großen Aserbeidschan" beunruhigt bis heute die iranische Führung.

Zwei Politiker hatten für Moskau besondere Bedeutung. Der eine ist Geider Alijew aus einer schiitischen Familie des Iran. Er war Erster Sekretär der kommunistischen Partei Aserbeidschans und Vizepre- mier der UdSSR unter Juri Andro- pow. Alijew interessierte Andropow für den Iran schon zu einer Zeit, als dieser im Zentralkomitee für die Beziehungen zu den „Bruderpar- teien" in anderen Ländern zustän- dig war.

Anfang der fünfziger Jahre hat sich Moskau auchjfür einen Schah- Gegner interessiert, dessen Schick- sal damals noch niemand kannte: Ajatollah Khomeini, der als Flücht- ling im Irak lebte. Es war die Tudeh, die zuerst in Leipzig die Kampf- schriften des Imam gegen das Schahregime veröffentlichte. Da- mals reiste der spätere (1984) Par- lamentspräsident Ajatollah Khoei- nina oft von Najar nach Leipzig.

1974 stand mit Zustimmung Moskaus die persische Sektion von Radio Bagdad unter der Leitung von Khomeinis Sekretär Hodscha- toleslam Doai. Dieser leitete ab 1984 die große iranische Tageszeitung „ E ttelaat". Moskau kannte also sehr wohl die Bedeutung des schiitischen Klerus und wollte diesen für sich einnehmen.

Wenn die Sowjets den Islam in den sechziger Jahren für einen kommenden internationalen Fakor hielten - zu einem Zeitpunkt, als ihn der Westen noch gar nicht be- achtete - so waren ihre Analysen in den ersten drei Jahren der islami- schen Revolution (1979- 1982)doch sehr konfus. Die Revolution war für sie eine völkische, bourgeois-libe- rale oder national-demokratische, „islamisch" war für sie eine bloße Etikette. Erst als es Repressionen gegen linke Gruppen gab, alle lin- ken, liberalen und nichtreligiösen Zeitungen verboten wurden, kriti- sierte Moskau die Hegemonie des schiitischen,Klerus. Dieser - so hieß es - würde die Religion nur benüt- zen, um das Freiheitsstreben der Bevölkerung zu untergraben

Seit 1982 hat die Stabilisierung des Regimes in Teheran die Wach- samkeit Moskaus über die eigenen moslemischen Republiken größer werden lassen. Schon 1980 gab es in Aserbeidschan und in Turkmeni- stan offizielle Unmutsäußerungen. Man hat zwar den Iran nicht direkt angegriffen, aber ihn indirekt der Subversion bezichtigt.

Die Liquidierung der ältesten kommunistischen Partei im Vorde- ren Orient, Tudeh, und anderer nichtreligiöser Gruppierungen im Iran im Jahre 1983 fiel mit dem Auftauchen des ersten islamisch- fundamentalistischen Samisdat in Sowjetisch-Zentralasien zusam-men.

Moskau spürte den Wind aus Teheran. Die Ajatollahs strahlten jetzt ein Radioprogramm für die sowjetischen Moslems aus, Ton- bandaufzeichnungen dieser Sen- dungen zirkulierten genauso wie religiöse Publikationen in russischer

und lokaler Sprache.

Die turkmenische und tadschiki- sche Presse sprach vom Einschleu- sen iranischer Prediger und Agita- toren. Der Islam würde mehr Leute mobilisieren als die KP, die Sache der Intelligenz bourgeoiser oder aristokratischer Abstammung ge- blieben sei. Die sowjetischen Fun- damentalisten sagten: Wenn die Iranerden „großenDämon" (Chay- tan-e bozorg), Amerika, demütigen konnten, könnten sie auch den „zweiten Dämon" (Chaytan-e deom), die Sowjetunion, treffen

Während der Krise um Berg- Karabach 1988 tauchten Khomei- ni-Bilder auf, auch in Usbekistan skandierten Demonstranten mit der islamischen Flagge in der Hand: „Es lebe Khomeini!"

Ungeachtet dieser Fakten sind sich im Zuge von Glasnost Moskau und Teheran wieder nähergekom- men. Im Golfkrieg hat Moskau Libyen benützt, um seine Beziehun- gen mit dem Iran zu regeln, ohne seine Verbindungen mit dem Irak

zu beeinträchtigen. Für Moskau war die Sicherung von Grenzen immer wichtiger als die Ideologie.

Häufig hört man, daß es zwischen Religion und Ideologie ein gehei- mes Einverständnis gebe. Der Krieg in Afghanistan und die Ereignisse vom Jänner 1990 in Aserbeidschan drücken dieses Einverständnis in den Beziehungen der iranischen Mullahs mit den Sowjets aus.

Teheran hat den Widerstand der Mudschahedin nicht besonders unterstützt (die Afghanen sind zu 75 Prozent Sunniten) und spielte das Spiel Moskaus mit dem Ver- such, Schiiten und Sunniten zu spalten. Im Falle Aserbeidschans stellte Teheran auch staatliche In- teressen vor schiitische Solidarität. Iranische Führer riefen die sowjeti- schen Aseri auf, die Sicherheit der Grenzen zu bewahren und Bezie- hungen nur im gesetzlichen Rah- men zu knüpfen. Die iranische Tageszeitung „Ettelaat" meinte, der behauptete fundamentalistische Ursprung dieser Ereignisse sei nichts als westliche Propaganda.

Der Iran will nach dem Ende des Golfkrieges und dem Abzug der Russen aus Afghanistan die guten Beziehungen zu Moskau bewahren. Aus Moskau stammen 90 Prozent der Waffen des Irak. Heute ist man durchaus bereit, diesen „Segen" auch den Mullahs im Iran zukom- men zu lassen.

Teheran vermittelt dafür in Af- ghanistan und schürt den Islam in Zentralasien nicht an. Diese Annä- herung an den „zweiten Dämon" fand ihren spektakulären Höhe- punkt beim Besuch des iranischen Präsidenten Ajatollah Haschemi Raf sandschani in Moskau und Baku im Juni vergangenen Jahres. Im großen und ganzen muß man aner- kennen, daß - wie der sowjetische Außenamtssprecher Gennadi Ge- rassimow anläßlich des Besuchs des iranischen Vize-Außenministers Mahmoud Vaezi sagte - „sowohl Moskau als auch Teheran an gut- nachbarschaftlichen Beziehungen interessiert sind".

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