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Bhuttos Balkanisierung

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In Indien hat der Begeisterungstaumel über die Zertrümmerung Pakistans allmählich wieder dem Alltag Platz gemacht die in den Augen des überwältigenden Teiles des 550-Millionen-Volkes zur „Jeanne d'Arc Asiens“ verklärte Indira Gandhi peilt nun bei den Regionalwahlen im März die absolute Mehrheit ihrer Kongreßpartei auch in den Parlamenten der Gliedstaaten an, ein Ziel, das die „Kriegsgewinnerin“ mit ziemlicher Sicherheit erreichen dürfte.

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In Indien hat der Begeisterungstaumel über die Zertrümmerung Pakistans allmählich wieder dem Alltag Platz gemacht die in den Augen des überwältigenden Teiles des 550-Millionen-Volkes zur „Jeanne d'Arc Asiens“ verklärte Indira Gandhi peilt nun bei den Regionalwahlen im März die absolute Mehrheit ihrer Kongreßpartei auch in den Parlamenten der Gliedstaaten an, ein Ziel, das die „Kriegsgewinnerin“ mit ziemlicher Sicherheit erreichen dürfte.

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Nehrus Tochter genießt zur Zeit eine solche Popularität, wie sie weder ihrem legendären Namensvetter aus Porbandar noch ihrem Vater jemals zuteil geworden war. Doch auch nach Abklingen der Euphorie verblieb der gefährliche Wahn von der Rolle Indiens als sudasiatischer Führungsinacht in den Köpfen maßgeblicher Politiker hängen, liegt doch der letzte kräftige Dämpfer solchen Hegemoniestrebens schon ein ganzes Jahrzehnt zurück. Die Gefahr besteht weniger in dem Anwachsen chinesischer Truppenbewegungen im Himalaya, dessen Gebirgspässe erfahrungsgemäß im April wieder pas-

Karikatur: Haitzinger sierbar sein werden, viel eher jedoch in der beliebten politischen Taktik, die permanent mißliche wirtschaftliche Lage im Inneren durch spektakuläre militärische Erfolge übertünchen zu wollen.

In dieser „Politik der großen Worte“ wird Frau Gandhi allerdings noch von ihrem Gegenspieler und Pendant in Pakistan, Zuflikar Ali Buttho, übertroffen. Der redegewaltige Premier aus dem Industal, für den trotz seiner Flexibilität die „indischen Hunde“, wie er das Nachbarvolk vor sieben Jahren in der UNO-Generalversammlung zu nennen beliebte, Haßobjekt Nummer 1 darstellen, hat mit gravierenden innenpolitischen Schwierigkeiten zu ringen, nachdem durch die Kriegsschlappe jegliches Ventil nach außen verstopft ist. Der Harvard-Absolvent mit dem makellosen Englisch hat de facto die Macht im Staate erst mit dem Verlust jenes Krieges gewinnen können, den er die Monate zuvor eifrigst zu schüren geholfen hatte. Kenner seiner Person sagen Bhutto äußerst autokratische Ambitionen nach, wenn er auch die Worte „Demokratie und Sozialismus“ stets und geläufig über die Lippen bringt. In der Gunst des Volkes ist der Pegelstand seiner Beliebtheit im Sinken begriffen, dia die Erfüllung der utopischen Wahlversprechen naturgemäß nicht in absehbarer Zeit bewerkstelligt werden kann. Breit angelegte Nationalisierungsmaßnahmen und die teilweise Enteigung der 22 reichen Familien des Landes bilden angesichts der durch eine Reihe von Streiks verschärften ökonomischen Lage lediglich einen Tropfen auf den heißen Stein. Fast der ganze Februar stand im Zeichen von „Gheraos“ und auch einigen „Jalaos“, wie die Bezeichnungen für das Einsperren von Direktoren an ihren Arbeitsplätzen beziehungsweise das zusätzliche Demolieren der Firmeneinrichtung in Urdu lauten. Ausschlaggebend für die Ausbreitung der Streikwellen waren nicht nur das Ausbleiben der versprochenen höheren Mindestlöhne für die Industriearbeiter, sondern auch die Aufrechterhaltung des „Volkskriegsrechts“; unter Zuhilfenahme immer neuer Vorwände hat es Bhutto verstanden, die von der Opposition laufend geforderte Einberufung der Nationalversammlung hinauszuzögern. „Wir werden der Stärke der Straße mit der Stärke des Staates zu begegnen wissen“, tönte der Regierungschef, der es sogar zuwege brachte, einen Verfassungsentwurf seiner eigenen „People's Party“ zu vereiteln, da dieser das von ihm bevorzugte Präsidialsystem negierte. Als „Gegenleistung“ torpedieren nun einige seiner Parteifreunde, die selbst dem Stand der Großgrundbesitzer angehören, die Bodenreformpläne des Präsidenten.

Eine weitere Gefahrenquelle existiert für Rumpf-Pakistan in den seit Butthos Machtergreifung verstänkt zutage tretenden zentrifugalen Tendenzen der beiden „armen Provinzen“ Belutschistan und North West

Indienhasser Bhutto: Verfassung torpediert

Photo: Bäsch

Frontier Agency. Besonders in Quetta, der Hauptstadt der westlichen Wüstenregion, wo zahlreiche Nomaden bislang jede Zentralregierung entweder ignorierten oder ablehnten, kam es zu großangelegten Demonstrationen, als der eigenwillige Whiskyfreund Buttho einen ihm ergebenen Parteigenossen zum Gouverneur Belutschistans bestellte. Der alte Pathanenführer Abdul Wali Khan hat sich zum ernstzunehmenden Opponenten profiliert und seine ,.National Awami Party“ genießt unter den Bergstämmen nordöstlich des Khaiber weit größere Sympathien als die Fraktion des eindeutig prochinesisch orientierten Buttho. Mit dem wiederholt ausgesprochenen Vorwurf, daß sich der Premier „in die Angelegenheiten der Provinzen einmische und zum Ruin des Landes regiere“, konnte der Khan immerhin die Einberufung der Provinzparlamente für den 23. März erreichen. Damit setzt sich jene Entwicklung folgerichtig fort, der schon Yahya Khan 1970 nachgeben mußte, als er die 15 Jahre hindurch gewaltsam aufrechterhaltene „One Unit“ von Pakistan auch formell in Regionen aufteilte. Ob diese Autonomiebestrebungen zu einem echten Balkanisierungstrend ausarten und auf diese Weise zum Ende der unitaristischen Idee Mohammed AU Jinnahs führen, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der Premier in naher Zukunft zu einer geschickteren politischen Taktik zu finden versteht, als er sich in den letzten beiden Monaten befleißigte.

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