7171182-1982_46_10.jpg
Digital In Arbeit

Bibelstätten und Flüchtlingslager

19451960198020002020

Zwischen 22. Oktober und 2. November traf die „Pro Oriente"-Delegation unter Führung von Kardinal König mit Vertretern orthodoxer und altorientalischer Kirchen zusammen.

19451960198020002020

Zwischen 22. Oktober und 2. November traf die „Pro Oriente"-Delegation unter Führung von Kardinal König mit Vertretern orthodoxer und altorientalischer Kirchen zusammen.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Einstimmung in die ökumenischen Aufgaben des kommenden österreichischen Katholikentages sollte die Pilgerreise von Mitarbeitern und Freunden der ökumenischen Stiftung „Pro Oriente" zu den koptischen Mitchristen in Ägypten und zu den Christen an den heiligen Stätten in und um Jerusalem dienen. Das bedeutete eine Reise in besondere politische Problemgebiete, Problemgebiete aber auch für die Christen hinsichtlich ihrer eigenen Beziehungen zueinander und gegenüber ihrer nichtchristlichen Umwelt.

Die Aufnahme unserer unter der Führung des Erzbischof s von Wien und Gründers der Stiftung , J?ro Oriente", Kardinal Franz König, stehenden Pilgergruppe durch die derzeit in Kairo die koptische Kirche leitende Bischofsgemeinschaft fand in herzlicher Gastfreundschaft statt. Ein Kranz am Grabe jenes uns in Wien so vertraut gewesenen Bischofs Samuel, der zugleich mit Sadat den Kugeln der Attentäter zum Opfer gefallen war, brachte unsererseits die enge Verbindung Wiens mit den Geschicken der koptischen Kirche zum Ausdruck.

Den Höhepunkt unserer Pilgerreise in Ägypten bedeutete wohl der Besuch bei dem noch'von Sadat in ein stark bewachtes, einsames Kloster in der Oase Vadi Na-trum verbannten Oberhaupt der koptischen Kirche, den eine Ausnahmsgenehmigung der ägyptischen Regierung Kardinal König und zwei Vorstandsmitgliedern ermöglichte.

Der Papstpatriarch Shenouda III. war bis zu seiner Berufung zum Oberhaupt seiner Kirche, ein bedeutender Teilnehmer an der ersten der vier großen Wiener Konsultationen gewesen, die auf Initiative von Otto Mauer zum ersten Mal nach vielen Jahrhunderten Theologen der altorientalischen Kirchen (Kopten, Armenier, Syrer, Syrer-Inder und Abessinier) mit römisch-katholisehen Theologen zusammengeführt hatten. Damals predigte Shenouda bei der vom Kardinal gefeierten Messe im Wiener Stephansdom.

Wir freuten uns, den Patriarchen freundlich lachend und in deutlicher Freude über unseren Besuch wiederzusehen und ihm unsere Ehrerbietung zum Ausdruck bringen zu können.

Auf Sinai setzte uns Jüngere der Kardinal als unser ältester Mitpilger bei der nächtlich-frühmorgendlichen Ersteigung des 2400 Meter hohen Berges Moses und noch mehr bei dem nicht ungefährlichen Abstieg über 3700 grobklötzige, hohe Stufen bis zum Katharinenkloster in Erstaunen. Auf dem Gipfel hörten wir die biblischen Berichte über das Geschehen auf dem Berg Sinai und zu dessen Füßen.

Jerusalem! Welche Vielfalt religiöser Erinnerungs- und Erbauungsstätten der drei großen monotheistischen Religionen, welche Vielfalt christlicher Patriarchate, welche Vielfalt chri sect;tl. Wohl-fahrts-undPilgerstätten.unter ihnen, an der Via Dolorosa gelegen, das Osterreichische Hospiz, das heute einem jordanischen Spital dient.

Das Lateinische, das Melkiti-sche, das Griechisch-Orihodoxe und das Armenische Patriarchat waren die Begegnungsstätten mit den Persönlichkeiten des christlichen Lebens in der Heiligen Stadt, damit aber auch mit vielfältigen Problemen der getrennten Kirchen, nicht nur im Heiligen Land, vielmehr mit den Problemkreisen insgesamt, denen sich Interesse und Bemühung der Stiftung „Pro Oriente" zuwendet.

Vom äußeren Ablauf der mehrtägigen Programme in und um Jerusalem zu berichten, fehlt wohl der Platz, von den inneren Erlebnissen zu schreiben weithin die Kenntnis und die Berechtigung. Wohl aber von einem eigenen möchte ich sprechen.

Wir saßen gegen Abend auf einer leichten Anhöhe oberhalb Jerichos. Zwischen uns und den alten Stätten dieses biblischen Ortes lag ein breiter, weiter Streifen Landes, bebaut mit vielen Hunderten nunmehr gespenstisch leeren, langsam verfallenden, niederen, lehmziegelerbauten Häusern des einstigen jordanischen.ersten Flüchtlingslagers der Palästinenser.

Und wie an anderen Stätten hörten wir auch hier die betreffenden Stellen der Bibel. So vernahmen wir auf jener Anhöhe über Jericho den alttestamentli-chen Bericht über den Fall der Mauern und über das Schicksal dieser Stadt, nach dem Hörnerschall und dem Kriegsgeschrei der Israeliten, gemäß dem Buche Josua, Kapitel 6:

„... So eroberten sie diese Stadt. Mit scharfem Schwert weihten sie alles, was in der Stadt war, dem Untergang, Männer und Frauen, Kinder und Greise, Rinder, Schafe und Esel."

Ich wollte nicht weiter zuhören. Hundert Meter abseits fand ich mich in einem weiten Gräberfeld oberhalb des einstigen Flüchtlingslagers. Meine Gedanken sprangen nur etwas mehr als 200 Kilometer nach Norden und über mehrere tausend Jahre seit dem Fall Jerichos hin zu den blutigen Geschehnissen in den Palästinenserlagern von Beirut.

Landstriche und Jahrtausende, die zu ungezählten Malen den wechselweisen grausamen Aufeinanderprall zwischen Juden, Christen und Muslimen gesehen haben, liegen zwischen Jericho und Beirut. Ist die Hoffnung berechtigt, daß wir Heutigen noch den Ausgleich, das Ende dieser Unmenschlichkeiten erleben dürfen?

Der Autor ist Präsident des Stiftungsfonds „Pro Oriente" und ehemaliger Unterrichts-minister.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung