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Digital In Arbeit

"Big Brother" im Arbeitsamt

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Subjektive Eindrücke als diskriminierender Steckbrief im Computer: Der "Große Bruder" im Arbeitsamt wird zur Falle für Jobsuchende, vor allem aber für die Lang-zeitarbeitslosen.

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Subjektive Eindrücke als diskriminierender Steckbrief im Computer: Der "Große Bruder" im Arbeitsamt wird zur Falle für Jobsuchende, vor allem aber für die Lang-zeitarbeitslosen.

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Wer Arbeit sucht, muß allerlei Daten von sich geben, auf daß die Vermittlxmg vielleicht einen passenden Arbeitsplatz finde. Die anfallenden Datenmengen sind so groß, daß seit 1985 alle Arbeitssuchenden ihre Personalien, Angaben zur Aus-bildvmg imd zum bisherigen Beruf sowie Hinweise auf frühere Dienst-leistimgen dem landesweiten Com-putemetz anvertrauen müssen. An diesen Datenverbimd sind mittler-

weile rund 1.500 Bildschirme angeschlossen, von denen aus in Sekim-denschnelle zugegriffen werden kann. Erfaßt sind im Schnitt 700.000 hoffende Arbeitssuchende.

Daß nicht nur relativ neutrale Verwaltxmgsdaten abgespeichert werden, mußte neulich die "Arge Daten" feststellen. Betroffene ließen ihr durch Zufall aufgetauchte Datenauszüge zukommen. Diese enthielten auch das, was die amtlichen Vennittler ihnen bei Auskünften nach dem Datenschutzgesetz widerrechtlich vorenthielten: den Inhalt des elektronischenNotizblok-kes. Auf diesem finden sich allgemeine Einschätzimgen zur Person und kurze Protokolle sämtlicher Vermittlimgsgespräche.

Offiziell werden erfaßt: "Angaben über die persönlichen und sozialen Verhältnisse der Arbeitslosen, soweit sie für die Betreuimg von Bedeutung sind: allf äUige kör-perhche Behinderungen, Besonderheiten über die soziale Situation der Arbeitslosen (z3. Betreuungspflichten von alleinstehenden Müttern etc.)".

Das liest sich in der Praxis dann in etwa so:

"Die K L. wirkt sehr apathisch, spricht kaum. Sie dürfte nicht sehr arbeitswillig sein." Oden "Klein, sehr dick, wohnt bei den Eltern, geistigund körperüch stark verlangsamt. Minderleistung." Oder: "Sein Persönlichkeitsbild ist seinem beruflichen Status offensichtlich angepaßt. Wirres, wegstehendes rotes Haar, eigenes Gehabe. Wunsch der PA ist eine Stelle als So2dalarbeiter mit Mindestgehalt 20.000.- brutto. Die Vermittlung wird durch Gehaltswunsch und Äußeres erschwert."

Penible Beamte gehen bei ihrer "psychologischen Analyse" auch systematisch von

"Gestalt: mittelgroß, schlank

Kopf: Stirn hervorgehoben, länglich

Gesicht: verwirrter Gesichtsausdruck

Haare: kurz, glatt, dunkel

Augen: braun, tiefe Augenhöhlen

Nase: unauffällig

Haut: Pickeln

Stimme: angenehm

Charakter: gutmütiger, jedoch eigenwilliger Bursch"

Laut Sozialministerium handle es sich bei diesen pseudopsychologischen Klassifizierungen lediglich tun Einzelfälle. Diese "Einzelfälle" passen jedoch gut in die allgemeine Entwicklung der Arbeitsmarktver-waltimg (AMV), die von der einst von Alfred Dallinger propagierten aktiven Arbeitsmarktpolitik abgeht - hin zur Verwaltung der Dauerkrise: Steigende Arbeitslosenzahlen undgehobene Ansprüche seitens der Wirtschaft drängen die Arbeitsämter dazu, sich auf erfolgversprechende Fälle zu konzentrieren. Potentielle Langzeitarbeitslose werden früh auf das Abstellgleis rangiert.

Dies zeigt auch eine vom "Verein zur Erforschung der Arbeitslosigkeit" im Frühjahr publizierte Studie über Arbeitslosigkeit in Niederösterreich:

• Nur wer auf dem Arbeitsmarkt ohnehin die größten Chan-, chen hat - nämlich Männer unter 2 5 Jahren -, wird am Arbeitsmarkt auch gut betreut.

• Statt als Instrument gegen strukturelle Arbeitslosigkeit zu wirken, übernehmen die Amter die Auswahlkriterien der Wirtschaft.

• Durch Nachgeben gegenüber der Politikerforderung, die Zumut-barkeitsbestimmung enger auszulegen, fördern die Arbeitsämter "den prekären Arbeitsmarkt und unterstützen die Dequalifikationsprozes-se bei den Arbeitssuchenden".

Für letzteres ist der "Arge Daten" ein Fall bekannt, wo einer diplomierten Kinderkrankenschwester im Computer das Quahfikations-profil einer Bedienerin beziehungsweise Hilfskraft verpaßt wurde und ihr nur noch dementsprechende Stellen angeboten wurden - ohne daß sie je den Grund erfahren hätte.

Das Sozialministerium reagierte rasch auf die datenschutzrechtliche Seite dieses Skandals. In einer Presseaussendung beteuerte Sozialminister Walter Geppert, "die Arbeitsämter dürfen nur Daten aufnehmen und festhalten, die für die Betreuung der Arbeitssuchenden und vor allem für ihre Vermittlung benötigt werden". Er habe auch angeordnet, daß die vorhanden Eintragungen geprüft und gegebenfalls gelöscht werden. Zusätzlich werde der Datenschutzrat ersucht, diese Löschvorgänge zu kontrollieren.

Der "Arge Daten" ist dies zu wenig: es sollen sämtliche Texteintragungen gelöscht werden. Dies wäre technisch innerhalb kürzester Zeit möglich und garantiert auch, daß keine diskriminierenden Meldungen mehr gespeichert werden. Auch soUe die gesamte AMV-EDV durch eine unabhängige Kommission überprüft werden. Die Datenschutzkommission sei dafür nicht geeignet, da sie wegenPersonalman-gels schon mit der lauf enden Arbeit völlig überfordert sei. Und der Datenschutzrat sei noch nicht durch besonderes Engagement aufgefallen.

Bis dahin solle, wie es im Datenschutzgesetz vorgesehen ist, das EDV-System wegen "Gefahr in Verzug" abgeschaltet werden. Prinzipiell sollten, dem geforderten Grundrecht nach informationeller Selbstbestimmung folgend, so die Datenschützer, überhaupt keine Daten ohne Wissen des Arbeitslosen erhoben und eingespeichert werden.

Betroffenen rät die "Arge Daten", im Zweifelsfalle eine Auskunft gemäß Datenschutzgesetz zu verlangen. Auch könne der Arbeitslose, stellte schon 1985 der damalige Sozialminister Dallinger f est, jederzeit via Bildschirm Einsicht in seine Daten verlangen, da es keine gegenteilige Weisung gäbe.

Doch eine Bereinigung der abgespeicherten Daten, ohne die gesamte, dahinterstehende Arbeitsmarktpolitik zu ändern, wird all jenen, die nach wie vor potentielle Langzeitarbeitslose sind, wenig helfen. Und was in anderen amtlichen Dateien gespeichert ist, kann nicht einmal die "Arge Daten" abschätzen. Sie fordert daher, die Dokumentation aller öffentlichen EDV-Anwendungen offenzulegen und nach ähnlich diskriminierenden Daten Ausschau zuhalten.

Hinweis: Die ‘Arge Daten’ gibt im Herbst daa Buch "aSOZIALe DATEN" (150 Seiten/öS 110,-) heraus, das sich mit dem Gesundhdis- und Sozialbereich beschäftigt. Vorbestellungen möglich bei: "Arge Daten’, Liechtensteinstraße 94,1090 Wen.

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