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Bilanz in roten Zahlen

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Man müßte schon recht weit zurückgreifen in der Geschichte Brasiliens, um den Einfluß ausländischer Missionare in das rechte Licht zu rücken und in etwa zu würdigen. Wie sehr landfremde Ordensleute in der brasilianischen Geschichte am kulturellen Aufbruch und Aufbau des Landes mitgewirkt haben, liest man in den Lehrbüchern für Geschichte, die in den Schulen benutzt werden.

Wenn Portugal — durch die gleiche Sprache sozusagen naturgegeben — schon auf den ersten Seiten der Geschichte überragende Gestalten wie die des Apostels von Brasilien, P. Joseph von Anchieta, und jene des Gründers der heutigen Weltstadt Sao Paulo, P. Manuel da Nobrega, neben weiteren unzähligen bedeutenden Geistlichen im Laufe der Jahrhunderte anführen kann, so sind doch auch andere Länder des katholischen Abendlandes vertreten. Sie alle wußten diesem Land aus dem Reichtum ihres christlichen Patrimoniums zu schenken — wie übrigens, mehr oder weniger, allen Ländern Süd- und Mittelamerikas, die kein Mittelalter gekannt hatten.

Heute noch prägt der Einfluß ausländischer Priester zutiefst die Weltanschauung bis in die politische Dimension, bis in das ganze Lebensempfinden hinein. Die ausländischen Priester verschiedener religiöser Orden erfreuen sich im Lande einer ganz besonderen Sympathie des Volkes; der fremde Akzent und die nicht immer beherrschte Sprache sind kaum ein Hindernis, ja vielleicht üben sie sogar eine besondere Anziehung aus und rufen ein tieferes Vertrauen hevor.

So ist es befremdend, daß man dem „fahrenden“ brasilianischen Erzbischof Cämara die Worte in den Mund legt, die er nach Aussage eines Priesters in einer Klerusversammlung vor Jahren einmal gebraucht haben soll: „Wir benötigen hier keine ausländischen Priester!“ Befremdend zumal, weil sich der Erzbischof besonders gern mit ausländischen Priestern umgibt oder sie unterstützt und öffentlich verteidigt, wenn sie Gott und das Heilige in soziologische Aussagen umdeuten.

Was hat Erzbischof Cämara damit bisher praktisch erreicht? Neben Fehlschlägen beim Versuch, schwebende soziale Probleme zu lösen, hat er u. a. nicht zuletzt das Ansehen des ausländischen Priesters untergraben. Vielleicht war einer der ersten unglücklichen Schritte des Erzbischofs, den belgischen Pater Josef Comblin als Professor an das Theologische Institut von Recife (Pernambuco) zu berufen und ihn dort schon vor Jahren lautstark in der Presse zu verteidigen. Eben dieser „Theologe“ wurde nach einer Reihe von Affären, die man unbedingt als Umsturzversuche betrachten muß, aus dem Lande verwiesen; heute dokumentieren seine Bscher über die unglaublichsten Thesen hinweg seine revolutionäre Einstellung und seine sozialistische Menschheitsbeglückungs-ideologie.

Neben einer Reihe von weiteren Gesten und Aussagen Cämaras erregten besonders seine Worte in einem Interview mit dem „Express“ ungeheures Aufsehen. Er erklärte unumwunden, er „bewundere und liebe die Terroristen und Guerilleros, die Banken berauben und Wärter töten, .um Waffen zu erstehen, nie genug, um dem Heer widerstehen zu können, um das Volk zu befreien ...“!

' Ähnliche Thesen vertreten andere ausländische Priester, so vor allem der französische Geistliche Wau-thier, der in Osasko, im Staate Sao Paulo, unverkennbar die Massen gegen die Regierung aufwiegelte. Hohe und höchste geistliche Würdenträger verteidigten zeitweise den Priester-Rebellen, bis er sich, wieder zurückgekehrt nach Frankreich, als Priester-Renegat und Außenseiter entpuppte und heiratete.

Anfang 1969 verkündeten die Tageszeitungen in schreiender Aufmachung die Festnahme von vier Klerikern im nahen Belo-Horizonte, der Hauptstadt des Staates Minas Gerais. Drei von ihnen waren Franzosen, Assumptionisten, die im Geiste der chinesischen und kubanischen Revolution zum Kampf gegen soziale Mißstände aufgerufen hatten. In den Reihen unzulänglich informierter Katholiken und gewisser Meinungsmacher im Ausland wurde die Affäre zum Stein des Anstoßes. Unterdessen hat die Veröffentlichung eines 200 Seiten starken, von ihnen selbst geschriebenen Heftes unter dem Titel „Anmerkungen und Suggestionen im Geiste einer Bewegung zur nationalen Befreiung“ offengelegt, daß eine solche Kampfansage, bei aller möglichen guten Intention, zu einer politischen Sicherheitskrise führen mußte. Die Regierung erwehrte sich dieser Gefahr. .

Warum tun sich gerade ausländische Geistliche in dieser Rebellion gegen die Regierung in einer Weise hervor, daß sie letzten Endes mit Terroristen auf die gleiche Stufe gestellt werden müssen? Im Juni dieses Jahres brachten die Zeitungen eine Nachricht über die Verurteilung des holländischen Priesters Johannes Albertus Rutges zu zwei Jahren Gefängnis wegen Verbindungen mit der Terrorbande „Var-Palmares“. Dort war er unter dem Decknamen „Isaias“ bekannt, betrieb auf seine Weise unter dem Klerus den geplanten Aufstand und beherbergte Terroristen. Heute ist Rutges flüchtig. Wie alle seine gestrigen Gesinnungsgenossen hat er das Ansehen der ausländischen Prieser in Brasilien noch mehr untergraben, ohne sozial auch nur den Schein einer Besserung zu erreichen.

Man hat in der europäischen Presse verschiedenerseits Stellung genommen zu der Tatsache, daß Angehörige eines religiösen Ordens — meist Ausländer — in Sao Paulo festgenommen wurden, weil sie (erwiesenermaßen!) mit der Terrorbande „Marighela“ zusammengearbeitet hatten. So gibt selbst die „Deutsche Tagespost“ (16. September 1970) einer Reihe von Dominikanern das Wort, die nicht nur die brasilianische Regierung geradezu verhöhnen, sondern auch Gegendarstellungen eines hier ansässigen bekannten Franziskanerpaters und des Erzbischofs Dom Sigaud für nicht glaubwürdig erklären. Diese Ordensleute vergleichen die brasilianische Regierung mit dem Hitler-Regime und die Deckung von Terroristen und Mördern mit der Asylgewährung für Juden im Dritten Reich. Hinter solchen Äußerungen verbirgt sich eine völlige Unkenntnis der brasilianischen Verhältnisse, die man — wie so oft — im Ausland besser kennen will als hier. Tatsächlich haben die heute mehr und mehr brachgelegten Terrorgruppen längst bewiesen, daß sie nicht die geringsten sozialen Verbesserungen anstreben, sondern nur auf Umsturz und Revolution abzielen.

In Brasilien besteht der Eindruck, als verkenne und übergehe man in Europa bewußt die tatsächlich vorhandene soziale Entwicklung in Brasilien, die bereits zu greifbaren Ergebnissen geführt hat. In Europa entschuldigt man Priester in Brasilien, die unter sich ausmachen, was richtige Religion sei. Daß der Papst wiederholt jegliche Gewalt verurteilt hat, unterschlägt man dabei ebenso wie die Erfahrung, daß modische Neuwertungen im Sinne einer radikalen, zumeist gewaltsamen Veränderung oder Zerstörung vorhandener Strukturen kirchlich nicht gedeckt sind.

Revolution und Umsturz sind zumindest nicht das, was man von einem Priester erwartet. Er soll Verkünder des Friedens und der Botschaft Christi sein und das Christentum als Lebenssinn, als Lebensfülle verkünden. Diese Aufgabe haben einige ausländische Priester verraten, als sie Christentum mit revolutionärer Sozialromantik verwechselten.

Auf der Habenseite der Bilanz summieren sich die roten Zahlen. Diese Bilanz unterscheidet nicht zwischen den wenigen revolutionären Heißspornen und den vielen ausländischen Geistlichen, die still und verantwortungsbewußt ihre Pflicht tun. Das Ansehen aller ausländischen Priester, denen das Land soviel zu danken hat, ist untergraben. Was wenige Priester umwarfen, bauen Tausende andere nicht wieder auf.

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