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Bilder von Hesse

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Ich war jung und in einer ver- zweifelten Situation, als ich Her- mann Hesse zum ersten Mal schrieb. Wenig später kam Antwort aus Montagnola: „Sie haben mich be- schenkt mit einem Brief und mit Gedichten. Dafür sage ich Dank. Mögen Schreck und Unglück, die Sie erleiden mußten, Ihnen frucht- bar und hilfreich werden und die dichterischen Abendstunden mö- gen Ihnen Freude und holde Wand- lung bringen. Es grüßt Sie Ihr Her- mann Hesse." Ich weiß noch, wie ich an dem Wort „hold" hängen- blieb, das mir damals schon wie aus einer fernen Zeit erschien. Das war der Anfang. Die Verbindung riß nicht mehr ab. Ich wartete auf das Erscheinen meines ersten Buches.

Hesse: „... ich bin schon längst kein Leser mehr; aber wenn Ihr Buch erscheint, meine ich, Sie soll- ten es mir schicken." Ich schickte es und wartete mit Herzklopfen auf die Antwort. Und obwohl es, wie ich heute weiß, kein gutes Buch war, schrieb Hesse einen freundli- chen und ermunternden Brief. Sei- ne Güte überließ die Erkenntnis und Einsicht des jungen Autors getrost der Zeit.

In den folgenden Jahren kamen Briefe aus Montagnola ins Allgäu, wo ich damals lebte, aus dem Enga- din, wo Hesse sich häufig erholte. Ich kannte die Handschrift und hob mir jeden Brief bis zum Abend auf, damit ich den ganzen Tag etwas hatte, worauf ich mich freuenkonn- te. Es kamen nicht immer handge- schriebene Briefe. Es kamen Aus- schnitte aus Schweizer Zeitungen, Rundbriefe, wie Hesse sie im Freun- deskreis verschickte, Sonderdruk- ke aus den „Schweizer Monatshef- ten", einmal sein Buch „Stunden im Garten". Es kamen Gedichte, mit der Maschine geschrieben und mit kleinen handschriftlichen Anmerkungen versehen. Grüße und gute Wünsche waren immer hand- geschrieben und die guten Wün- sche waren immer zauberkräftig.

Einmal kamen Fotos vom jungen Hesse aus dem Jahre 1903, vom älteren aus dem Jahre 1947, vom alten Hesse aus dem Jahre 1955, es kamen schöne Fotografien des Großvaters mit seinem Enkel. Auf der Rückseite stand: „1000 gute Wünsche" und ich dachte: das muß lange reiche. Aber eine Woche spä- ter kam wieder ein Brief.

Es ging auf den Herbst zu. Ich hatte, obwohl kein „Anlaß" vorlag, Blumen nach Montagnola geschickt und ein neues Gedicht. Die Ant- wort kam prompt: „... schön waren Ihre Gladiolen und schön die .Kräu- ter der Erde'. Eins wie das andere hat wohlgetan. Es kam tröstlich, gerade am ersten Regentag dieses Herbstes. Herzlich dankt und grüßt Ihr H. Hesse."

Wenig später kamen zwei Aquarelle. Von denen war ich so entzückt, daß ich etwas darüber schrieb und Hesse schickte: „Was meinen Besitz an Bildern betrifft, so wäre zu sagen, daß auch ein .Hesse' dabei ist. Im Grunde sind es sogar zwei. Zwei winzig kleine Aquarelle, sieben mal sieben Zen- timeter, grob geschätzt. Auf dem einen steht ein Baum vor einem kühlen Licht, wie es morgens ist, ehe die Sonne kommt. Unter dem Bild kann man ein Gedicht lesen. Eines aus dem ,Knulp', das so an- fängt: .Hell undsonntags angetan...' Der Maler, der gleichzeitig der Dichter ist, hat es daruntergeschrie- ben. Gut, aber ich will von dem anderen Bild erzählen, das weniger kühl in der Farbe ist und eine selt- same Verzauberung übt. Viel ist da nicht zu sehen. Ein Baum in einer gelben Wiese. Er hat Knollen wie die Kopfweiden und daraus sprie- ßen dünne Äste mit großen gelben Blättern wie Schmetterlinge. Ein blaßblau verschwommener See ist noch da und ein ebenso blasses rosenfarbiges Gebirge. Darüber ein Himmel von etwas tieferem Blau. Auf der gelben Wiese, hart am Wasser, steht ein kleines Haus in einem Kleid aus Rosa, Ocker und einem dünnen Violett. Man könnte sich Menschen darin vorstellen, denn es zeigt ein Fenster und einen Schornstein. Es ist kindisch, sich zu fragen, wer in einem solchen Haus, an einem solchen See und unter einem solchen Baum wohnen mag. Man wird es nie erfahren.

Aber nach dem Ursprung des rätselhaften Zaubers, der von dem winzigen farbigen Viereck ausgeht, fragt man sich doch. Die lose und lässig hingepinselten Farben sind es, die dem eine Weite geben, die sich eigentlich auf sieben mal sie- ben Zentimern gar nicht ausbrei- ten dürfte.

In einer Art anmaßender Naivi- tät habe ich einmal versucht, diese lächerlich einfachen Linien mit den wenigen Farben zu kopieren. Der Erfolg war kläglich genug. Es stimmte scheinbar alles, aber im Grunde stimmte gar nichts, und es war zwecklos, ergründen zu wol- len, woran es lag. Auf der Rückseite des Bildes steht ein Brief, den der Maler schrieb, und auch dieser Umstand macht das Bild zu etwas Besonderem.

Jedermann, der Hesse liest, weiß, daß er auch malt. Ich wußte es auch. Aber daß ich einmal in den Besitz solcher Bilder kommen würde, das konnte ich nicht wissen. Als sie kamen, war ich sehr überrascht. Ehrlich gesagt: ich habe auf den Zeigefinger gespuckt und vorsich- tig an einer unteren Ecke auf die Farbe getupft. Sie ging ab. Es wa- ren Original-Hesse. Sie hängen in meinem Arbeitszimmer. Wenn Besucher kommen, die Kunstken- ner sind, fragen sie: ,Was haben Sie denn da?' .Hesse', sage ich. ,Ah -', sagen die Kunstkenner und wech- seln das Thema. Wenn Kunstfreun- de kommen, fragen sie wohl auch: ,Was ist denn das?' ,Hesse', sage ich. ,Was?' fragen sie eifrig, ,Hesse? Der Dichter?' Und dann nehmen sie das winzige Bild in die Hand und spü- ren seinen Zauber. Wenn ich müde bin oder froh oder traurig, spaziere ich durch das verzauberte Bild. Ich wohne in dem märchenfarbenen Haus, liege unter dem Baum mit den dünnen Ästen und den Schmet- terlingsblättern und sehe auf das Gebirge oder schwimme in dem See und bin außerhalb der Zeit. Was meinen Besitz an Bildern betrifft, so wäre zu sagen, daß ich mich von manchen trennen könnte - außer einem."

Kurz darauf kam Antwort: „... ^und das über meine Aqua- rellchen gefällt mir so gut, daß ich es in einigen Copien auch Freunden mitteilen will." Wieder ein paar Wochen später kam ein Brief aus dem Engadin: „... jetzt hat der Drucker endlich geantwortet. Er ist bereit, mir eine Anzahl Abzüge von Ihrem schönen Text zu ma- chen. Doch möchte ich auch die Abbildung dazu haben. Ich schrei- be dem Drucker nun, daß ich Sie bitten werde, ihm leihweise das Original zur Verfügung zu stellen. Wenn Sie, wie ich sehr hoffe, dar- auf eingehen, dann schicken Sie das kleine Ding bitte an die folgen- de Adresse... die Leute sind zuver- lässig und sollte, was aber kaum geschehen dürfte, Ihr Blatt dabei beschädigt werden, so würde ich natürlich für Ersatz sorgen." Es wurde nicht beschädigt, kam wohl- behalten zurück. Der Druck des kleinen Aufsatzes erschien unter dem Titel „Zu einem Aquarell von Hermann Hesse" und machte im Freundeskreis Hesses die Runde. „Nehmen Sie den hübschen klei- nen Aufsatz als mein Geschenk für Briefe und Glückwünsche."

Seitdem sind Jahrzehnte vergan- gen. In Montagnola habe ich Hesse nie besucht. Ich kannte den Spruch an seiner Haustür zu gut. Ganz selten hole ich den Packen von Briefen, Karten, Fotos und Ge- drucktem hervor. Das Bild hat nichts von seinem Zauber einge- büßt, und die Grüße und Wünsche sind ein lebendiger Trost.

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