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Bildung - ein Teil von Ausbeutungsmechanismen

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Auch die von den Sozialisten so heftig propagierte Gesamtschule wird dem utopischen Traum kultureller Gleichheit und Integration nicht gerecht. Im Gegenteil: Gerade die Leistungsgruppen dieses Modells verschärfen den Prozeß der Ausschließung einzelner Schichten.

Dieses und ähnliches mehr findet 'sich zum Thema „Kultur und Bildung“ in einem über 2000 Seiten starken Kompendium über „Strukturen der sozialen Ungleichheit in Österreich“. Die Studie wurde im Jänner 1976 vom Wissenschaftsministerium in Auftrag gegeben und mit 1,4 Millionen Schilling subventioniert. Unter der Patronanz des Instituts für Höhere Studien (Ford-Institut) und unter Federführung der Soziologin Marina Fischer-Kowalsky werden alte Forderungen der linken Theorie in neuem Gewände präsentiert; allerdings noch nicht der Öffentlichkeit.

Die Studie spürt soziale Ungerechtigkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen auf: Teilstudien über Familie, Religion, Gesundheit bis zu Arbeitsmarkt, Politik, Wohlfahrt. Schließlich „stellt“ - so heißt es - „die konkrete Struktur der sozialen Ungleichheit das Resultat bestimmter gesellschaftlicher Arrangements dar, die es einigen Gruppen ermöglicht, andere zu beherrschen und auszubeuten“. Gerade Kultur und Bildung seien integrierender Bestandteil dieser Ausbeutungsmechanismen.

Sehen auf der einen Seite Bildungsreformer der sechziger Jahre wie Ralph Dahrendorf in der Schulbildung „den großen Ausgleichsmechanismus für menschliche Lebensbedingungen ..., das große Ausgleichsrad der sozialen Maschinerie“, kommen andere Analytiker zu der Einsicht, daß Ausbildung kaum so;-ziale Mobilität für Individuen der un,, teren Schichten produzieren könne. So auch die Verfasser.

Wohl sei die Entwicklung der staat-

lichen Ausbildungssysteme nach 1945 durch steigende Schüler-, Studenten- und Lehrerzahlen sowie einem rapid wachsenden Aufwand an öffentlichen Mitteln gekennzeichnet. Jedoch schlagen sich diese Tendenzen in der Ausbildungsstruktur der gesamten Bevölkerung nur sehr langsam nieder. Die Schülerzahl der allgemein- und berufsbildenden höheren Schulen ist zwischen 1955 und 1974 um 233 Prozent gestiegen, die Zahl der Studenten hat sich im selben Zeitraum mehr als vervierfacht.

Trotzdem standen 1971 lediglich 2,1 Prozent Akademiker und 5,9 Prozent Maturanten einem Anteil von 92 Prozent Bevölkerung mit „sonstiger Schulbildung“ gegenüber, wobei sich die „höher“ Gebildeten überwiegend aus Kindern der mittleren Angestellten oder Selbständigen-schicht rekrutieren. Dies alles deute nicht auf eine merkliche Verbesserung der .Bildungschancen von bisher benachteiligten Gruppen; die Autoren kommen sogar zu dem Schluß, daß „höhere Angestellten- und Selb-ständigenberufe ihre Ausbildungspositionen gegenüber den weniger qualifizierten Arbeiter- und Landwirtschaftsberufen merklich verbessern konnten“. Es besteht also nach wie vor enge Beziehung zwischen Herkunft und Ausbildung.

Die Verfasser wollen sich mit dem Prozeß der langsamen Ausbreitung von Bildung in der Gesellschaft, mit den neuen Zugängen zu Elitepositionen nicht zufriedengeben, da das Ausbildungssystem die bestehenden Schicht- und Klassenunterschiede weiter zementiere; um so mehr als die heutige Gesellschaft Ungleichheit als Motor des Wandels und als Garant der Freiheit sehe.

Solange Leistung im konventionellen Sinn ein Selektionskriterium der industriellen Gesellschaft darstelle, könne von gerechten Ausgangspositionen nicht gesprochen werden; mehr noch, „bestimmte Begabungs-

typen werden behindert“, Arbeiterund Bauernkinder haben also weiterhin mehr Schwierigkeiten zu bewältigen als Kinder anderer Schichten, da sie mit einer Schulwelt konfrontiert werden, die nicht die ihre ist. Sie scheitern demzufolge in erhöhtem Maße an den „fremden“ Qualifikationskriterien höherer Schulstufen: „All dies läßt sich unter der allgemeinen Aussage zusammenfassen, daß die Institution Schule den Lebens- und Denkgewohnheiten von Landwirten und Arbeitern nicht angemessen ist und diese Kinder daher systematisch zum Scheitern veranlaßt.“

In diesem Sinne konzentriere sich auch das Modell der Gesamtschule mit ihren „Leistungsgruppen“ vor allem auf eine Kategorisierung der Schüler und trage so zu einer verschärften Selektion statt zu schulischer Integration bei: Die Schulversuche zur Gesamtschule beschränken sich fast ausschließlieh auf den Leistungsaspekt und schaffen somit „differenzierte interne Hierarchien“. Diese wieder setzen Prozesse der Schichtbildung, der sozialen Ausschließung in Gang und machen damit deutlich, „daß Arbeiter- und Bauernkinder da nicht hingehören“.

Um dem Dilemma der„herkunfts-spezifischen Selektivität der Ausbildung“ zu entrinnen, müsse man sich einzig und allein für die „erweiterte Massenausbildung“ entscheiden. Nur diese bringe eine „gewisse Kollektivierung der Lebensweise, der Kultur einer Gesellschaft, die sich in gemeinsamen Problemen, Informationen und Interessen niederschlage und in, der Folge ein Mehr an Teilnahme' und Teilhabe an den Aktivitäten und Ressourcen der Gesellschaft“. Für die Schule bedeute dies auch die Einführung der Dialektsprache und der Kleinschreibung sowie die totale Absage an das Leistungsprinzip.

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