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Bildungs- Pompfuneberer

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Pompfüneberer heißen in Wien die Totenträger. In unserem Schulsystem werden Begabungen begraben. Nicht nur Universitäten beklagen das Niveau österreichischer Maturanten. Österreich braucht Schulen, in denen Eliten wachsen können.

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Pompfüneberer heißen in Wien die Totenträger. In unserem Schulsystem werden Begabungen begraben. Nicht nur Universitäten beklagen das Niveau österreichischer Maturanten. Österreich braucht Schulen, in denen Eliten wachsen können.

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Erfüllt das Bildungssystem diese Erwartung eigentlich? Eine zugespitzte Ausgangsdiagnose sei gestellt: Die Schulreform der 80er Jahre wurde nicht durchkomponiert. Das Gymnasium integriert, aber differenziert nicht: die neue Hauptschule differenziert, aber integriert nicht.

Konkreter: Es mehren sich jene Schulsprengel der Volksschule, aus denen mehr als 50 Prozent des Altersjahrganges in das Gymnasium übertreten. Gäbe es nicht noch immer den sogenannten „Transportwiderstand“ im Bildungssystem Österreichs, so wäre dieser Trend zur Langform des Gymnasiums noch stärker. Diese Tendenz heißt verkürzt: „Das Gymnasium stirbt.“

Der Zustrom zum Gymnasium wird zu seinem Leichenzug. Das

Massengymnasium wählt nicht mehr aus - Elite heißt Auswahl. Es wird zur Hauptschule.

Lange Zeit hatte das Gymnasium durch Beschulung von Begabten, aber gewiß nicht aller, den Elite-Bildungsanspruch eingelöst. Lange Zeit wiederum hatte es durch zu frühe Selektion Begabte zu Unrecht ausgeschieden. Seine neue Blüte trägt die Züge der Gesamtschule: Integration aller Schüler des Altersjahrganges. „Die Gesamtschule... wird wieder zerfallen“, meint Klaus Haef-ner („Die neue Bildungskrise“, Basel 1982), „da sie zur Zeit Gefahr läuft, die Ausbildung der notwendigen geistigen Elite zu vernachlässigen.“

Elitebildung war historisch notwendigerweise anrüchig und suspekt geworden: Geburtselite und Macht- oder Herrschaftselite haben jahrhundertelang gesellschaftliche Ungleichheit stabilisiert, haben unterdrückt, verarmt, verelendet. Der Begriff „Elite“ trägt daher Flecken: privilegierte Minderheit, tüchtigkeitsunabhängige Macht. Bloß utjlita-ristisch-zivilisatorische Motive für Elitebildung im Dienste wirtschaftlicher Prosperität und der Steigerung des Wohlstandes reichen nicht. Es braucht anthropologisch-ethische Motive, die im folgenden Gedanken gefaßt sind:

„Elitebildung ist nur dann vertretbar, wenn die besonders Tüchtigen und Erfolgreichen ihre Füh-rungs- und Vorbildrolle als einen Auftrag zu besonderer Verantwortung, als Bereitschaft zum Dienst, als sittlichen Auftrag wahrnehmen.“ (N. Lobkowicz — „Die Kontroverse“, in: Wester-manns Pädagogische Beiträge, 1985.) Als Funktionselite verstehen wir daher eine entschei-dungsbefugte, leistungsfähige, verantwortliche Minderheit, die jede Gesellschaft braucht.

Neben historisch verständlichen Vorbehalten gegenüber Elite sind auch gesellschaftspolitischideologische Gegenpositionen zu bedenken: der Gleichheitsmythos und der beliebiger erzieherischer Machbarkeit.

In Anlehnung an eine karikierende Beschreibung von H. Maier-Leibnitz könnte diese Position in folgende Thesen gefaßt werden:

• Alle Menschen sind gleich. Wenn nicht, muß immer der Schwächere mehr gefördert werden, damit die schichtspezifisch/ gesellschaftlich bedingte Ungleichheit beseitigt wird. • Leistung (Tüchtigkeit) ist kein positiver Wert. Sie ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn sie von den Schwächeren eine Anstrengung verlangt, oder wenn sie den Starken vorwärtsbringt.“ Denn dadurch wird Ungleichheit reproduziert.

Die Schule spiegelt den gesellschaftlichen Zustand mit den hinter ihr wirkenden ideologischen Motiven. Das Dilemma mit der Elitebildung ist nicht eines der Schule, sondern eines der Gesellschaft. Schule sollte sich nach Ralf Dahrendorf nicht anmaßen, über Bildung die Welt zu verändern, vielmehr präge die Veränderung der Welt die Bildungseinrichtungen in ihren Strukturen und Inhalten. (Dahrendorf, R.: „Bildung verändert die Welt nicht.“ Die Zeit, 20/84).

Der Ökonom Fred Hirsch stellt fest, „daß es Gleichheit nicht nur nicht gibt, sondern gar nicht geben kann“. Es gäbe vertretbare, verteilbare und positioneile Güter. Schule könne die Ungleichheit der Positionen, auf die sie vorbereite, nicht beseitigen.

„Wenn alle das Abitur haben, braucht man halt für bessere Positionen ein Hochschulstudium. Wenn alle studieren, braucht man für bessere Positionen ein Graduiertenstudium ...“ Dies bedeute, daß „das Rennen um dieselben Pokale länger wird“ (Dahrendorf).

Demgegenüber die wahrscheinlichere Position: Menschen sind verschieden, weil sie verschieden gedacht sind. Diese Verschiedenheit bedeutet nicht soziale Ungleichheit.

Individualität, die wie alles Leben nach einer besseren Welt sucht, braucht ein Bildungssystem, das nicht jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine gibt. Schule muß in jedem Schüler das individuelle Fähigkeitsprofil optimieren. Radikal bedeutet dies: Stärkung der Verschiedenheit (und nicht Gleichheit). Schule mit dieser Orientierung ist Elite-Bildung aus sich.

Wir brauchen daher keine Elite-Schulen (elitäre Schulen), aber Schulen, an denen Lei-stungs-(Tüchtigkeits-)Eliten daran arbeiten, daß Leistungs-(Tüchtigkeits-)Eliten aus ihnen hervorgehen, also „integrierte Elite-Bildung“.

Nochmals unsere Ausgangsfrage: Hat die österreichische Schule die Elite-Bildung preisgegeben? Und die Antwort: Der Tendenz nach - j a! Nicht j edes Gymnastum freilich, und nicht jede Hauptschule.

Diese Preisgabe wird andauern, bis es zu einer durchkomponierten Schulreform kommt. Bis dahin müssen wir jede Schule im sogenannten Mittelstufenbereich zur „integrierten Elitebildung“ verpflichten. Erst recht jedoch die Oberstufe des Gymnasiums. Auch da drängt sich Sorge auf: Es werden Purgatoria eingerichtet für Schwächere, damit sie den Eintritt doch schaffen; an einem Groß-Oberstufenrealgymnasium soll es vier Repetentenklassen geben ...

Die Reformbestrebungen für die Oberstufe laufen Gefahr, bundesdeutsch bereits erkannte Holzwege zu wiederholen: Wahlfreiheit, die zur Beliebigkeit der Bildung wird. Überzogene Wahlfreiheit bei den Schülern pervertiert ebenso wie ausschließlicher Zwang: Beide laden zu Anstrengungsvermeidung ein. Der Begabte braucht sich im gewählten Neigungsfach nicht zu strapazieren. Da# Unbegabte wird dem Zwangsfach lustlos begegnen.

Überzogene Wahlmöglichkeit läuft der späteren beruflichen Realität zuwider, die überwiegend von“ Pflicht und weniger von der Verwirklichung persönlicher Neigung geleitet wird.

Zuletzt thesenhafte Bemerkungen zu berechtigten und falschen Hoffnungen:

• Elite läuft zu, wo Elite ist. Elite-Bildung muß personalisiert werden. Sie wird von der Lehrerpersönlichkeit getragen. Institutionelle Organisation, etwa Talentsuche, Talentförderung, Chancenzuweisung im Sinne der Homogenisierung von Begabung, widerspricht der natürlichen Lebenssituation und verletzt soziale Werte. ■

• Personalisierung braucht Spielraum für die Beteiligten. Er muß geschaffen werden durch mehr Autonomie für die einzelne Schule, damit sie selbst und nicht die Obrigkeit die Verantwortung trägt.

• Elite-Bildung bedarf der überschaubaren Schulgröße. Massenschule pulsiert unruhig. Begabung wächst am besten in Muße.

• Begabte brauchen die Ermunterung zur Identifikation mit ihrer Besonderheit und die Erziehung zur Selbst-Distanz, nicht aber ein übermotivierendes Drängen zur Starleistung und zu elitärem Bewußtsein.

• Elite entsteht durch sachbezogenes, vertieftes, bis zum nicht mehr Erfragbaren vorstoßendes Lernen, nicht durch prüfungsbe-zogene Auseinandersetzung.

• Elite erkennt man meist nicht an musterschülerhafter Vielseitigkeitsqualifikation, sondern an Einseitigkeit der Tüchtigkeit.

'• Integrierte Elitebildung meint, jeder kriegt nach seinem Maß in seiner Schule (AHS, NHS) geistige Nahrung: Also differenzierter Unterricht anstelle der Einheitskost für alle. Das wäre die Einheitsschule, nicht aber jene, die die Altersjahrgänge unsortiert läßt.

• Die Alternative: traditionelles System oder Gesamtschule ist unfruchtbar, auch weil politge-schichtlich belastet. Sachlich begründbare Alternativen für das Schulsystem müssen von unten her erdacht und autonom, aber wissenschaftlich kontrolliert erprobt werden können.

Ein Beispiel: Vier Jahre Grundstufe mit Klassenlehrer und gemäßigtem Fachlehrersystem. Anschließend drei Jahre Mittelstufe mit Fachlehrersystem und gemäßigter äußerer Differenzierung. Dann kommt es zur Gabelung: entweder Besuch der höheren Schule in Form der allgemeinbildenden höheren Schule oder berufsbildenden höheren Schule in der Dauer von sechs Jahren oder berufsbildende mittlere Schule in der Dauer von vier Jahren oder zwei Jahre Polytechnischer Lehrgang und anschließend vier Jahre Berufslehre.

Diese Überlegungen stellen einen Versuch dar. Zur Zeit kann niemand beanspruchen, über ein Lösungsmodell zu verfügen für eine Schule, die Elite- Bildung optimal mit der Pflichtschulaufgabe legiert. Im Sinne des Herrn K. von Bert Brecht schließe ich und lade zum Mitüberlegen ein: „Ich habe bemerkt“, sagte Herr K., „daß wir viele abschrecken dadurch, daß wir auf alles eine Antwort wissen. Könnten wir nicht im Interesse der Propaganda eine Liste der Fragen aufstellen, die uns ganz ungelöst erscheinen?“

Der Autor ist Direktor der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz.

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