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Die Leistungsgesellschaft bedarf der Experten, sie benötigt diese „strukturtragende Męnschengruppe“ (Soziologe Schelsky) wissenschaftlicher Zivilisation. Die Bildungsexplosion ist nicht nur volkswirtschaftliche Notwendigkeit, sie wird langsam zur Realität.

Im Schuljahr 1970/71 besuchte jeder siebente der Bevölkerungsgruppe zwischen 10 und 17 Jahren eine unter dem Sammelbegriff „allgemein- bildende höhere Schule“ bezeichnete Lehranstalt: Insgesamt mehr als 141.000, um innerhalb 8 Prozent mehr als im vorangehenden Schuljahr. Da die Relation 1:7 auch für die Oberstufe Gültigkeit hat, scheint es heute nicht mehr häufig zu sein, daß nach der Unterstufe die Ausbildung abgebrochen und eine Lehre in

„einer besseren Firma“ begonnen wird. Auch die Zahl derjenigen, die 1970 ein Maturazeugnis erlangten, also „reif wurden“, stieg gegenüber 1969 um 35 Prozent, das sind 12.384 Schüler. Allerdings resultiert diese extreme Steigerung zum Teil daraus, daß die Ausbildungszeit in den musisch-pädagogischen Realgymnasien von fünf auf vier Jahre verkürzt wurde, im statistisch erfaßten Zeitraum also zwei Jahrgänge die Matura absolvierten. An Gymnasien für Berufstätige — dem zweiten Bildungsweg — studierten im Schuljahr 1970/71 insgesamt 2015 Schüler.

Die eigentliche Überraschung der Bildungsstatistik ist jedoch der starke Sog, den die Universitäten und Hochschulen auf die Maturan ten ausüben. Im Wintersemester 1970 immatrikulierten mehr als 9000 Absolventen der verschiedenen Mittelschulen neu, die Gesamtzahl der Studierenden an wissenschaftlichen Hochschulen und Kunsthochschulen betrug zu diesem Zeitpunkt 57.869. Allein an der Wiener Universität waren es 12.000, im Vergleich dazu studierten im Wintersemester 1960/61 überhaupt alles in allem 4438 Studenten an österreichischen Hochschulen.

Deutlich zeichnen sich studentische Ballungsräume, besonders stark besuchte Hochschulen ab: die realtiv stärkste Zunahme verzeichnete die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Hochschule in Linz (35 Prozent), gefolgt von der Universität Salzburg. Favorit der Studieneinrichtungen, „Modestudien“ also, sind Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, genauer Soziologie und Volkswirtschaft (Zunahme 35 Prozent). Gleich danach mit einer Steigerung von 19 Prozent rangieren etwas überraschend die Montanwissenschaften und mit 18 Prozent die Tierheilkunde.

Auch der out-put . der Studienfabriken, die Zahl der Absolventen wissenschaftlicher Hochschulen und Universitäten ist beachtlich. In Wien wurde im Studienjahr 1969/70 täglich ein Jusstudent zum Doktor der Rechtswissenschaften promoviert, in ganz Österreich waren es 657. Übertroffen wird diese Basis des Juristenmonopols nur von den Diplomingenieuren; die technischen Hochschulen verließen im Erhebungszeitraum 759 diplomgeschmückt. Die Aktivität des Medizinstudiums schlug mit einem Plus von 23 Prozent junger Doktoren zu Buch, die Gruppe der Lehramtsgeprüften blieb gleich, die Zahl der Doktoren der Philosophie nahm um 6 Prozent ab.

Mehr Professoren

Die Expansion der Studenten bedingt die Ausweitung des Lehrpersonals. So waren im Studienjahr 1970/71 7045 Personen (an Kunsthochschulen 815) als akademische Lehrer tätig; um 8 Prozent ( 3 Prozent) mehr als in den vorangehenden zwei Semestern. Die Zahl der Hochschulprofessoren — insgesamt 831 an wissenschaftlichen Hochschulen — stieg um 7 Prozent, die der Hochschulassistenten (insgesamt mehr als 2500) um 9 Prozent, bezogen auf das Jahr 1969/70.

An den allgemeinbildenden höheren Schulen hingegen unterrichteten fast 10.000 Lehrer. Interessant ist deren Altersstruktur: Ein Viertel war jünger als 31 Jahre, 33 Prozent standen im Alter zwischen 31 und 45 Jahren, 20 Prozent gehörten der Altersgruppe zwischen 46 und 55 Jahren an und nur 9 Prozent aller Lehrer waren älter als 60. Lehrerinnen sind bei den jüngeren Jahrgängen stärker vertreten als bei der Altersgruppe über 45. Das Verhältnis Lehrer zu Lehrerin beträgt 3:1, noch immer ein eindeutiger Überhang der Lehrer.

Wenn auch die Statistik (so stieg die Zahl der Mittelschulen auf 288, die der Klassen um 7 Prozent auf mehr als 4700) ein erfreuliches Bild zeichnet und die Bildungsanstrengungen klar zutage treten läßt, bleibt noch viel zu tun, will Österreich auch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts technologisch, wissenschaftlich und bildungsmäßig präsent sein. Denn die von internationalen Organisationen ermittelten Planzahlen und errechneten Notwendigkeiten haben wir noch nicht erreicht. Da klafft noch immer eine Lücke.

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