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Bildungs(um)wege

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Die allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) stehen ab dem nächsten Schuljahr vor einem neuen Ansturm. Der quantitative Zuspruch wird freilich nur sehr bedingt mit qualitativem Anspruch erklärt werden können. Vielmehr dürfte das Liebkind der Schulreformer, die Neue Hauptschule, einen unvorhersehbaren Andrang auslösen.

Die Abschaffung der Bildungssackgasse des Zweiten Klassenzuges der Hauptschule, im Volksmund B-Zug genannt, die ab dem Schuljahr 1984/85 wirksam wird, ist ein Markenzeichen der Neuen Hauptschule.

Der Wegfall dieser die Bil-dungs- und Lebenschancen einschränkenden Punzierung ist zweifelsohne für viele Schüler und Eltern erleichternd. Erschwerend aber könnte für viele andere werden, was die Neuerer in ihrer Reformeuphorie — bewußt oder unbewußt — übergangen haben: Es wird eine neue — möglicherweise folgenschwere — Punzierung geben. Das verschweigt man.

Ein Kind, das die vierte Stufe der Volksschule erfolgreich und in den Pflichtgegenständen Deutsch, Lesen sowie Mathematik mit keiner schlechteren Note als „Gut" abgeschlossen hat, bekam bisher im Abschlußzeugnis der Grundschule die Berechtigung zugesprochen, den Ersten Klassenzug der Hauptschule zu besuchen. Dieser Zeugnisvermerk war gleichzeitig auch die Voraussetzung für den AHS-Be-such.

Die Ausnahme von dieser Regel: Trotz der Note „Befriedigend" in einem dieser Pflichtgegenstände konnte die (Volks-) Schulkonferenz die Berechtigung aussprechen, wenn Grund zur Annahme bestand, daß das Kind auf Grund seiner sonstigen Leistungen mit großer Wahrscheinlichkeit den Anforderungen des Ersten Klassenzuges oder der AHS entsprechen könnte.

Da es künftig keinen Ersten Klassenzug mehr gibt, fällt in den Volksschulzeugnissen auch jener Berechtigungsvermerk weg, der den Weg in die Hauptschule wie ebenso in die AHS geebnet hat.

Das heißt: Zwangsweise muß daher im Abschlußzeugnis der

Grundschule ausdrücklich die Berechtigung zum AHS-Besuch ausgesprochen werden, ein Vermerk, der neu zwischen potentiellen AHS-Schülern und Nur-Hauptschülern unterscheidet.

Sonst entsprechen die neuen Aufnahmevoraussetzungen für die AHS den alten Bestimmungen, die für Ersten Klassenzug und AHS gleichermaßen galten.

„Die Aufnahme in die 1. Klasse einer allgemeinbildenden höheren Schule setzt voraus", heißt es im Paragraph 40 des novellierten Schulorganisationsgesetzes, „daß die vierte Stufe der Volksschule erfolgreich abgeschlossen wurde und die Beurteilung in Deutsch, Lesen sowie Mathematik für die vierte Schulstufe mit .Sehr gut' oder ,Gut' erfolgte; die Beurteilung mit .Befriedigend' in diesen Pflichtgegenständen steht der Aufnahme nicht entgegen, sofern die Schulkonferenz der Volksschule feststellt, daß der Schüler auf Grund seiner sonstigen Leistungen mit großer Wahrscheinlichkeit den Anforderungen der allgemeinbildenden höheren Schule genügen wird."

Die Volksschule — nunmehr eine vierjährige Aufnahmsprüfung für die AHS?

Auf den ersten Blick könnte die bevorstehende Neu-Punzierung als Rückbesinnung auf elitäre Ausleseverfahren gedeutet werden.

Bei genauerer Betrachtungsweise entpuppt sich diese Zugangsregelung zur AHS als Trojanisches Pferd, die dem Schultyp letztlich mehr schadet als nützt.

Denn: Wer die Berechtigung zum AHS-Besuch nicht unmittelbar nützt, läuft — trotz Neuer Hauptschule — Gefahr, diesen Bildungsweg später nur auf Umwegen zu erreichen.

Ein Volksschulabgänger mit AHS-Berechtigung hat die Wahlmöglichkeit, entweder direkt in die AHS oder in die Neue Hauptschule zu wechseln.

Der Platz in der AHS ist ihm sicher. Ob er jedoch beim Besuch der Neuen Hauptschule dann auch in den Pflichtgegenständen (Deutsch, Mathematik und Lebende Fremdsprache) in die erste Leistungsgruppe kommt oder bleibt, und nur dann steht ein problemloser AHS-Ubertritt offen, ist unsicher. Jedenfalls ist ein Volksschulattest, das AHS-Reife vermerkt, keinerlei Garantie, in der Hauptschule nach dem acht-bis zwölfwöchigen Beobachtungszeitraum letztlich auch für die erste der drei vorgesehenen Leistungsgruppen eingestuft zu werden. Und nur dann würde nach gleichen Lehrplänen unterrichtet.

Mit anderen Worten: Die Einführung der Neuen Hauptschule stellt Eltern, deren Kind heuer die vierte Volksschulklasse besucht, vor eine schwierige Entscheidung. Eine Entscheidung, die knapp nach den Semesterferien — weil dann die Anmeldung zum Besuch einer allgemeinbildenden höheren Schule notwendig ist — erfolgen muß.

Wer kein Risiko eingehen will, wird sich — ist anzunehmen — für die AHS entscheiden. Sicher ist sicher.

Sicher ist aber auch, daß dies dem AHS-Niveau insgesamt nicht nützen wird. Eine heimliche AHS-Abwertung. Das ist - über die stoffmäßige Gleichschaltung durch Lehrpläne hinaus — ein versteckt-zielstrebiger Schritt zur Gesamtschule.

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