6856690-1977_18_08.jpg
Digital In Arbeit

Biologische Atombombe oder Chance für die Menschheit?

19451960198020002020

Aldous Huxleys „Brave New World” - der Alptraum einer zukünftigen Erde mit vorprogrammierten, in der Retorte erzeugten Menschen - ersteht vor unseren Augen, wenn von Gen- Manipulation oder „genetic engineering” die Rede ist. Mancher befürwortet daher ein Forschungsverbot auf diesem Gebiet. Ganz anderer Meinung ist Univ.-Prof. Dr. Manfred Eigen, Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen und Nobelpreisträger von 1967. Dies war seinem Vortrag „Zum Fortschritt verdammt - Entstehung, Evolution und zukünftige Entwicklung des Lebens” während einer Zukunftsenquete der ÖVP und einem anschließenden Pressegespräch zu entnehmen.

19451960198020002020

Aldous Huxleys „Brave New World” - der Alptraum einer zukünftigen Erde mit vorprogrammierten, in der Retorte erzeugten Menschen - ersteht vor unseren Augen, wenn von Gen- Manipulation oder „genetic engineering” die Rede ist. Mancher befürwortet daher ein Forschungsverbot auf diesem Gebiet. Ganz anderer Meinung ist Univ.-Prof. Dr. Manfred Eigen, Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen und Nobelpreisträger von 1967. Dies war seinem Vortrag „Zum Fortschritt verdammt - Entstehung, Evolution und zukünftige Entwicklung des Lebens” während einer Zukunftsenquete der ÖVP und einem anschließenden Pressegespräch zu entnehmen.

Werbung
Werbung
Werbung

Eigen erläuterte zunächst an Spielmodellen die keineswegs zufällige Entstehung und Entwicklung des Lebens durch Selektionsprozesse. Die Evolution erfolgte auf Grund bestimmter „Spielregeln”, denn die Natur hätte weder Zeit noch Raum gehabt, alle möglichen Alternativen auszuprobieren, um nur die Bausteine einer einfachen Zelle zusammenzusetzen. Das Leben muß sich, wie Prof. Eigen betonte, auch in Zukunft laufend weiterentwickeln, es ist „zum Fortschritt verdammt”, will es sich behaupten. Eine Einschränkung oder gar Einstellung der wissenschaftlichen Forschung bedeutet nach Meinung, des Wissenschafters den sicheren Untergang.

Vehement wandte sich Eigen daher gegen ein Forschungsverbot im Bereich der Gen-Manipulationen. Hier sei vom Menschen gar nichts Neues erfunden, sondern nur etwas in der Natur längst Erprobtes gefunden worden, das auch erhebliche Vorteile für die Gesellschaft bringen kann. Es sei mittels Gen-Operationen, die man mit einer Organtransplantation vergleichen könne, möglich, krankhafte Erbfaktoren durch synthetische zu ersetzen und dadurch Erbkrankheiten zu heilen. Prof. Eigen erwartet auch in der Krebstherapie schon in nächster Zukunft Erfolge durch Gen-Operationen. Außerdem könnte die genetische Forschung entscheidend zur Lösung der Emährungsprobleme in Entwicklungsländern beitragen. Hunderte Millionen Menschen müßten nicht verhungern, wenn es, wie der Forscher annimmt, gelingt, Organismen zu züchten, die eine größere Proteinmenge und demnach mehr Nahrungsmittel produzieren.

Aber bringt die Gen-Forschung nicht auch Gefahren? Ist sie nicht „eine biologische Atombombe”? Prof. Eigen sieht die Gefahren auch, widerspricht aber heftig ihrer Überbewertung: „Mißbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse war und ist immer möglich, die Menschheit ist aber durchaus in der Lage, mit diesem Problem wie bisher fertigzuwerden.” Bewußter und unbewußter Mißbrauch, etwa Umweltverschmutzung, sei nur durch ausreichenden, womöglich noch höheren Wissensstand als bei den Verursachern zu bewältigen.

„Was alle angeht, können nur alle lösen” - dieses Zitat aus Dürrenmatts

Drama „Die Physiker” führt Eigen weiter: „Wer mitreden will, muß bereit sein, mitzuverantworten.” Den Initiatoren von Bürgerinitiativen fehle oft das nötige Wissen und die Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk. Entscheidungen über die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse, etwa bei den Kernkraftwerken, müßten daher diejenigen treffen, die Verantwortung tragen und abwählbar sind, die Politiker. Dazu sollten sich die Politiker entweder selbst das nötige Fachwissen aneignen oder sich von den Wissenschaftern beraten lassen.

Eines scheint angesichts aller Zukunftsprobleme klar und wurde von Prof. Eigen auch ausgesprochen: der Schlüssel zur Lösung liegt in der Wissenschaft und letztlich in der Bildungspolitik. Wissen ist nach wie vor Macht, die Tragweite vieler Fragen ist nur einigen Eingeweihten voll bewußt. In der Demokratie, wo die Stimme des Ungebüdeten ebenso viel zählt wie die des Experten, sind aber Fehlentwicklungen nicht auszuschließen. Daher ist bei aller Differenzierüng der Bildung, die Eigen ebenfalls für sehr wesentlich hält, ein höherer Stand der allgemeinen Bildung unerläßlich.

Ein gewisses Unbehagen bleibt. Kann man in einer Zeit des Terrorismus wirklich hoffen, der Mensch werde die rasante Entwicklung der Naturwissenschaften geistig bewältigen und vor allem sittlich verkraften? Was die Gefahr mißbräuchlicher Gen-Operationen betrifft, können sich diese und die nächsten Generationen noch mit einem der letzten Sätze Eigens trösten: „Wir werden nicht mit Siebenmeilenstiefeln vorwärtsschreiten, sondern im Schneckentempo.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung