6804299-1971_50_04.jpg
Digital In Arbeit

„Bis er gesellschaftlich tot ist…“

19451960198020002020

Der Pressechef des Verteidigungsministeriums, Ministerialrat Johann Ellinger, gab bekanntlich am 17. November 1971 vor Studenten in Wien eine aufsehenerregende Erklärung ab, in der er mehr Demokratie in der Wehrpolitik, mehr Information, größere Sachlichkeit und echte Diskussionsbereitschaft bei der Behandlung wehrpolitischer Probleme forderte.

19451960198020002020

Der Pressechef des Verteidigungsministeriums, Ministerialrat Johann Ellinger, gab bekanntlich am 17. November 1971 vor Studenten in Wien eine aufsehenerregende Erklärung ab, in der er mehr Demokratie in der Wehrpolitik, mehr Information, größere Sachlichkeit und echte Diskussionsbereitschaft bei der Behandlung wehrpolitischer Probleme forderte.

Werbung
Werbung
Werbung

Am 18. November sah sich Verteidigungsminister Lütgendorf. „zu seinem Bedauern veranlaßt“, Ellinger mitzuteilen, daß er Auftrag erteilt habe, die bescheidmäßige Abberufung zu verfügen. Am 3. Dezember 1971 wurde Ellinger mit Bescheid des Bundesministeriums für Landesverteidigung abberufen.

Zwei Wochen hindurch lieferte Ellinger in- und ausländischen Zeitungen Schlagzeilen. Bundeskanzler Dr. Kreisky nahm nicht weniger als fünfmal öffentlich zum Fall Ellinger

Stellung. Die ÖVP gründete auf Ellingers Aussage eine „Dringliche Anfrage“ an den Bundeskanzler vor dem Nationalrat.

Nach Ellingers Erklärung heizte der Bundesminister für Landesverteidigung die Berichterstattung um Ellingers Erklärung mit gleich 2 Presseaussendungen am 18. November richtig an. Bereits die 1. Aussendung des Ministeriums kündigte die Abberufung Ellingers von seinem Posten als Pressechef an. Allein 8 Presseaussendungen widmete die Austria-Presse-Agentur am 18. November dem Fall Ellinger. Darunter waren 2 Aussendungen, die vom ÖVP-Pressedienst ausgegangen waren. Abgesehen von der Berichterstattung über die dringliche Anfrage im Nationalrat am 2. Dezember widmete die APA dem Fall Ellinger insgesamt 21 Aussendungen. Der ÖVP-Pressedienst befaßte sich oder erwähnte den Fall Ellinger in 10 Aussendungen. Die Sozialistische Korrespondenz befaßte sich lediglich dreimal mit Ellinger. Die österreichischen Tages- und politischen Wochenzeitungen berichteten zum Fall Ellinger in insgesamt 176 kleineren oder größeren Artikeln, Kommentaren, usw.; darunter auch eine größere Anzahl Interviews mit zahlreichen Staatsbürgern. Die Karikaturisten großer Zeitungen beschäftigten sich gleichfalls mit diesem Fall.

Im Hörfunk wurden insgesamt 12 Meldungen (ohne Wiedergaben zu verschiedenen Zeiten), 6 Interviews beziehungsweise Stellungnahmen und Kommentare ausgestrahlt. Die SPÖ widmete dem Fall Ellinger eine eigene Belangsendung.

Das Fernsehen befaßte sich in insgesamt 4 Meldungen und 2 Filmberichten (Interviews) mit Ellir.ger und behandelte diesen Fall in der „Frage der Woche“.

Das Verteidigungsministerium ver- zeichnete in den von ihm ausgewerteten 5 Auslandszeitungen 12 Berichte. Die Zahl der übrigen, vor allem im benachbarten Ausland erschienenen Berichte, und Rundfunkmeldungen ist kaum genau feststellbar. Mitglieder des Verbandes der Auslandspresse in Wien schätzen die Zahl der im benachbarten Ausland erschienenen Presseberichte auf rund 60.

Ellinger und die Sozialisten

Vor 104 Jahren hat die Monarchie ihren Bürgern das Recht der freien Meinungsäußerung zugestanden. Vor 51 Jahren hat die Republik dieses Recht ihren Beamten zuerkannt. Nun hat ein Beamter davon wirklich Gebrauch gemacht. Zu früh! Denn offenbar will gerade jene Partei, die immer wieder lautstark erklärt, daß sie die Gesellschaft zu demokratisieren wünscht, keinem ihrer Beamten dieses Recht zugestehen. Sie ist fest entschlossen, die Gewissensentscheidung eines Menschen nicht zu respektieren. Die Spannweite sozialistischer Erklärungen ist im Falle Ellinger zu bestaunen. Behauptete Bundeskanzler Dr. Kreisky am 18. und 19. November noch einen Verstoß Ellingers gegen die Dienstpragmatik, wobei er überraschenderweise den völlig unzutreffenden

§ 27 der Dienstpragmatik zitierte, war er in seiner Erklärung am 2. Dezember vor dem Nationalrat bereits wesentlich vorsichtiger geworden. Dort sprach er nämlich nur mehr davon, daß Ellinger die Form nicht gewahrt hätte, und, obwohl zur Vertretung der Intentionen des Bundesministers berufen, gegen dessen Intentionen gehandelt hätte.

Allerdings wurde er von seinen Leuten auch diesmal aufs Glatteis geschickt, als er die nicht haltbare Behauptung aufstellte, ElKnger hätte gegen seinen eigenen Erlaß vom 15. März 1968 verstoßen.

Verstoßen kann man nur gegen einen Erlaß, der noch geltendes Recht beziehungsweise verbindliche Weisung darstellt. Dieser Erlaß war jedoch bereits am 5. März 1969 aufgehoben worden.

In der Sache machten die Sozialisten erst gar nicht den Versuch einer sachlichen Widerlegung.

Sie behaupteten lediglich nach der Methode „das darf doch nicht sein“.

Was aber sachlich richtig ist (die sachliche Richtigkeit steht außer Zweifel auch dann, wenn bestritten worden wäre) und rechtlich de jure nicht anfechtbar ist (es wurde bisher weder eine Rüge noch eine Ordnungsstrafe verhängt, noch ein Disziplinarverfahren eingeleitet), kann im Rechtsstaat nicht zur Diskriminierung führen.

Im weiteren muß festgestellt werden:

• Beide Aussendungen des Bundesministeriums für Landesverteidigung waren zu wesentlichen Teilen ihres Inhaltes unrichtig. In der ersten Aussendung wurde behauptet, Elllinger hätte in amtlicher Eigenschaft gesprochen. In der zweiten Aussendung wurde behauptet, er habe den Vorschlag gemacht, sein Amt nicht mehr auszuüben. Ellinger hat jedoch lediglich vorgeschlagen, sein Amt bis zur Entscheidung der Rechtssache, das heißt in dem Ver fahren der Zuweisung einer neuen Verwendung nicht mehr auszuüben. • Lütgendorf gab in seinem Brief vom 18. November an Ellinger der Meinung Ausdruck, daß Ellinger mit der Art seiner Führung des Ressorts nicht einverstanden wäre. Eine gezielte falsche Annahme, die in Ellingers Erklärung keine Grundlage besitzt. Sowohl der Bundeskanzler selbst wie auch die Sozialistische Korrespondenz zitieren gezielt unrichtig einen auf den Fall nicht anwendbaren Paragraphen beziehungsweise einen Erlaß, der seit zwei Jahren nicht mehr in Kraft steht.

So stellt sich das Problem, ob ein Beamter, der vom Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch macht, überhaupt eine Chance hat, sich in der Öffentlichkeit zu behaupten.

Das scheint mehr als zweifelhaft. Zum Beispiel zeigt der Fall eines Beamten aus dem Sozialministerium, der seinerzeit in einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof über die damals belangte Behörde Recht bekam, daß er erhebliche dienstliche Nachteile — die allerdings nicht erweislich sind, er wurde lediglich nicht befördert — in Kauf zu nehmen hatte.

Der Beamte kann sich aber auch hinsichtlich des Ansehens seiner eigenen Person in der Öffentlichkeit nicht behaupten, wenn zum Beispiel, wie im vorliegenden Fall Ellinger, die SPÖ permanent unrichtige und unzutreffende Tatsachen behauptet, weil es der Presse nicht möglich ist und nicht zumutbar erscheint, laufend über die Feinheiten eines Falles zu informieren. Dadurch wird der Beamte, je länger Unrichtiges behauptet wird, immer wirksamer diffamiert, ohne selbst die Möglichkeit der Verteidigung, anders als auf dem Rechtsweg, suchen zu können, was im Vergleich zur Zeitungsberichterstattung nahezu unwirksam scheint. Es ist dann Tatsache, daß dem gedruckten Wort mehr geglaubt wird, und so wird mit dem Mittel der Lüge und falschen Information, der Verdächtigung usw. der Beamte immer mehr in seinem Ansehen herabgesetzt, bis er gesellschaftlich „tot“ ist. Das ist auch im Falle Ellinger das Ziel. Wenn dann ein oder zwei Jahre später Ellinger auch im Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshofverfahren obsiegt, interessiert dies niemanden mehr und wird, wenn überhaupt, darüber nur noch im Kleindruck mit wenigen Zeilen berichtet.

Daran ändert auch der Umstand nichts, daß, so wie im Falle Ellinger, die parlamentarische Opposition im öffentlichen Interesse bereit ist, für einen solchen Mann einzutreten. Es ist alles nur eine Frage der Zeit und der Intensität der verleumderischen Berichterstattung.

„Echte Gewissensgründe“

Ein anderes interessantes Phänomen liegt wohl darin, daß die tatsächlichen Ausführungen Ellingers mitunter ganz anders interpretiert wurden, als es seine Erklärungen zugelassen hätten. Obwohl er sich eindeutig nicht gegen Lütgendorf wandte, wurde sein Vorstoß als gegen Lütgendorf gerichtet aufgenommen. Das hat seinen Grund offenbar darin, daß der Verteidigungsminister bereits ein derart schlechtes Image besitzt, daß man offenbar gar nicht anders weiß und kann, als ihn in negativer Weise zu Ellingers Erklärung in Beziehung zu bringen.

Interessant ist auch, daß sich einige Zeitungen mit der Motivation Ellingers befaßten. So das „Profil“ in seiner Dezembernummer, „Die Furche“ am 27. November und der „Kurier“ vom 19. beziehungsweise 20. November. Während ein großer Teil der Zeitungen bereit war, Ellinger echte Gewissensgründe zuzubilligen, klang da und dort auch durch, daß sich vielleicht Ellinger auch selbst in die Luft gesprengt haben könnte, ehe man ihn abgeschossen hätte. Andere wieder meinten, er wollte sich einen spektakulären Abgang verschaffen, um sich in absehbarer Zeit einen guten VP-Pressejob zu sichern. Die einen kennen die Stellung eines Ministerialbeamten nicht, die anderen kennen Ellingers Beziehungen zur ÖVP-Parteileitung nicht; „alle zusammen aber“, so Ellinger zur „Furche“, „kennen den ehemaligen Pressechef des Verteidigungsministeriums nicht“!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung